Keine Macht den Grünen

Von der »neuen Drogenpolitik«, welche die Grünen seit Jahren proklamieren, ist nichts zu spüren. Liberalisierungen gehen auf Gerichtsentscheidungen, nicht auf die Regierung zurück. von werner graf

Wer am Steuer eines Autos die Worte »Führerschein und Fahrzeugkontrolle!« hört, kann nur hoffen, dass er gerade weder betrunken ist noch jemals in seinem Leben eine illegalisierte Droge in der Hand hatte. Denn ein Drogentest ist schnell gemacht, und schon der Nachweis des früheren Konsums beispielsweise einer Pille Ecstasy kann zum Entzug der Fahrerlaubnis führen. Ein kleiner Trost: Die neuen Drogenschweißtests sind alles andere als fehlerfrei.

»Es muss Schluss damit sein, dass bereits der bloße Besitz von Cannabis, ohne jeglichen Bezug zum Straßenverkehr, den Führerschein kosten kann«, verkündeten die Grünen im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2002. Doch alle rechtlichen Veränderungen seither sind auf Gerichtsurteile zurückzuführen, nicht auf die rot-grüne Regierung.

So entschied das Bundesverfassungsgericht Ende Dezember, dass die Teilnahme am Straßenverkehr bei weniger als einem Nanogramm des Wirkstoffs THC pro Milliliter Blut erlaubt sei. »Infolge des technischen Fortschritts hat sich inzwischen die Nachweisdauer für das Vorhandensein von THC wesentlich erhöht. (…) Für Cannabis trifft daher die Annahme des Gesetzgebers von der Identität der Wirkungs- und Nachweiszeit nicht mehr zu«, hieß es in der Begründung des Gerichts. Im Schnitt hat THC im Blut eine Halbwertszeit von zwei Stunden. Das bedeutet, dass nach zwei Stunden nur noch etwa halb so viel und nach circa zwölf Stunden kein THC im Blut mehr nachweisbar ist. Jedoch sind Ausnahmefälle bekannt, bei denen noch drei Tage nach dem Konsum THC im Blut gefunden wurde.

Anders ist es mit den Abbauprodukten von THC (OH-THC oder THC-COOH), die wesentlich länger im Blut nachweisbar bleiben. Mit einer Blutprobe kann also nachgewiesen werden, ob die getestete Person im vergangenen Monat viel oder wenig konsumiert hat. Wird ein erhöhter Wert gemessen – an Ort und Stelle etwa 150 Nanogramm pro Milliliter, bei einer späteren Blutentnahme reichen schon etwa 75 Nanogramm – kann auch das zum Entzug des Führerscheins führen, da auch häufiger Konsum von Cannabis fahruntauglich machen soll.

Der Grenzwert von einem Nanogramm pro Milliliter für THC hat mit wissenschaftlichen Erkenntnissen wenig zu tun. Bereits im Juni 2002 empfahlen die Verkehrsminister aller Bundesländer dem Verkehrsministerium nach längeren Verhandlungen den besagten Grenzwert, ohne sich von den Ergebnissen mehrerer vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebener Studien beeinflussen zu lassen.

So führte Hans-Joachim Vollrath von der Universität Würzburg in seiner Studie »Fahrten unter Drogeneinfluss – Einflussfaktoren und Gefährdungspotenzial« aus dem Jahr 2001 aus: »Bei Monokonsum lässt sich nur für Amphetamin/Ecstasy in hohen Konzentrationen und für Alkohol eine deutliche Gefährdung nachweisen. Der akute Konsum von Cannabis alleine verändert das Fahrverhalten nicht.« Der Kölner Rechtsmediziner Herbert Käferstein erklärte, dass man erst ab zehn Nanogramm pro Milliliter mit Sicherheit auf einen »zeitnahen Konsum« schließen könne. Selbst die vorsichtige Schätzung des Würzburger Professors Norbert Schulz aus dem Jahr 1998 kam zu dem Ergebnis, dass erst ab sieben Nanogramm pro Milliliter »für das Verkehrsverhalten wesentliche Leistungseinschränkungen zu erwarten« seien.

Verglichen mit der Handhabung von Alkoholkonsum im Straßenverkehr herrscht immer noch ein immenses Ungleichgewicht. Erwiesenermaßen halbiert sich die Reaktionsgeschwindigkeit schon bei rund 0,3 Promille Alkohol im Blut. Im Verkehr sind jedoch 0,5 Promille erlaubt.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 den Besitz einer so genannten geringen Menge Cannabis mehr oder weniger erlaubt hatte, schickte sich die Regierung Kohl an, die Entscheidung über die Führerscheinverordnung zu umgehen. Diese trat nach dem Regierungsantritt von Rot-Grün zum 1. Januar 1999 in Kraft. Seither reicht schon der Besitz von illegalen Drogen aus, um Urin- oder Blutproben abgeben zu müssen. Egal wo man bei einer Person Drogen findet, ob zu Hause, im Zug oder in der U-Bahn, sie muss eine medizinisch-psychologische Untersuchung, auch MPU oder »Idiotentest« genannt, über sich ergehen lassen und verliert eventuell ihren Führerschein. Es ist ganz so, als würde man jemanden dafür bestrafen, dass er eine Kiste Bier im Keller stehen hat.

Die Grünen, die zur Bundestagswahl 1998 unter anderem mit dem Slogan »Hasch statt Kohl« angetreten waren, organisierten in der ersten Legislaturperiode gerade einmal eine Fachanhörung, um anschließend zu dem Thema nichts Wesentliches mehr zu äußern. Im Juli 2002 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Besitz einer geringen Menge Cannabis den Entzug der Fahrerlaubnis nicht rechtfertige. Es gab damit einem Mann Recht, der, nachdem ihm der Besitz von fünf Gramm Cannabis nachgewiesen worden war, den angeordneten Urintest verweigert hatte. Das Gericht verlangte außerdem von der Bundesregierung, die Straßenverkehrsregelungen wieder mit dem Grundgesetz vereinbar zu machen und die »Strafen durch die Hintertür« abzuschaffen.

Rot-Grün ist dieser Aufforderung bis heute nicht gefolgt. Stattdessen wurde sogar zugelassen, dass die Bundesländer die Entscheidung des Gerichts umgehen. So ist es inzwischen in fast allen Bundesländern üblich, dass Jugendliche, die vor dem Erwerb ihres Führerscheines beim Kiffen erwischt wurden, automatisch zu einem verdächtigen Personenkreis zählen und vor der Führerscheinprüfung einen Drogentest absolvieren müssen.

Nach angeblich harten Koalitionsverhandlungen im Jahr 2002 fand die Absicht, gesetzliche Regelungen im Sinne des Karlsruher Urteils zu schaffen, erneut Eingang in den neuen Koalitionsvertrag. Aber der Vorsatz blieb ohne Konsequenzen. Das Bundesverfassungsgericht fällte einige weitere Urteile zu Detailfragen, und Drogenschnelltests, so genannte Drugwipes, wurden eingeführt. Mithilfe der Tests lassen sich innerhalb weniger Minuten im Schweiß der Kontrollierten vorhandene Abbauprodukte von Drogen wie Cannabis, Speed, Kokain und Ecstasy nachweisen – bei einer Fehlerquote von rund 20 Prozent.

Noch im Bundestagswahlkampf 2002 bezeichnete die Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth, die fehlende Möglichkeit, Drogen auf ihre Inhaltsstoffe testen lassen zu können, als »unterlassene Hilfeleistung«. Bis heute hat sich an der Situation nichts geändert. Das so genannte Drug-Checking würde verhindern, dass verunreinigte Produkte konsumiert werden.

Sogar in der Frage der medizinischen Nutzung von Cannabis, zum Beispiel bei Schmerzpatienten, lässt sich die Tendenz zu einer geringfügigen Liberalisierung ausschließlich auf Gerichtsentscheidungen zurückführen.

Schließlich übergab das Max-Planck-Institut vor zwei Wochen dem Gesundheitsministerium eine noch nicht veröffentlichte Studie, aus deren Inhalt bekannt wurde, dass die Vorstellungen von dem, was als »geringe Menge« zu bezeichnen ist, in Deutschland weit auseinander gehen. Es ist zwar ein offenes Geheimnis, dass Schleswig-Holstein immerhin 30 Gramm als »geringe Menge« durchgehen lässt, Bayern dagegen nur sechs Gramm. Aber diese Tatsache wurde bislang konsequent ignoriert. Sie würde nämlich die Regierung unter Handlungsdruck setzen.