Trotz und Trotzki

Großbritannien bietet eine Vielzahl trotzkistischer Zeitungen und Zeitschriften. Achter Teil einer Serie über linke Medien in Europa. von matthias becker

Samstags steht regelmäßig in den Einkaufsstraßen englischer Arbeiterviertel eine Hand voll Aktivisten um einen Tapeziertisch herum und verteilt die Zeitung mit den großen roten Schlagzeilen, den Socialist Worker. Mancher gutmütige Passant kauft dann tatsächlich ein Exemplar, nimmt es mit nach Hause und blättert es am Küchentisch bei einer Tasse Tee durch.

Der Socialist Worker ist professionell gemacht und hat einen gewissen Gebrauchswert. Er berichtet kontinuierlich und kenntnisreich über Streiks und das Innenleben der Gewerkschaften in Großbritannien. Die internationale Berichterstattung unterliegt allerdings den Schwankungen der Parteilinie, die in regelmäßigen Abständen ihre Bündnispartner gegen den imperialistischen Hauptfeind USA wechselt. Die Socialist Workers Party (SWP), die größte britische trotzkistische Partei, unterhält außerdem auch die eher theoretische Vierteljahreszeitschrift International Socialism und den monatlich erscheinenden Socialist Review.

Besonders an den Universitäten, aber auch in den Gewerkschaften agitiert die SWP unaufhörlich, ist aber wegen ihres instrumentellen Verhältnisses zu politischen Bewegungen bei allen anderen Linken ziemlich unbeliebt. Eifrig rekrutiert sie Jugendliche, die unter einem enormen Druck stehen, ihre Exemplare des Socialist Worker auch loszuwerden. Angeblich hat sie 15 000 Mitglieder, wirklich aktiv dürften etwa 1 200 sein. Die verteilte Auflage des Socialist Worker soll bei 30 000 Exemplaren liegen. Eine Methode, diese Auflage zu erreichen, ist der so genannte Kontaktverkauf, bei dem Parteimitglieder von Haustür zu Haustür gehen und den Zeitungsverkauf mit Agitation verbinden.

In den Kommentaren und Analysen verbreitet der Socialist Worker einen Enthusiasmus, der nahe legt, die proletarische Revolution in Großbritannien stünde unmittelbar bevor – eine Überzeugung, an der die Partei seit 20 Jahren zuverlässig festhält. Vielleicht erklärt das die durchschnittlich geringe Verweildauer von Aktivisten in der Partei, die danach oft zu anderen trotzkistischen Gruppen weiterwandern.

Den letzten revolutionären Aufschwung erwartete der Socialist Worker im vergangenen Jahr während der Massendemonstrationen gegen den Irak-Krieg. Mit der Forderung, den Angriff auf den Irak zu verhindern, vereinte die Bewegung muslimische Einwanderer, Linke sowie von der Labour Party Enttäuschte und brachte an manchen Tagen drei Millionen Menschen auf die Straße. Mit dem Versuch, ihren Einfluss auf die britische Antikriegsbewegung in ein Wahlbündnis namens »Respect!« umzuleiten, setzte die SWP neue Maßstäbe des politischen Opportunismus. Gezielt versuchte sie, die »muslimischen Wähler« anzusprechen. In einer Wahlbroschüre wurde ihr Kandidat George Galloway mit der Beschreibung angepriesen, er sei »mit einer palästinensischen Anwältin verheiratet«, habe »feste religiöse Grundsätze« und lebe »enthaltsam«. Dennoch wurden die Europawahlen im Sommer für »Respect!« mit nur 1,4 Prozent der Stimmen zu einem Debakel. Zur Ehrenrettung der britischen Linken sei gesagt: In den etwa zehn anderen trotzkistischen beziehungsweise leninistischen Wochen- und Monatszeitungen wurde dieser Wahlkampf entsetzt kommentiert.

Publikationen wie Solidarity! oder Workers Liberty beschäftigen sich mit exakt denselben Themen, für den Laien ist es gar nicht so einfach, die feinen Unterschiede zwischen den (nach letzter Zählung) 14 verschiedenen trotzkistischen Parteien herauszufinden. Seit den Anschlägen vom 11. September überschattet der Krieg der USA im Irak und in Afghanistan alles andere. Debatten finden nicht statt, weil die Linie offenbar im Zentralkomitee festgelegt und danach demokratisch-zentralistisch den Mitgliedern mitgeteilt wird – Ausnahmen bestätigen diese Regel.

Ein sehr traditionsreiches Blatt ist der Morning Star, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Großbritanniens (CPGB). Seit dem Jahr 1930 erscheint die Zeitung täglich, sie ist die einzige englische sozialistische Tageszeitung, wie die Redaktion stolz betont. Zwar ist die Seitenzahl über die Jahre im Sinken begriffen, aber der Morning Star kann sich in London und den industriellen Zentren des Nordens auf eine treue, wenn auch langsam aussterbende Leserschaft stützen. Angeblich lockt der ausgezeichnete Sportteil der Tageszeitung auch Leser an, die sich weniger für Lenin als für Fußball interessieren.

Eine scharfe Trennlinie verläuft zwischen den Anhängern Lenins, die auf Klassenpolitik verpflichtet sind, und der autonomen Szene, die aktionistisch ist und von Debatte und Öffentlichkeit prinzipiell nicht viel hält. Der Name eines agitatorischen und aktivistischen Blattes, Do Or Die!, ist Programm – aus der anarchistischen Szene für die Szene, in Kleinstauflage und mit Beiträgen von geringer Halbwertszeit. Hier geht es – neben dem Nahost-Konflikt, dem Lieblingsthema aller britischen Linken – um Ökologie und Tierrechte, gerne serviert mit einem Spritzer Konsumkritik. Einzig Red Pepper, ein »Monatsmagazin für die radikale und ökologische Linke«, erfüllt gewisse Qualitätsstandards. Obwohl die Zeitung organisatorisch mit den britischen Grünen verbunden ist, sammeln sich hier radikale Linke, die weder mit dem Proletkult der Trotzkisten noch mit dem Romantizismus der Anarchisten etwas anfangen können.

Von den anti-intellektuellen Blättern wiederum scharf abgegrenzt sind die (halb-) akademischen Vierteljahreszeitschriften. Das Lektüreangebot besteht aus einigermaßen akademischen Blättern wie Capital & Class oder Race & Class. Hervorzuheben ist das englisch-amerikanische Vierteljahresblatt New Left Review, in dem wichtige angloamerikanische Theoretiker wie Robert Brenner, Mike Davis, Benedict Anderson und viele andere veröffentlichen. Auch Ausgefalleneres findet sein Publikum: Radical Philosophy versucht sich seit 20 Jahren an der Postmodernisierung der Kritischen Theorie. Hier schreiben Akademiker über Deleuze, Derrida und Adorno, Kulturkritik mit hohem Niveau, aber in der Regel ohne politischen Bezug.

Offensichtlich können nur sehr anspruchslose Linke ihre Informationsbedürfnisse mit solchen Zeitschriften abdecken. Greifen sie dann auf die so genannten bürgerlichen Blätter zurück, ist der linksliberale Guardian üblicherweise die Tageszeitung der Wahl. Informiert ist der New Statesman, eine Monatszeitschrift für die liberale Elite. Beliebt bei allen ist das in seiner Aggressivität mit der deutschen Titanic vergleichbare Satiremagazin Private Eye, das manchmal auch investigativen Journalismus betreibt.

Kennzeichen der linken Medien in Großbritannien ist die Zersplitterung. »Linksradikaler Pluralismus« findet sich in keiner Publikation auf der Insel. Ihren Ruf, besonders sektiererisch zu sein, wird die britische Linke so jedenfalls nicht loswerden können.

Links: www.socialistworker.co.uk, www.workersliberty.org, www.workerspower.com, www.morningstaronline.co.uk, www.redpepper.org.uk, www.private-eye.co.uk, www.newleftreview.com, www.radicalphilosophy.com, www.cseweb.org.uk