Tot oder lebendig

Weltwirtschaftsforum in Davos von yves kramer, zürich

»Keine Panik«, riet die linke Wochenzeitung Woz letzte Woche ihren Lesern. Die Bewegung gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) sei nicht tot, sie wandle sich nur, und das sei gut so. Das Bild einer lebendigen Bewegung, in der gestritten und um neue Strategien gerungen wird, mag etwas überraschen. Hörte man doch selbst unter langjährigen WEF-Gegnern von Diskussionen über den Niedergang der Bewegung. Doch die Ereignisse vom letzten Samstag mögen der Woz Recht geben.

Statt auf der verbotenen Demonstration in Bern zu beharren, rief das Anti-WEF-Bündnis zu »bunten Aktionen des zivilen Ungehorsams« in Bern und anderswo auf. Weit über 1 000 Aktivisten ließen sich vom größten Polizeiaufgebot, das Bern je gesehen hat, nicht abschrecken und zogen in unzähligen Gruppen durch die Innenstadt. »Wir haben eine neue Form des Protests gefunden, der die Polizei lächerlich aussehen lässt«, stellte ein Mitglied des Anti-WEF-Bündnisses fest. Gleichzeitig fanden Aktionen in verschiedenen Schweizer Städten und in Davos selbst statt. Dort zogen 80 bis 100 Aktivisten von der Polizei unbemerkt vors Kongresszentrum, wo am heutigen Mittwoch das WEF eröffnet wird.

Ein Teil der »globalisierungskritischen Masse« blieb allerdings am Samstag wie schon im Vorjahr zu Hause. »Die harte, zuweilen rücksichtslose Strategie der Polizei«, schreibt das Nachrichtenmagazin Facts, tue ihre Wirkung. Die Repression und die Krawalle der letzten Jahre ließen mehr und mehr Menschen verängstigt und resigniert zurück.

Den Zustand der Welt zu verbessern, das sei auch die Mission des selbstgefälligen WEF-Gründers Klaus Schwab. Das diesjährige Forum findet unter dem Motto »Verantwortung für schwere Entscheide übernehmen« statt. »Wir wollen die Menschen mobilisieren«, verkündete Schwab in der vergangenen Woche auf einer Pressekonferenz in Genf. Ihm zufolge soll es ein »Meeting der neuen Anfänge« werden.

Die Teilnahme des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und des soeben vereidigten ukrainischen Staatschefs Viktor Juschtschenko verdeutlichten dies. Nun gelte es, »aus der Welt, die wir haben, eine Welt, wie sie sein sollte, zu machen«, verkündete Schwab großspurig. Bis zum kommenden Sonntag werden auch Gerhard Schröder, Jacques Chirac und Tony Blair in Davos erwartet.

Mit einer Neuerung wartet dieses Jahr die NGO-Konferenz »Public Eye on Davos« auf, die parallel zum WEF stattfindet. Erstmals sollen da die »Public Eye Awards« für unverantwortliche Unternehmen in den Kategorien Menschenrechte, Arbeitsrechte, Umwelt und Steuern verliehen werden.

Millionen werden auch in diesem Jahr für die Sicherheit der WEF-Gäste ausgegeben. Neben einer unbekannten Anzahl an Polizisten haben die Behörden 5 500 Soldaten rund um Davos zusammengezogen. Wenn am kommenden Samstag ein paar Einheimische dort demonstrieren dürfen, sollen die Sicherheitskräfte dafür sorgen, dass nicht nochmals auswärtige Aktivisten unbehelligt nach Davos gelangen. Vorsorglich wurde der normale Fahrplan der Bahn weitgehend außer Kraft gesetzt, und die Zufahrt nach Davos mit Bussen wurde gänzlich verboten.

Doch die meisten WEF-Gegner wollen am kommenden Samstag gar nicht nach Davos. »Das WEF ist überall«, sagen sie und rufen zu einer weiteren Demonstration in Basel auf. Die Zeit fröhlicher Straßenschlachten vor den begeisterten Augen der Weltpresse, so der Woz-Journalist Constantin Seibt, sei vorbei. »Was der Globalisierungskritik nach dem Glamour der Geburt bleibt, ist die harte Knochenarbeit. Und alle Probleme, gegen die sie angetreten ist.«