Tödliche Prohibition

Drogen und Infektionen im Knast von tibor harrach

Fast alle Drogen, Alkohol und Tabak selbstverständlich ausgenommen, sind verboten. Wer illegale Substanzen besitzt, erwirbt, verkauft oder herstellt und dabei erwischt wird, muss mit harten Strafen rechnen, oft mit Gefängnis. Da wundert es nicht, dass sich hinter Gefängnismauern auf engstem Raum eine große Gruppe von potenziellen Drogenkonsumenten und/oder Drogenhändlern trifft. 30 bis 50 Prozent der 80 000 Gefangenen hierzulande gelten als drogenerfahren oder drogenabhängig – Tendenz steigend. Drogen sind im Knast in Hülle und Fülle verfügbar. Insbesondere der intravenöse Konsum von Heroin besitzt im frustrierenden Gefängnisalltag einen hohen Stellenwert und geht unter den üblichen Knastbedingungen mit erheblichen Gefahren einher. Ein großes Risiko stellt die gemeinsame Benutzung von unsterilen Spritzen dar, weil hierbei etwa HIV und Hepatitis B- und C-Erreger übertragen werden können.

In Freiheit wird diesen lebensbedrohlichen Infektionsrisiken seit Ende der achtziger Jahre mit Spritzentauschprogrammen erfolgreich begegnet, seit Mitte der neunziger Jahre gab es solche Programme auch in sieben deutschen Gefängnissen. Doch innerhalb der letzten drei Jahre wurden drei Projekte in Hamburg, zwei in Niedersachsen und eins in Berlin gestoppt, obwohl wissenschaftliche Begleitforschungen beweisen, dass Abszesse und Überdosierungen dramatisch zurückgehen und dass die Drogenverbraucher, die kontinuierlich an Spritzentauschprojekten teilnehmen, die geringste Wahrscheinlichkeit aufweisen, sich Aids und Hepatitis C zuzuziehen. Und obwohl in anderen europäischen Ländern wie der Schweiz und Spanien, aber auch in Osteuropa, Spritzentauschprogramme in den Knästen gerade gestartet werden.

Warum also wurden die erfolgreichen Spritzentauschprojekte in Deutschland gestoppt? Dass die Antwort nicht im gesundheitspolitischen, sondern ausschließlich im ideologischen Bereich zu suchen ist, zeigen die Beispiele Hamburg und Niedersachsen. Die inzwischen nicht mehr amtierende Hamburger Rechtskoalition aus CDU, FDP und Schill-Partei vereinbarte in ihrem Koalitionsvertrag die Einstellung des Spritzenvergabeprogramms mit dem Hinweis auf das ideologische, nicht realisierbare Abstinenzgebot. Der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) legte anschließend in Manier eines Rechtspopulisten medienwirksam selber Hand bei der Demontage von Spritzenautomaten an.

Gesundheitspolitisch sind diese Entscheidungen eine Katastrophe. Sie bedeuten wieder vermehrtes Einschmuggeln und Mehrfachbenutzung nicht steriler, zusehends stumpfer werdender Spritzen und damit eine massive Verbreitung lebensgefährlicher Infektionskrankheiten. Das ist der Preis für einen ideologischen Selbstbetrug. Denn Drogen im Knast sind die Bankrotterklärung des prohibitiven Konzepts. Sie verdeutlichen, dass selbst da, wo der Zugriff des Staates am weitesten reicht, Drogen praktisch uneingeschränkt verfügbar bleiben. Spritzentauschprogramme im Knast konterkarieren die Strategie rechter Parteien, Angst vor Drogen und ein Bedürfnis nach immer härteren Strafen sowie einen unerbittlichen Strafvollzug zu erzeugen, um mittels einer Politik der starken Hand das bürgerliche Angstpotenzial in Form von Wählerstimmen abzuschöpfen. Dabei wird es billigend in Kauf genommen, in großem Ausmaß menschliche Lebenszeit und Lebensqualität zu zerstören.

Tibor Harrach ist Mitglied der LAG Drogenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, Vorstand von Eve & Rave Berlin und Sprecher des Sonics-Netzwerks