Die perfekte deutsche Welle

Auf das Jahr, in dem der Pop national wurde, blickt jörg sundermeier im Zorn zurück

Die Songs können im Vergleich zu Produktionen aus Frankreich oder den USA noch so schlecht sein, der so genannte Deutschpop hat im Kampf um kulturelle Hegemonie gesiegt. Vorerst zumindest. Und selbst wenn der nationale Backlash im deutschen Popbusiness vorauszusehen war, waren die Dimensionen doch erstaunlich. Die Linke hatte dem mit ihrer Kritik nichts entgegenzusetzen.

Bereits 1990 entschieden sich viele Bands, von nun an in deutscher Sprache zu singen – daran ist ja an sich nichts Falsches, doch der Zeitpunkt, pünklich zur Wiedervereinigung, ist verdächtig. Jahre vorher gab es zwar auch schon durchaus als »cool« rezipierbaren, ja sogar international erfolgreichen Pop mit deutschen Texten (Malaria, Einstürzende Neubauten, Nena), doch ebbte die Neue Deutsche Welle schnell wieder ab, verlief sich einerseits im Schlager, den sie vorher parodiert hatte – es war kein besonders weiter Weg von »Anna« zu »Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei« –, und kämpfte andererseits auch nicht mehr gegen die Verhältnisse. Man hatte sich an die Nationaldebatten unter Helmut Schmidt, vor allem aber während der Regierungszeit Helmut Kohls (»Die Deutschen sterben aus«) bald gewöhnt und erkannte, von einigen Linken, zu denen die meisten ProtagonistInnen der NDW nicht zählten, mal abgesehen, eben keine akute Bedrohung durch den deutschen Nationalismus mehr. Wie alles, was einem oft genug erzählt wird, so hielt man auch die diesbezüglichen Kampagnen der Regierung plötzlich für »normal« und »ungefährlich«.

Zumal das Ironiekonzept, mit dem einige der NDW-Protagonisten arbeiteten – Umwertung der Werte –, nicht aufging. Viele fanden das provokative Hakenkreuz oder eine bewusst herausgestellte Sexyness dann doch gar nicht so falsch und identifizierten sich mit dem, was sie zuvor angegriffen hatten. Die Modewelle jedenfalls verlor erst mal an Schwung.

Entschieden und mit großer Vehemenz wurden die Nationalstolz- und Zurück-zur-Familie-Debatten dann erst wieder ab 1990 geführt und bekamen mit den neuerlichen Erklärungen der rot-grünen Regierung zum Nationalstolz noch mal neuen Auftrieb. Selbst ehemalige Wiedervereinigungsgegnerinnen wie Angelika Beer fanden sich nun begeistert in Deutschland wieder, und so fand die Kanzler- und Vaterlandsliebe, die in großen Teilen der Friedensbewegung spätestens vor rund zwei Jahren ausbrach, einen vorläufigen Höhepunkt. Heute verwundert es im liberalen wie im linken Lager keine und keinen mehr, wenn sich Angela Merkel und Gerhard Schröder gegenseitig mangelnde Vaterlandsliebe vorwerfen, und das mit einer tölpelhaften Tumbheit, die jene sagenhafte der Reichstags-Hinterbänkler in den zwanziger Jahren noch übertrifft.

Angesichts solcher politischer Verhältnisse ist es nicht verwunderlich, wenn sich Mias Mieze, Wir sind Helden und andere ganz gern auf Deutschland, das Land von Ökostrom, Rio Reiser und schickem Design berufen – warum auch nicht? Sie verhalten sich nicht anders als ihre Freunde und Förderer im Schlagerbusiness, die Altbarden Udo Lindenberg oder Reinhard Mey, und es wird, auch wenn sich eine Antje Vollmer dafür stark macht, wahrscheinlich nicht einmal zur gesetzlichen Regelung einer Deutschpopquote im Radio kommen. Warum auch, sie ist doch in der Praxis bereits vorhanden, und zwar einerseits im Hits-der-Siebziger-Achtziger-Neunziger-Radiosender und andererseits im »alternativen« Unifunk.

Interessant ist dabei die Penetranz, mit der man sich verfolgt wähnt, seien es Peter Heppner und Paul van Dyk, deren Song »Wir sind wir« ein Hit wurde, der nur in kleinen Kreisen als Skandal angesehen wurde, oder Popromanquatschproduzenten wie Thor Kunkel. Über das Lob der NPD-nahen Deutschen Stimme, die sich neuerdings sehr aufmerksam um Popfragen kümmert, wundern sich diese Leute ebenso wenig, wie sie sich über kritische und pseudokritische Anwürfe aus letzten poplinken Zirkeln echauffieren.

Die Antifa tut allerdings noch mal das ihre, um die Blödheit in der Auseinandersetzung zu vertiefen, indem sie über Pop zwar reden will, doch nur über »unseren« (also Indierock, »intelligenten« Techno, »Deutschska« etc.), und es einfach nicht ertragen kann, wenn die schrille Deutschnationalistin genauso klingt wie die ästhetisch nicht minder uninteressante, jedoch vom Nationalwahn noch nicht infizierte Electroclashcombo. Schlager ist pfui und wird seit Jahren nicht mehr analysiert, der dreckige, »harte«, in den »Ghettos« von Frankfurt und Berlin produzierte Deutsch-HipHop wird ebenso vernachlässigt, da er eh nicht auf der Unifete und im Infoladen läuft. Oder aber man findet ihn, aus einem manchmal sogar noch mit Stichwörtern aus antirassistischen Flyern gewürzten Verteidigungswahn heraus sogar saucool. So dass dann selbst in Intro und Spex immer wieder erstaunte LeserInnen Zuschriften von Menschen lesen müssen, die Verse wie »Denn ohne mich wird deutscher Rap schon wieder nicht hart / Schon wieder ein Tag, an dem ich eure Lieder nicht mag / salutiert, steht stramm / Ich bin der Leader wie A«, die Bushido auf seiner Hitsingle »Electro Ghetto« vor sich hinrotzt, mit dem Argument verteidigen, das sei »nur Spaß« oder gar »Ironie«.

Diese LeserInnen sind nicht nur deshalb erstaunt, weil sie den deutschtümelnden Scheiß, der tagaus, tagein aus den Radios und Fernsehern flutet, nicht wahrnehmen. Sie lehnen ihn ab, hören »guten« Pop und wähnen sich oder sind vielleicht sogar glücklich.

Das ist eigentlich das Eklige und Traurige an der ganzen Pop-soll-nicht-nationalistisch-sein-Debatte – nahezu all jene, die sie führen, blenden aus, wie es sich mit diesem Land verhält, sie wollen nur ihren sauberen Pop. Daher unterscheiden sie sich nicht von jenen Antifas, die meinen, wenn sie nun nur stramm ihre Organe lesen (und sonst nichts), seien sie auf der »richtigen« Seite, oder von jenen auf Jörg oder Theodor getauften Teilnehmern am »Genderdiskurs«, die meinen, wenn sie ein Buch von Butler in der Tasche haben und sich metrosexuell geben, hätten sie sexistische Verhaltensweisen jedweder Art abgelegt.

Es ist der identitäre Wahn, dem sich viele Freundinnen und Freunde der stets als »links« rezipierten, antiidentitären Debatten hingeben, indem sie sich aus dem vermeintlich internationalistischen Pop, aus dem Antinationalismus und aus der Teilnahme an einem Elisabeth-Bronfen-Seminar eine Identität stricken, die all dem, was sie zu diskutieren und zu dekonstruieren vorgeben, widerspricht. All diese Leute zimmern sich ihr kleines, angenehmes SpießerInnentürmchen, in dem sie sich abseits der Gesellschaft wähnen.

So selbstverständlich es sein sollte, man muss es wohl doch noch mal sagen: Theorien sind nicht lebbar, kein guter Song macht ein gutes Leben, kein schlaues Buch macht an sich klug. Beziehungsweise: Die Aufhebung der Geschlechtszuweisungen hat der Hauptstadtmacho nicht mitbekommen (und wird und will auch nichts davon hören), die Internationalität des elaborierten Popsongs ist den Radiostationen ebenso egal wie ein vermeintlich zu verteidigender Undergroundstatus, und noch kein Buch und kein Lied hat einen Nazi zum Guten bekehrt. Da gehört ein bisschen mehr dazu. Kunst ist Überbau. Der kulturalistische Blick, der die Phänomene bewertet, von den Ursachen aber schweigt, hilft nur dabei, dass es bleibt, »was es ist« (Mia).