»Man wird verwaltet«

Ein Gespräch mit einer engagierten Erwerbslosen über die Bundesagentur für Arbeit, Hartz IV und die Folgen

Die Soziologin Rose Kolb* ist seit mehreren Jahren erwerbslos. Neben ihrem Engagement in der Organisation »Anders arbeiten oder gar nicht«, aus der Mitte dieses Jahres die Berliner Kampagne gegen Hartz IV hervorging, initiiert sie derzeit eine Betroffenenversammlung von Menschen mit Ein-Euro-Jobs in Berlin.

Im Januar treten Hartz III und IV in Kraft. Hat sich die Situation in den Arbeitsagenturen bereits verändert?

Ich bin seit Beginn des Jahres viermal in meiner Arbeitsagentur gewesen und habe überhaupt keine Veränderung bemerkt. Die Arbeitsagenturen sind ein Riesenapparat. Man meldet sich und sagt: »Ich habe leider nichts erreicht«, und die Bearbeiter nicken das ab. Man wird eigentlich verwaltet. Es gibt lange Schlangen und viel zu wenig Personal. Die Mitarbeiter dort sind überfordert mit dem, was sie tagtäglich bewerkstelligen sollen.

Fühlen Sie Sich denn nicht als Kundin der Arbeitsagentur?

Ich würde für das Jahr 2004 eine Unterscheidung vornehmen. Im ersten Halbjahr wurden wir als so genannte Kunden noch nicht belästigt. Spätestens seitdem ich den Antrag für das Arbeitslosengeld II im Juli zugeschickt bekommen habe, fühle ich mich nicht mehr als Kundin, sondern unter Druck gesetzt. Denn in dem Moment, als ich die Formulare vorliegen hatte, hieß es sofort, dass die Anträge so schnell wie möglich zurückgeschickt werden sollen. Wenn man dies bis September oder Oktober nicht macht, bekommt man das Geld nicht pünktlich im Januar. So gesehen, hat der Druck inzwischen zugenommen.

Wie äußert sich dieser Druck?

Obwohl man ja erst am 3. Januar den Antrag abgeben muss, kriegen wir jetzt schon dauernd Post, dass wir zu einem bestimmten Termin erscheinen sollen, und zwar mit allen notwendigen Unterlagen, also mit Personalausweis, Mietvertrag und so weiter, weil man dort sofort den Antrag mit uns ausfüllen will. Manche Leute werden sogar nach Paragraf 309 des Sozialgesetzbuches III, der besagt, dass man in Leistungsangelegenheiten vorgeladen werden kann, genötigt, in der Arbeitsagentur zu erscheinen. Bei Nichtwahrnehmung des Termins wird einem eine Sperrzeit von zwei Wochen angedroht. Wenn es aber tatsächlich um Leistungen ginge, dann dürfte es sich nur um die momentan noch ausgezahlte Arbeitslosenhilfe handeln.

Mit Hartz III sind neue Regelungen in Bezug auf die Sperrfristen und die Zumutbarkeit von Arbeit erlassen worden.

Die neuen Sperrfristen beziehen sich auf Leute, die jetzt gerade ihren Job verlieren. Sobald sie von der Kündigung erfahren, müssen sie sich sofort erwerbslos melden. Vor kurzem habe ich von einem Arbeitsrechtler erfahren, dass es ab Januar 2005 sogar so sein soll, dass man nicht einmal mehr das Recht hat, zwischen den Beschäftigungsverhältnissen in den Urlaub zu fahren. Und es gibt gar Überlegungen, dass man möglicherweise eine neue Arbeit antreten soll, bevor überhaupt der Vertrag mit der alten Firma abgelaufen ist.

Wie verläuft das Ausfüllen der Anträge für das Arbeitslosengeld II?

Diese Anträge sind nicht nur hochkompliziert, sondern enthalten zudem viele Fallen und Tücken, in die man leicht hineintappen kann. Es gibt mindestens 15 Punkte in diesem sechzehnseitigen Antrag, die mit den Datenschutzbestimmungen nicht übereinstimmen. Dies hat inzwischen der Bundesbeauftragte für den Datenschutz in Bonn bestätigt. Statt die Anträge zurückzuziehen, wurden Ausfüllhinweise gedruckt, welche in den Agenturen meistens nicht vorhanden sind.

Nicht vorhanden?

Als ich Anfang Oktober meinen regulären Meldetermin hatte, bin ich sofort gefragt worden, ob ich meinen Antrag bereits abgegeben habe. Da ich mich aber zunächst informieren wollte, habe ich nach den zwölfseitigen Ausfüllhinweisen gefragt. In meiner Agentur gab es die nicht und niemand wusste davon. Als ich laut um die Ausfüllhinweise bat, wurde das zunächst ignoriert. Als sich daraufhin eine Menschentraube bildete, wollte man mich wegführen, weil man kein so großes Aufsehen haben wollte. Die anderen Leute, die auch von den datenschutzrechtlichen Problemen erfahren wollten, machten dann ein ziemliches Theater. Ich wurde vertröstet, dass ich doch nächste Woche anrufen solle. Einen Tag später hat man mir ein Angebot für einen Ein-Euro-Job zugesandt, nachdem ich viele Monate überhaupt nichts von der Arbeitsagentur gehört hatte.

Finden Sie es richtig, wenn am 6. November in Nürnberg gegen die Bundesagentur demonstriert wird? Wäre nicht die Weiterführung der Proteste gegen die Regierung sinnvoller?

Was die Bundesagentur in Nürnberg anbelangt, finde ich es ganz richtig, dass dort demonstriert wird. Und ich bedaure es sehr und finde es ganz falsch, dass die Gewerkschaften nicht im großen Stil dazu aufgerufen haben. Denn die Bundesagentur ist erstes ausführendes Organ und erste Instanz. Deswegen müsste darauf hingewiesen werden, dass gerade die dortigen Angestellten eine besondere Verantwortung haben, dass das Grundgesetz in den wesentlichen Artikeln eingehalten wird: Würde des Menschen, Freiheit der Berufswahl, Vertragsfreiheit. Es wäre eigentlich die Aufgabe eines jeden Agenturmitarbeiters bis hin zu den Regionaldirektoren und Frank Weise, dem Leiter der Agentur, sich öffentlich gegen Hartz IV zu wenden.

Wie sieht Ihr eigenes Engagement aus?

Seit Mitte April haben wir erkannt, was Hartz IV bedeutet und dass wir das so nicht hinnehmen können. Unsere erste Tat bestand darin, Informationsblätter zu verfassen und diese vor den Arbeitsagenturen zu verteilen. Gleichzeitig haben wir versucht, andere Gruppierungen anzusprechen und Öffentlichkeit zu schaffen. Als nächstes ist eine Ein-Euro-Job-Betroffenenversammlung geplant.

Damit sollen drei Stoßrichtungen verfolgt werden: Erstens müsste es an drei, vier Orten in Berlin eine Art Betroffenen-Café geben, wo ein Austausch unter Ein-Euro-Beschäftigten ermöglicht wird. Die zweite Stoßrichtung ist die Einrichtung einer Rechtsberatung, die gewerkschaftsübergreifend ist und von verschiedenen Arbeits- und Sozialrechtlern getragen wird und auch für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder offen steht. Drittens geht es um eine Bestandsaufnahme: Welche Träger, welche Wohlfahrtsverbände bieten Ein-Euro-Jobs an und wollen davon profitieren?

Welche Situation erwarten Sie in den Bundesagenturen im Januar, wenn Hartz IV in Kraft tritt?

Ich denke, dass es total chaotisch zugehen wird, mit den schlimmsten Nachteilen für die Betroffenen, auch weil die Schulungen der Mitarbeiter in den Agenturen nur minimal sind. Es wird darauf ankommen, welchen Fallmanager man zugewiesen bekommt und ob dieser für die eigene Situation und die eigenen Pläne Verständnis zeigt. Der Anspruch, dass man seine eigenen Ziele verfolgt und sich selbst um Arbeit kümmert, wird aufgegeben, weil neben den Ein-Euro-Jobs dafür keine Zeit mehr übrig sein wird.

interview: martin kröger

*Name von der Redaktion geändert.

Weitere Informationen: Ein-Euro-Betroffenenversammlung am Montag, den 22. November um 18.30 Uhr im Familiengarten, Oranienstr. 34 in Berlin Kreuzberg.