Knapp daneben

Nicht die angeblich neoliberale Umgestaltung der Bundesagentur ist zu kritisieren, sondern die spezifisch deutsche Form des Umbaus. von bernd beier

Die Kampagne »Agenturschluss« setzt den Hebel der Kritik an zwei Stellen an: Einerseits soll die Abgabe der Anträge auf ALG II verzögert werden bis zum 6. Dezember, um Chaos bei ihrer Bearbeitung zu erzeugen, zum anderen sollen am 3. Januar 2005 die »Arbeitsagenturen und Personal Service Agenturen lahmgelegt« werden, um etwa die Vermittlung in Ein-Euro-Jobs zu blockieren. Prima Sache, könnte man meinen, nun wird auch in und an der Institution selbst Kritik geübt.

Das stößt jedoch nicht nur auf Begeisterung. Die Essener Verdi-Gruppe in der Arbeitsagentur sieht sich missverstanden, weil »insbesondere Gewerkschafter« das »Sozialstaatsprinzip immer wieder angemahnt und die Sicherung des sozialen Friedens eingefordert« hätten, und erklärt in einer Stellungnahme von Mitte September: »Die Politik ist verantwortlich, nicht die Beschäftigten der Agentur (…) Wir verstehen, dass die Gebäude der Agentur wegen ihrer Symbolik für Kundgebungen attraktiv sind. Aktionen innerhalb und vor dem Gebäude gegenüber Beschäftigten halten wir jedoch für verfehlt.«

Aber was sind »Aktionen gegenüber Beschäftigten«? Fallen bereits Streik- oder Boykottaufrufe darunter? Oder die Kritik am Inhalt der Arbeit der Elendsverwalter selbst, die zu einer Art gesellschaftssanitärer Polizei zur Kontrolle und Schikane der im Sinne des Kapitals Überflüssigen werden? Vermutlich. Die innige Verbundenheit mit der Sozialdemokratie sorgt dafür, dass es das oberste Ziel der deutschen Gewerkschaften ist, die Beschäftigten der Arbeitsagentur möglichst reibungslos in die neuen Formen der staatlichen Bewirtschaftung der Arbeitskraft einzupassen.

Und die haben es in sich. Mit den Neuregelungen werden »Arbeitsgelegenheiten« als »Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten«, die »kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts« begründen, neu definiert. Sie hebeln das Arbeitsrecht aus und haben mit einem Arbeitsvertrag nichts zu tun. Es geht um Workfare in spezifisch deutscher Form.

Die SPD-Fraktion in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung etwa hat in einem Antrag vom 1. September dankenswerterweise klargestellt, in welchem Sinn die neuen »Arbeitsgelegenheiten« verstanden werden dürfen. »Die neue Arbeitsgemeinschaft, die ab 1. Januar 2005 für die Betreuung der Bezieher von Arbeitslosengeld II (ALG II) zuständig sein wird, benötigt dann zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten für ihre Klienten. (…) Für die Bereiche Sicherheit, Sauberkeit und Stadtbildpflege muss der Bedarf vom Magistrat definiert werden. (…) Mit einer einheitlichen Kleidung versehen, könnten (…) die Bezieher von ALG II zahlreiche zusätzliche Aufgaben übernehmen und das Sicherheitsgefühl in Frankfurt stärken.« Anstelle von »freiwilligen Polizeihelfern«. Sicherheitsdienstleistung in Uniform ohne Arbeitsvertrag – ein prima Vorschlag für Erwerbslose.

Die Einführung des Freiwilligen Arbeitsdienstes im Jahr 1932 unter der autoritären Regierung Schleichers fand im Konsens mit dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) statt. Auch damals musste die verrichtete Arbeit »zusätzlich« und »gemeinnützig« sein und war nicht an einen Arbeitsvertrag gekoppelt; im Übrigen konnten sich die Nazis freuen, dass ihr Verständnis der Arbeit als eines »Dienstes« institutionell umgesetzt wurde.

In Sachen »Arbeitsdienst« ist Deutschland immer Avantgarde. Genau diese altbewährte, spezifisch deutsche Form der staatlichen Bewirtschaftung der Arbeitskraft spielt aber in der »Agenturschluss«-Kampagne bislang keine Rolle. Wird statt dessen gegen »Neoliberalismus« mobil gemacht und in erster Linie die »Privatisierung« der Arbeitsvermittlung kritisiert, ist es zum Staatsfetischismus nicht weit. Dann muss man sich nicht wundern, wenn das Ablenkungsmanöver, für die Krisenerscheinungen des Kapitalismus »amerikanische Manager« oder den »amerikanischen Raubtierkapitalismus« verantwortlich zu machen, wirkt.