Türkischer Mokka mit Schlag

Nirgendwo in Europa sind Politiker und Bevölkerung so vehement gegen den EU-Beitritt der Türkei wie in Österreich. Mit einigen erstaunlichen Ausnahmen. von martin schwarz, wien

Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel trainiert schon wieder. Der Hobby-Fußballer bereitet sich intensiv auf eine sportliche Konfrontation vor, deren politischer Symbolgehalt höher nicht sein könnte. Mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan hat sich der österreichische Regierungschef zum Fußballspiel verabredet. Somit findet jene politische Konfrontation auf dem Rasen ihre Fortsetzung, die derzeit ganz Europa bewegt: Österreich gegen Türkei. Denn nirgendwo in der EU ist der Widerstand gegen einen türkischen Beitritt ausgeprägter als in Österreich.

Das wirklich Einzigartige ist, dass in Österreich das Votum gegen die Aufnahme der Türkei in die EU nach allen verfügbaren Umfragen mehrheitsfähig ist. In Deutschland und anderen Staaten gibt es eine etwa gleich große Anzahl Befürworter und Gegner. In Österreich dagegen votieren derzeit rund 76 Prozent der Bevölkerung gegen einen EU-Beitritt der Türkei. »Es ist das Land, das mich am meisten schockiert hat«, meinte denn auch Premier Erdogan.

Den Schock wird auch das Freundschaftsspiel zwischen ihm und Kanzler Schüssel nicht mildern können. Denn die wesentlichen politischen Kräfte in Österreich haben sich längst in ihrer Position festgekrallt. Einen Beitritt der Türkei zur EU wird es in absehbarer Zeit nicht geben, darüber herrscht in der österreichischen Parteienlandschaft mehr oder minder Konsens. Erdogans Fußballkumpel Schüssel (ÖVP) etwa hat die Devise »Abwarten« ausgegeben und bedient sich zur Untermauerung seiner Position sogar eines Blattes, das ihm nicht wohl gesonnen ist, ohne das aber Politik in Österreich nicht funktionieren kann: der Kronen Zeitung. In einem Gastkommentar erläuterte der Regierungschef den Österreichern die Gründe, warum ein EU-Beitritt der Türkei derzeit aus seiner Sicht ausgeschlossen sei: »Alleine die jährlichen Kosten werden von Kommissionsmitgliedern auf zwischen zehn und 28 Milliarden Euro geschätzt. Niemand weiß heute, wie dieser Mehraufwand bezahlt werden soll«, so Schüssel in seiner Verlautbarung. Jedem sei bewusst, dass die »Türkei noch lange nicht bereit für einen EU-Beitritt ist«.

Während sich der Bundeskanzler noch eines relativ diplomatischen Tonfalls bedienen muss, lässt er aber seine Polit-Vasallen schon mal ein kategorisches Nein zum EU-Beitritt der Türkei formulieren. Ursula Stenzel, Delegationsleiterin der ÖVP im EU-Parlament, lässt nun regelmäßig ihre Ablehnung eines türkischen Beitritts kommunizieren.

Der Bundeskanzler befindet sich allemal in keiner leichten Position. Sollte es einen weitgehenden europäischen Konsens für einen Beitritt geben, wird er kaum ein Veto einlegen können, tut er das aber nicht, winkt der Koalitionspartner FPÖ schon mit der roten Koalitionskarte. Sollte Schüssel beim Rat der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zustimmen, will die rechtspopulistische FPÖ die Koalition verlassen, ein Beschluss des Parteipräsidiums der Freiheitlichen. Schon beim EU-Wahlkampf im Juni hatten die Freiheitlichen das Thema Türkei ins politische Schaufenster gestellt und mit einem »Nein« geworben – genützt hat es ihnen freilich auch nichts. Die Freiheitlichen wurden im EU-Parlament praktisch auf Null gesetzt.

Mit dem »Nein« der Freiheitlichen ergeben sich auch bizarre politische Konstellationen, denn plötzlich befindet sich Ex-Parteichef Jörg Haider, der nur noch einfaches Parteimitglied ist, ansonsten aber noch immer einflussreich, außerhalb des parteipolitischen Mainstreams. Die Türken seien »tüchtige Leute«. Und die Hinwendung der Türkei zur EU ermögliche dem Land, ein »moderner Staat« zu werden. Ansonsten, so der Kärntner Landeshauptmann, drohe eine Stärkung der islamischen Fundamentalisten in der Türkei. »Wenn es den ersten Terroranschlag in Österreich gibt, werden die Menschen anders darüber denken«, so Haider. Schon seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 pflegt Haider ganz besondere Beziehungen zum Orient, traf sich mit Saddam Hussein, kritisierte die USA wegen ihrer Politik im Mittleren Osten. Innerhalb der FPÖ steht er damit alleine. Der Wiener FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache ließ Haider ausrichten, der Parteibeschluss gelte eben auch »für einfache Parteimitglieder«.

In bester Gesellschaft befindet sich Haider dagegen mit einem anderen, äußerst prominenten und populären Politiker. Wiens Bürgermeister Michael Häupl, ein Sozialdemokrat, hat sich für einen Beitritt der Türkei ausgesprochen. Er kann es sich leisten. Die Sozialdemokraten regieren in Wien, mit einer kurzen Unterbrechung, seit dem Ersten Weltkrieg mit absoluter Mehrheit. Die 40 000 Türken der zweiten und dritten Generation werden Häupl bei den nächsten Wahlen in Wien wieder ihre Stimme geben. »Wir sollten versuchen, die Situation beizubehalten, einen laizistischen Staat in der Türkei zu haben, mit dem wir gut zusammen arbeiten können«, so Häupl. Dafür riskiert er sogar, mit seinem eigenen Parteichef auf Konfrontation zu gehen. Alfred Gusenbauer votiert gegen eine EU-Integration und hofft damit auf Rückenwind vor den nächsten Parlamentswahlen im Jahr 2006. Selbst die Grünen stehen der Ausweitung der EU bis über den Bosporus hinaus skeptisch gegenüber. Parteichef Alexander van der Bellen meinte zwar, die Perspektive eines Beitritts müsse bestehen bleiben, er sieht diese Entwicklung aber »irgendwann in zehn, in fünfzehn, in zwanzig Jahren«.

Die einzige Erklärung, die österreichische Meinungsforscher für diese massive Ablehnung in der Bevölkerung haben, mag auf den ersten Blick nicht überzeugen. Eine der in die nationale Identität übergegangenen Mythen ist auch heute noch die Belagerung Wiens durch die türkischen Heerscharen in den Jahren 1523 und 1683. Prinz Eugen von Savoyen und der polnische König Sobieski hatten damals mit ihren Armeen Wien von der Belagerung befreit, die beiden werden tatsächlich heute noch von weiten Teilen der Bevölkerung verehrt. Nach Sobieski und Eugen sind in Wien Straßen, Plätze und Kirchen benannt, gleichzeitig befinden sich in vielen österreichischen Städten noch immer Denkmäler, die von der Belagerung der Türken zeugen. Andererseits hat Wien den Türken indirekt seine Attraktivität als touristisches Ziel zu verdanken und seinen Ruf als Kaffee-Hauptstadt Europas. Die türkischen Heere haben bei ihrer Flucht 1683 säckeweise Kaffeebohnen zurückgelassen, die Kultivierung des Getränks hat in Wien in den nächsten Jahrhunderten erstaunliche Ausmaße angenommen.

Derzeit geriert sich Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel als neuzeitlicher Sobieski, doch ihm wird es nicht gelingen, den Anschluss der Türkei an die EU zu verhindern. Spätestens beim Europäischen Rat im Dezember wird Schüssel versuchen, sich durch allerlei Tricks aus der Affäre zu ziehen. Premier Erdogan wird wohl recht haben, wenn er meint, die Welle der Zurückweisung werde wieder abebben. »Ich glaube, dass sie bald vorübergeht«, gibt er sich zuversichtlich.