Schöner leben mit der PDS

Julia Bonk, die jüngste Berufspolitikerin Deutschlands, will lieber über Politik reden als über Laufmaschen. Ein Porträt von martin u. müller

Es ist fast fünf Jahre her. Ein ganz normaler Dienstag in der Klasse 9.1 am Franziskaneum in Meißen, bis in der zweiten Stunde plötzlich eine vermummte Gestalt zur Tür hereingestürmt kommt und mit zwei großen Messern zweiundzwanzig Mal auf die Geschichtslehrerin einsticht.

Julia Bonk ist damals 13 Jahre alt, besucht die siebte Klasse des zweisprachigen Dresdner Romain-Rolland-Gymnasiums und hat gerade das Amt als Klassensprecherin an ihre Schulfreundin Anita abgegeben. Schnell stellt sie sich den nächsten Wahlen – zur Schulsprecherin. »Ich wollte wirklich etwas bewegen«, sagt sie heute. »Die Motivation war der Mord an der Lehrerin in Meißen, auch wenn das jetzt wie für die Zeitung gesprochen klingt.« So klingt es tatsächlich, aber man nimmt es ihr ab. Es folgen Ämter in der Schülervertretung auf Stadt- und Landesebene. Das »schöne Gesicht des Sozialismus« (Neues Deutschland) verwaltet neben Chemie- oder Englischhausaufgaben das Budget für die Landesschülerarbeit, gibt Broschüren heraus und organisiert Diskussionen. »Ich forderte damals den Rücktritt des sächsischen Kultusministers und hatte eigentlich gar keine so richtige Ahnung vom Thema.« Aber alle klatschten.

Von ihrer neu bezogenen Wohnung in der Dresdner Neustadt, heute, fünf Jahre später, ist es nicht weit zu den Orten, wo sie anfing, Politik zu machen. Sie müsste bloß die Louisenstraße entlang gehen, vorbei an der Imbissbude mit den leckeren Crêpes und an ihrer alten Schule, hinein in das Büro des Landesschülerrates. Der neue Weg geht links ab, am Polizeirevier in den kleinen Weg hinein und über den Albertplatz. Dann noch einmal drei Kilometer Richtung Elbe zum sächsischen Landtag.

Seit einigen Wochen hat Julia Bonk hier im dritten Stock ihr Büro. Sie ist die jüngste Berufspolitikerin Deutschlands, mit gerade 18 Jahren zog sie als parteilose Abgeordnete in das sächsische Landesparlament ein. »Es haben mich die Grünen und die PDS gefragt, ob ich für sie auf der Liste kandidieren möchte.« Nach Tagen und Nächten, in denen sie grübelt und die Wahlprogramme wälzt, findet Julia Bonk die größten Übereinstimmungen mit der Politik der PDS. »Ich kann mich aber nicht immer rückhaltlos mit allen Inhalten der PDS identifizieren«, rechtfertigt sie ihre Entscheidung, nicht in die Partei eingetreten zu sein. Im Kampf um die Listenplätze weht ihr zum ersten Mal der politische Wind etwas rauer um die Nase. »Man hat mir vorgeworfen, dass ich die Mühlen der Lokalpolitik nicht durchlaufen hätte.« Doch es reichte knapp, die Parteidelegierten nominieren die »rote Julia« (Bild) für Platz 21 der Landesliste.

Es folgt der Straßenwahlkampf: interessiert sein, zuhören, argumentieren, Grußworte sprechen – und bloß nicht gähnen. RTL ist nämlich auch dabei. »Das Medieninteresse war schon immer recht groß«, stellt Julia nüchtern fest und vermutet auch eine Strategie der PDS: »Die haben mich ganz gern so in der Ecke des hübschen Gesichtes der Partei.«

Der Einsatz des demokratisch-sozialistischen Bodenpersonals zur Verteilung von Aufklebern, Wutbällen, Hanftütchen und anderem Spielzeug zeitigt Erfolg. Trotz der Stasi-Affäre des Lokalmatadors Peter Porsch steht bereits um 18 Uhr am Wahlabend fest: Julia Bonks Platz im Landtag ist sicher. Von einem »Emotionscocktail« redet die Dresdnerin und beantwortet strahlend die Fragen der Journalisten. »Mir wird jetzt erst klar, wie sehr ich mich eigentlich freue.«

Gleichzeitig posiert die Führungsriege der NPD um Holger Apfel in Siegerpose für die Fotografen. Julia Bonks erste Amtshandlung ist es denn auch zu schreien, zu protestieren und Plakate hochzuhalten: »Nazis raus«, lautet die Parole. Am nächsten Tag sitzt sie am Schreibtisch und entwirft ein Thesenpapier, wie man mit den Rechten im Landtag umgehen könnte. »Die NPD hat Forderungen, die ebenso andere Parteien vertreten können. Gegen Schulschließungen sind wir alle, und Hartz IV empfindet auch die PDS als ungerecht. Das Entscheidende an rechter Ideologie ist, dass sie auf Herabwürdigung und Ausgrenzung bestimmter Gruppen ausgelegt ist«, sagt Julia Bonk.

Als sich der vierte sächsische Landtag in Dresden zu seiner konstituierenden Sitzung trifft, ist die Pressetribüne mit Elbblick überfüllt. Mehr als 150 Journalisten sind gekommen, sogar Teams aus Österreich, Japan und Dänemark. Die Kameras richten sich auf Holger Apfel, der in der ersten Reihe der NPD-Fraktion Platz nimmt. Doch nur Minuten später schießen sich die Objektive der Fotografen auf ein anderes Motiv ein. Die jüngste deutsche Politikerin aller Zeiten protestiert im Sitzungssaal auf ihre Art und Weise. »Schöner Leben ohne Nazis«, steht auf ihrem schwarzen T-Shirt geschrieben. »Ich habe echt bis zur letzten Minute überlegt, ob ich das wirklich machen kann.« Und auch die Genossen in der Partei sind vorher von der Aktion nicht gerade begeistert. »Gerade wir im Landtag müssen doch zeigen, was wir von Nazis in einem demokratischen Parlament halten«, erklärt sie. »Der Landtagspräsident hat mir ganz nett gesagt, dass das eigentlich nicht erlaubt ist.« Am nächsten Tag ist ihr Foto in allen Zeitungen.

Im Landtagsbüro, wo Julia Anastasia Bonk Politik macht, türmen sich Papierstapel, Anträge, Protokolle und Briefe, darunter viele mit Glückwünschen. Das Telefon klingelt unaufhörlich. Zeitungen, Fernsehsender, Magazine – alle wollen Interviews und Bilder. Gleichzeitig besucht sie erste Vorlesungen in ihren Studienfächern Politik und Geschichte an der TU Dresden. »Ich habe noch nicht mal Lampen an den Decken meiner Wohnung.« Aber das ist der Bild egal, und auch die Super Illu meldet sich bei Julia Bonk zu Hause an. Das Handy vibriert, der Focus möchte etwas über ihre Ansichten wissen. Die Zeit drängt, ein Gespräch für das Mittagsmagazin des MDR steht an und auch ein Treffen für die Talkshow mit Johannes B. Kerner auf den Elbterrassen. »Es ist schon ein sehr komisches Gefühl, wenn die Bild-Zeitung etwas über eine Laufmasche in meiner Strumpfhose wissen möchte«, sagt Julia, die viel lieber über Hartz IV und Haushaltspolitik reden würde.

Im Zug zum Treffen des Arbeitskreises Bildung erklärt sie, warum sie besser in Fahrtrichtung sitzt: »Ich schaue lieber nach vorn als zurück.« Und sie spricht von der Zukunft. Nach den fünf Jahren im Landtag Journalistin zu werden, könnte sie sich vorstellen, am liebsten in Frankreich. Julia spricht fließend Französisch. Oder aber man lässt sie über ihre Themen reden und nicht nur über Laufmaschen in ihren Strumpfhosen. Glaubt man den Korrespondenten der großen Zeitungen auf der Pressetribüne des Landtages, dann vielleicht schon im Jahr 2006 im Bundestag. Wieder klingelt das Telefon: Es geht um einen Auftritt bei Sabine Christiansen.