Hier geht’s zur Provinz

Jenseits der Autobahn

Keiner weiß, woher sie kamen. Keiner weiß, wie viele sie sind. Aber sie sind da, und sie werden immer mehr: die mysteriösen braunen Schilder am Rande der deutschen Autobahnen, die so gut zu den Lärmschutzwänden und der dahinter verborgen liegenden Landschaft und ihren rätselhaften Bewohnern passen. »Romanisches Münster Schwarzach« steht auf ihnen zu lesen, »Götzenburg Jagsthausen«, »Kilianskirche Heilbronn«, »Hopfenland Hallertau« oder »Ruine der Hochburg Hachberg«. Klöster, Burgen, Hügel, Wälder oder Flüsse finden auf den so genannten touristischen Hinweisschildern ihre Erwähnung, aber auch die Industriezweige jener Gegend, die der Autofahrer gerade mit Höchstgeschwindigkeit durchrauscht.

Für manche Städte ist so ein Schild ein wichtiger Beweis ihrer Existenz. Etwa für das oberpfälzische Weiden mit seinen etwas über 40 000 Einwohnern. In dem Buch »Weiden – In Augenhöhe mit einer liebenswerten Stadt« kann man sich über die Geschichte des Ortes informieren. So ordnete Karl IV. Mitte des 14. Jahrhunderts an, dass die so genannte Goldene Straße von Nürnberg nach Prag über Weiden führen solle. Am 11. August 1536 wütete ein Feuersturm durch die Stadt, 1634 eroberten die Schweden Weiden. Im Jahr 1901 wurde die Porzellanfabrik Bauscher gegründet, im Jahr 1913 kam das Textilversandhaus Josef Witt dazu. Von den Jahren zwischen 1933 und 1945 ist, wie in vielen deutschen Städten, offenbar nichts bekannt. Und der Höhepunkt der städtischen Entwicklung: Seit dem Jahr 1987 ist Weiden an das Autobahnnetz angeschlossen, an die A93 zwischen Hof und München. Schon wieder eine Goldene Straße.

Ärgerlich ist nur, dass fast niemand weiß, was Weiden alles zu bieten hat. Zwar hat die kleine Stadt allein vier Autobahnausfahrten, aber was nützen sie, wenn der eilige Autofahrer einfach an ihnen vorbeibraust? Dem soll nun abgeholfen werden. Die Stadt will die Aufstellung eines Autobahnschildes beantragen, auf dem stehen soll: »Max-Reger-Stadt«.

Der Komponist Max Reger (1873–1916) gilt als der »größte Sohn« Weidens, auch wenn ihn viele Weidner mit dem aus dem Fernsehen bekannten Schlagermusiker Max Greger verwechseln dürften. Reger lebte zwar vorübergehend in der Stadt, seine Wirkungsstätten aber waren Leipzig und Meiningen. Spötter kolportieren, dass er, wenn er in späteren Jahren mit dem Zug durch Weiden fuhr, den Vorhang zuzog, um nichts von der Stadt sehen zu müssen. Das Haus, in dem Reger gewohnt hatte, wurde vor einigen Jahren abgerissen, um einem unansehnlichen Neubau Platz zu machen. Mit gleichem Recht könnte sich also Wanne-Eickel Franz-Kafka-Stadt nennen.

Aber die Weidner Stadtoberen lassen keine Möglichkeit aus, den Rest der Welt auf den Ort aufmerksam zu machen. Nachdem die Stadt vor einigen Jahren den Zuschlag bekam und sich seither mit der Nachbarstadt Amberg eine Fachhochschule teilt, steht nun auf den Ortsschildern zu lesen: »Hochschulstadt Weiden«. Oxford, Cambridge, Weiden. Unbekannte überklebten des nachts eins der Schilder, sodass fortan »Hochstuhlstadt Weiden« zu lesen war.

Jetzt soll es ein braunes Autobahnschild sein, auch deshalb, weil das benachbarte Kaff Altenstadt ein solches Schild sein eigen nennt. »Bleikristallzentrum Europas« steht auf diesem zu lesen. Auch das entbehrt nicht eines gewissen Hintersinns. In einem Altenstädter Bleikristallwerk kam es in den achtziger Jahren zu einem Chemieunfall. Plötzlich schneite es mitten im Hochsommer giftige Flocken aus Arsen. Aber das ist eine völlig andere Geschichte aus der Provinz.

stefan wirner