Gesunder Patient

Wirtschaftsgutachten und Reformen von steffen falk

Um sich nicht frühzeitig die Laune zu verderben, warten die privaten Haushalte mit ihren wirtschaftlichen Bilanzen des laufenden Jahres und den Prognosen für das nächste lieber bis nach der letzten Silvesterrakete. Für die Unternehmerverbände und die öffentlichen Haushalte ist der Herbst hingegen die Zeit der guten und der schlechten Nachrichten. Die Gutachtensaison hat begonnen.

Der exportstarken deutschen Metallindustrie geht es hervorragend. Das belegt ausführlich eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Doch musste sich der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, am Donnerstag vergangener Woche das Lachen verkneifen, »denn sonst wäre der Kampf um Reformen und niedrigere Standortkosten unglaubwürdig« (Zeit).

Sehr deutlich wird in der Studie unter der Rubrik »Macher & Märkte« der Grund für den »Kampf um Reformen« benannt: das Absenken des nationalen Lohnniveaus. Nur scheut sich das Feuilleton, das klar zu benennen. Schließlich sollen die Lohnabhängigen im Verzicht auf immer größere Teile ihres Lohns für den Standort einen Sinn sehen, den es für sie gar nicht geben kann. Keine gute Werbung für Reformen und eine schlechte Nachricht ist es also, dass der Export weiterhin brummt. Folgerichtig bekam sie kaum einer mit.

Auch das diesjährige Herbstgutachten der sechs großen Wirtschaftsinstitute kommt zu dem Ergebnis, dass es der deutschen Wirtschaft im Zuge der Arbeitsmarktreformen besser geht. Die Freude über den bescheidenen konjunkturellen Aufschwung ist jedoch getrübt, denn zusätzliche Beschäftigung wurde fast ausschließlich in den von der Bundesregierung durchgesetzten neuen Jobformen, den Minijobs und Ich-AGs, geschaffen. Daran stört weniger, dass solche Kleinstunternehmen ohne Kapital noch nicht einmal den Lebensunterhalt ihrer Inhaber zu sichern vermögen, sondern allein die Tatsache, dass die Sozialversicherungsbeiträge ausbleiben.

Auch Dieter Hundt, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), wollte am Dienstag nichts von einer Entwarnung wissen. Schließlich hängt die deutsche Wirtschaft nach Meinung eines der Experten »am Tropf der Weltwirtschaft«. Der Tropf deutet auf einen unfreiwilligen Aufenthalt im Krankenhaus hin – wo man sich für den Weltmarkt fit machen will.

Das internationale Profitstreben der Unternehmen verträgt sich bestens mit den Interessen des Staates, denn es ist seine ökonomische Grundlage. Die Bundesregierung wird also weiter reformieren, sonst muss sie sich von ihren Lieblingsbürgern den Vorwurf gefallen lassen, sie hätte die Krise nicht im Griff.

Da die alternative Mannschaft nichts anderes vorhat, ist eine drohende Wahlniederlage genau so wenig ein Argument für eine Reformpause wie die drohende Unbrauchbarkeit physisch kaputter und unmotivierter Lohnabhängiger. Längst gibt es genügend billigen und willigen Nachschub an Menschen auf dem Arbeitsmarkt, die sich selbst um ihre soziale Absicherung kümmern müssen. Der Streit, der nun über das Reformtempo geführt wird, ist ein Streit über die vermeintliche Erfolglosigkeit der Reformen. Die Reformen sollten die »Arbeitnehmer« nicht als Versprechen größeren Wohlstands missverstehen.