Tee und Wahn in Teheran

Mit Robert Byron durchs Persien und Afghanistan der dreißiger Jahre. von maik söhler

Im Moment haben wir herrliches Wetter, heiß, aber immer frisch. Kinos und Alkohol sind verboten. Der Gesandtschaftsarzt musste auf Drängen der Kirche die Behandlung von Patientinnen beenden; allerdings kommen sie manchmal als Jungen verkleidet. Die ganze Politik einer forcierten Modernisierung zeigt nur bedingt Wirkung.« Diese Sätze klingen, als ob sie ein Sprecher der Nato vor ein paar Wochen in Kabul geäußert haben könnte. Der Ort stimmt, doch sie sind um einiges älter. Ein britischer Berufstourist notierte sie am 17. Juni 1934.

Robert Byron, ein Nachfahre Lord Byrons, bereiste in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die halbe Welt, teils als Kulturjournalist, teils als Kriegskorrespondent, teils im Auftrag des britischen Geheimdienstes, immer aber mit Notizblock und Fotoapparat auf der Suche nach Stätten der Kunst- und Architekturgeschichte. Seine Veröffentlichungen sind so zahlreich wie die Länder, die er besuchte. Eine davon, der erstmals 1937 in Großbritannien erschienene Reisebericht »Der Weg nach Oxiana«, liegt nun endlich auch auf Deutsch vor.

Die Reise führt von Venedig über Zypern, Palästina, Syrien, Irak, Persien nach Afghanistan und dort speziell nach Oxiana. So hieß einst die Region im Norden Afghanistans rund um Mazar-i-Sharif, Kundus & Co., das ist dort, wo heute die Bundeswehr hockt. »Laut Volksmund ist eine Reise nach Kunduz praktisch Selbstmord«, wusste Byron vor 70 Jahren und ließ die Stadt einfach am Wegesrand liegen – zu viele Moskitos, zu viele Krankheiten.

Mit den Deutschen muss er sich dennoch herumschlagen. Die Machtübernahme Hitlers hat selbst in Afghanistan Konsequenzen. Der Ort Balch soll nach dem Willen der Machthaber wieder aufgebaut werden, da dies die »Heimat der Arier« sei. Byron ist irritiert: »Diese Manie muss von Deutschland ausgegangen sein. Noch vor einem Jahr behaupteten die Afghanen, selber Juden zu sein, die verlorenen Stämme Israels. Aber für den asiatischen Nationalismus ist nichts zu absurd.«

Auch in Persien nerven die Nazis: »Außerdem gab der deutsche Gesandte Blücher einen Empfang anlässlich der Vorführung des Nazi-Propagandafilms ›Deutschland erwacht‹. Hitler, Goebbels und die anderen brüllten dauernd. In der Pause Tee und Gebäck«, schreibt Byron in Teheran in sein Tagebuch. Er kennt aber auch die Vorzüge der Deutschen. Auf einem Fest in Isfahan »hätte ich mich in meinem geliehenen Anzug schäbig gefühlt, wären nicht die Deutschen gewesen, die überall dafür sorgen, dass andere Nationen sich garantiert sehr elegant fühlen«.

Fast ein Jahr dauert seine Reise, und einen Teil davon verbringt Byron im Auto oder auf einem Pferd, im Hotel oder einer anderen Unterkunft, einen anderen Teil aber in persischen und afghanischen Moscheen, Mausoleen, Grabtürmen und anderen Bauwerken der islamischen Architektur. Wir erfahren dabei genauso viel über die Beschwerlichkeiten der Reise bei Schnee und Regen in Ländern ohne gute Straßen und Brücken wie über Versorgungsengpässe bei Nahrung, Kleidung und Geld.

Die größten Probleme entstehen aber aus diplomatischen und politischen Gründen. Visa müssen beantragt und ausgefertigt, Sonderreisegenehmigungen können erteilt oder verweigert werden, und selbst der Hotelaufenthalt ist schnell beendet, wenn irgendwo ein Papier fehlt. Bewacher folgen Byron auf Schritt und Tritt, manchmal nehmen sie die Funktion eines Dieners ein, manchmal eines Beschützers. Sie machen den Weg frei oder dicht, sorgen für Zugang oder verhindern das Fotografieren. Sie könnten vom lokalen Provinzfürsten oder vom Schah geschickt worden sein, aber auch von den Russen, oder, wer weiß, vielleicht hat ja auch die eigene Regierung irgendwelche geheimdienstlichen Ambitionen.

»Armes Asien! Alles läuft auf diesen unvermeidlichen Nationalismus hinaus, das Streben nach Autarkie, den Wunsch, in der Welt eine gute Figur zu machen und nicht mehr wegen fehlender Toiletten als malerisch bezeichnet zu werden«, schreibt Byron und charakterisiert somit treffend eine Region in Zeiten des Umbruchs. Britische imperiale Interessen treffen auf stärker werdende Nationalbewegungen; die Sowjetunion macht ihren politischen Einfluss ebenso geltend wie Frankreich seinen ökonomischen; immer mehr Juden wandern in Palästina ein, machen das Land fruchtbar und verändern es rascher, als es die arabische Bevölkerung und die britische Mandatsmacht verhindern können. In Persien muss Byron fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass Afghanistan gerade dabei ist, einen Großteil der einheimischen Juden zu vertreiben, wobei unklar bleibt, warum dies geschieht und ob die vertriebenen Juden in Persien werden bleiben können.

Als Reisender ist Byron in politischen Dingen so gut wie machtlos. Es sind hauptsächlich Fragen der Architekturästhetik, die er kritisch erörtert. Die Freitagsmoschee in Isfahan gilt ihm als »vollkommene Architektur, Resultat weniger der Form ihrer Elemente – das ist eine Sache der Konvention – als vielmehr der Harmonie ihrer Proportionen«. Die Ruinen von Schapur hingegen seien etwas für »Bewunderer von Macht ohne Kunst und von Form ohne Sinn«.

Seine Kulturkritik ist oft bissig und konservativ zugleich (»Im eigenen Land und im originalen Stein ist diese Konvention bereits durchaus unschön, als Reminiszenz einer Reminiszenz, in billigerem Material ausgeführt, greift sie dem Geschmack der Londoner Stadtverwaltung im frühen zwanzigsten Jahrhundert vor«), doch leider erschöpft sie sich auch schnell in Abschweifungen. Das liegt nicht zuletzt an den Objekten seiner Begierde, all jenen islamischen Gebäuden und Säulen, denen wohl allein der Fachmann für die timuridische Renaissance im 15. Jahrhundert immer die nötige Aufmerksamkeit entgegen bringen kann, nur selten aber der Leser eines Reisetagebuchs.

Dennoch hat Byron die Reiseliteratur seiner Zeit vorangebracht. Seiner Mischung aus kultureller Besessenheit, gelegentlicher Naivität und notorischer Unruhe wird die Form des Tagebuchs besser gerecht als jede andere. Alles kann, nichts muss behandelt werden, mal nimmt er sich Zeit, mal eilt er weiter, mal heißt es salopp: »ohne diese erste Begegnung mit einer größeren Welt wäre ich jetzt vielleicht Zahnarzt oder ein Politiker«, mal notiert er in Syrien mit Blick auf das prosperierende Palästina: »Man muss kein Zionist sein, um zu erkennen, dass diese Verhältnisse den Juden zu verdanken sind.«

Byron weiß: »Einen Sonnenuntergang zu verunglimpfen ist heutzutage eine politische Taktlosigkeit, ebenso ihn zu preisen, wenn im Vordergrund zufällig eine Zementfabrik steht, die man statt dessen loben sollte. Irgend jemand muss im Interesse der Vernunft gegen die Tabus des modernen Nationalismus verstoßen. Der Geschäftsmann kann nicht, der Diplomat will nicht. Also müssen Leute wie wir es tun.« Was waren das für Zeiten, als sich selbst der Dandy noch auf Gesellschaftskritik verstand!

Robert Byron: Der Weg nach Oxiana. Eichborn, Frankfurt/Main 2004. 442 S., 28,50 Euro