Miles and more

In Deutschland am Flughafen zu leben, macht wenig Spaß. Auf die Flüchtlinge wartet das Flughafenverfahren. von jesko bender

Der Bundesgrenzschutz (BGS) sei ein »Sauhaufen«, wie er ihn nicht für möglich gehalten habe, sagte der Vorsitzende Richter, der Prozess habe »sprachlos gemacht«, resümierte der Staatsanwalt Justus Koch, und der Anwalt der Nebenkläger, Dieter Kornblum, sprach von einem »Totalversagen des BGS und der Angeklagten«.

Das sind nur einige Eindrücke aus dem Prozess gegen drei Beamte des BGS um den Tod des Sudanesen Amir Ageebs während seiner Abschiebung im Oktober 1999. Am Freitag wurde die Beweisaufnahme abgeschlossen. Viereinhalb Jahre nach seinem gewaltsamen Tod steht nun die Urteilsverkündung unmittelbar bevor. Sowohl Koch als auch Kornblum forderten in ihren Schlussplädoyers Freiheitsstrafen von einem Jahr auf Bewährung für die drei Angeklagten. Sie werfen ihnen vorsätzliche Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in einem minder schweren Fall vor.

Angesichts der Umstände von Ageebs Tod ist diese Formulierung unangemessen. Am 28. Oktober 1999 sollte Ageeb gegen seinen Willen abgeschoben werden. Die Beamten fesselten und knebelten ihn bereits in der Gewahrsamszelle, trugen ihn ins Flugzeug und fixierten ihn mehrfach am Sitz. Als Ageeb immer unruhiger wurde, drückten sie seinen Oberkörper für mehrere Minuten derart heftig nach unten, dass er erstickte. Dieser Vorfall gab eine Vorstellung davon, wie eng die strukturelle und physische Gewalt des deutsch-europäischen Grenzregimes ineinander greifen.

Flüchtlinge, die an Flughäfen wie dem Rhein-Main-Airport in Frankfurt ankommen, sind von der ersten Minute an damit konfrontiert. Auf sie wartet das Flughafenverfahren. Die meisten von ihnen werden wochen- oder monatelang in einer haftähnlichen Unterkunft im Transitbereich festgehalten und dürfen nicht in die Bundesrepublik einreisen, um einen Asylantrag zu stellen. Vor vier Wochen besuchte eine Delegation des EU-Projekts Information and Cooperation Forum (ICF) den Frankfurter Flughafen. Ihr Fazit: »Durch die faktische Inhaftierung der Flüchtlinge und die zeitliche Beschränkung des Flughafenverfahrens bleibt das Verfahren unfair.«

Diejenigen Flüchtlinge, die in so genannten flüchtlingsrelevanten Maschinen ankommen, werden oft schon im Flugzeug von BeamtInnen des Bundesgrenzschutzes (BGS) kontrolliert. Ihnen wird grundsätzlich die Einreise verweigert, wenn sie aus einem sicheren Drittland kommen oder keine gültigen Personaldokumente vorweisen können. Über ihren Asylantrag wird dann im Transitbereich des Flughafens entschieden, wo sie bis zu ihrer möglichen Abschiebung festgehalten werden. »Damit wird gewährleistet, dass – im Falle der Ablehnung des Asylantrages als ›offensichtlich unbegründet‹ – die Rückführung in den Staat des Abflughafens problemlos erfolgen kann«, schreibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Am Frankfurter Flughafen zählte das Amt von Januar bis August dieses Jahres 398 Menschen, die in Deutschland einen Antrag auf Asyl stellen wollten. 192 von ihnen durften einreisen. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass sie das Recht auf Asyl zuerkannt bekamen. Sie durften lediglich einen Asylantrag stellen, dessen Aussichten auf Erfolg verschwindend gering sind. Die Anerkennungsquote für Asylsuchende liegt in diesem Jahr bisher bei etwa 1,6 Prozent. Über die Anträge der restlichen Flüchtlinge am Flughafen wird innerhalb von zwei Tagen entschieden. In diesem Jahr wurden 206 Anträge postwendend abgelehnt, kein einziger wurde anerkannt.

Die Statistiken allein begründen allerdings nicht, warum Menschenrechtsorganisationen und antirassistische Initiativen seit Jahren die ersatzlose Abschaffung des Flughafenverfahrens fordern. Im Zentrum der Kritik stehen vor allem die Umstände der Unterbringung am Flughafen. Bereits im Sommer 2001 informierten die TeilnehmerInnen eines Hearings zum Flughafenverfahren über die desolaten Verhältnisse im Transitbereich. Eine iranische Staatsbürgerin, die fast drei Monate im Transitlager lebte, berichtete vor allem von der psychischen Gewalt, die das Verfahren mit sich bringt: »Da wir in einem Sechsbettzimmer und einem Gemeinschaftsraum eingesperrt waren, kam eine sehr aggressive Stimmung auf. (…) Es war immer am schlimmsten, wenn sich die Leute gegen Abschiebungen gewehrt haben, auch für die Kinder, die das mit ansehen mussten. Schlimm waren aber auch die regelmäßigen Zählungen. Morgens und abends wurden alle vom BGS durchgezählt.«

Die Flüchtlinge seien bei Abschiebungen auch physischer Gewalt wie Knebelungen und Stockschlägen von BeamtInnen des BGS ausgesetzt, berichtete das Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main.

Trotz aller Kritik halten die Regierungsparteien am Flughafenverfahren fest, obwohl selbst das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1996 nur mit knapper Mehrheit das Verfahren für rechtsstaatlich erklärte. Die damalige Präsidentin des Gerichts, Jutta Limbach, kritisierte beispielsweise, dass beim Flughafenverfahren die »erhebliche Gefahr unanfechtbarer gerichtlicher Fehlentscheidungen« bestehe. Dennoch bemüht sich die Regierung um ein immer restriktiveres Vorgehen. Seit dem Jahr 2002 wurde im Flughafenverfahren keinem einzigen Flüchtling mehr Asyl gewährt. »Die Anträge werden (…) stets sorgfältig und gewissenhaft geprüft«, erklärte die Regierung schon im Jahr 2000. Sie antwortete damals auf die Forderung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, dass »alle Antragsteller ausreichend Zeit haben (müssten), um ihren Fall gründlich vorzubereiten«, und dass »die Asylbewerber nicht als Kriminelle behandelt werden sollten«.

Vor knapp zwei Jahren eröffnete eine neue Unterkunft auf dem Gelände des Flughafens. Zu sehr war der Ruf des Gebäudes »C 183« wegen seines katastrophalen baulichen Zustands und vor allem wegen des Selbstmords einer dort inhaftierten Algerierin geschädigt. Das neue Gebäude, welches den »besonderen Bedürfnissen der Kinder« unter anderem durch einen begrünten Innenhof Rechnung tragen soll, habe »die Unterbringungssituation für Asylbewerber ganz erheblich verbessert«, erklärte die Bundesregierung. Dass eine Kläranlage direkt neben dem Gebäude gelegen ist, ließ sich wahrscheinlich nicht vermeiden. Der Sprecher von Pro Asyl, Heiko Kauffmann, bewertete damals den Neubau als »die technokratische Verwaltung des Dramas statt seiner Beendigung«. Die TeilnehmerInnen des EU-Projekts kamen nach ihrem Besuch vor vier Wochen zu dem Schluss, dass »das Flughafenverfahren im Kern nicht reformierbar« sei.

Eine unabhängige Betreuung der Flüchtlinge ist seit diesem Jahr kaum noch möglich. Das hessische Sozialministerium löste den Flughafensozialdienst auf, der aus 18 MitarbeiterInnen der Caritas und des Evangelischen Regionalverbands sowie zahlreichen ehrenamtlichen HelferInnen bestand. Jean Claude Diallo vom Evangelischen Regionalverband sah die Arbeit des Sozialdiensts als »Stimmme der Stimmlosen«, die »den Behörden schon immer ein Dorn im Auge gewesen« sei. Heute beraten noch zwei MitarbeiterInnen des Sozialdienstes die Flüchtlinge, während ein privater Sicherheitsdienst sie überwacht.

Tom Hanks, der in dem Film »Terminal« die Hauptrolle spielt, ist fasziniert von der Idee, als Illegalisierter auf einem Flughafen zu leben. Ihm schwebt vor, den ganzen Tag Kaffee zu trinken und Zigaretten zu rauchen. »Es scheint eine wundervolle Welt zu sein (…). Das ist eine echte Marktlücke für den Tourismus. Vielleicht werden wir schon bald nicht mehr in Ländern Urlaub machen, sondern nur wegen eines Flughafens verreisen. Dann kann man erzählen, wie man es zwei Monate im Leonardo-da-Vinci-Airport in Rom ausgehalten hat und danach komplett erholt war. Herrlich!« Das sieht er wohl als Einziger so.