Die sind nicht von hier

In den neuen Bundesländern ist der Anteil von Menschen migrantischer Herkunft kaum höher als zur Zeit der DDR. Daran sind nicht nur die Neonazis schuld. von jörg meyer

Seit dem Fall der Mauer sind sich die ehemalige DDR und die frühere BRD in vielerlei Hinsicht ähnlicher geworden. Menschen und Städte in Ost und West unterscheiden sich optisch nicht mehr, und der jährliche Bananenkonsum in beiden Teilen der Republik ist ausgeglichen, nachdem er Anfang der neunziger Jahre im Osten noch sieben Kilo höher gelegen hat. Längst hat fast jeder Ort in den neuen Bundesländern seine türkische oder italienische Gaststube. Dennoch hat sich der geringe Anteil an Menschen ohne deutschen Pass dort kaum verändert.

Im Jahr 1989 lebten in der DDR etwa 120 000 AusländerInnen. Das entsprach rund 1,2 Prozent der Bevölkerung. Die größte Gruppe stellten dabei die etwa 100 000 VertragsarbeiterInnen, die aufgrund von Regierungsabkommen zwischen der DDR und anderen sozialistischen Staaten für eine begrenzte Zeit Arbeitsverträge besaßen. Mit Abstand die meisten von ihnen kamen aus Vietnam (66 000). Außerdem gab es ArbeiterInnen aus Mosambik (17 000), Kuba (10 000), Polen (9 000) und eine geringe Anzahl aus Angola und China. Ferner hatten sich in der DDR rund 24 000 StaatsbürgerInnen anderer Ostblockstaaten niedergelassen, darunter circa 9 000 ausländische Studierende.

Die Ausländerpolitik in der DDR war gekennzeichnet von systematischer Abschottung. MigrantInnen wurden in erster Linie als Arbeitskräfte gesehen. Sie lebten in Wohnheimen oder »Arbeiterhotels« auf dem Betriebsgelände, zu denen die deutschen KollegInnen wegen restriktiver Anmelde- und Ausweisvorschriften kaum Zutritt hatten. Außerhalb der Betriebe spielten sie im Alltag kaum eine Rolle. Wer beim Militär oder in der Wissenschaft tätig war, musste Kontakte zu MigrantInnen melden.

Es gab keine Verwaltung, an die sich speziell MigrantInnen wenden konnten. Lediglich an den Universitäten gab es vereinzelt Ausländerbeauftragte. Ansonsten war die Betreuung der VertragsarbeiterInnen hauptsächlich den Konsulaten ihrer Herkunftsländer überlassen.

Rassismus existierte offiziell nicht. Erst im Jahr 1989, in der Endphase der DDR, wurde bekannt, dass es bereits in den achtziger Jahren zu einer Reihe rassistischer Übergriffe gekommen war. Wurde einmal über Skinheads berichtet, dann mit dem Hinweis, dass dieses Phänomen aus dem Westen importiert sei.

Im Jahr 1990 bildete sich am zentralen Runden Tisch eine AG Ausländerfragen. Ihre Bemühungen führten dazu, dass die Regierung Almuth Berger, die noch heute dieses Amt in Brandenburg innehat, zur ersten Ausländerbeauftragten der DDR machte. Bei den Kommunalwahlen der DDR am 6. Mai 1990 hatten MigrantInnen erstmals aktives und passives Wahlrecht. Einen Monat später beklagten Abgeordnete mehrerer Fraktionen während einer aktuellen Stunde in der Volkskammer die Zunahme fremdenfeindlicher Ressentiments. Nach der »Wiedervereinigung« wurde das Bild brennender Flüchtlingsunterkünfte nicht nur in Ostdeutschland für ein paar Jahre zur traurigen Normalität.

Gleichzeitig tat sich einiges, zum Beispiel in den Institutionen. Auf Landes-, Regional-, und Kommunalebene wurden Anfang der neunziger Jahre in allen neuen Bundesländern Ausländerbeauftragte eingestellt. Auch entstanden Bürgerinitiativen, die zum Ziel hatten, einen Austausch mit den MigrantInnen zu etablieren. Dazu zählt etwa der Verein Reistrommel in Berlin, der sich, 1990 gegründet, mit den Belangen vietnamesischer MigrantInnen befasst. Unter dem Dach des Verbandes für interkulturelle Arbeit sind über 100 Gruppen und Initiativen zusammengefasst, die teilweise ebenfalls seit Anfang der neunziger Jahre aktiv sind. In der Linken bildete sich Ende der achtziger Jahre eine antirassistische Szene, die MigrantInnen und Flüchtlinge direkt unterstützte oder mit selbst organisierten migrantischen Initiativen zusammenarbeitete.

Die alltäglichen Erfahrungen mit Migration und MigrantInnen in Ostdeutschland sind jedoch nach wie vor begrenzt. »Dies gilt auch und vor allem immer noch für die Aufnahme von Asylbewerbern, die auch heute noch vornehmlich am Rande der Kommunen und in – den merkwürdigsten Regularien unterworfenen – Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind«, kritisierte die Ausländerbeauftragte des Bundes, Marie-Luise Beck, in einer Rede im Jahr 2000. Das Gefühl, dass Migration, wie vieles andere, ein »Westimport« sei, verstärke sich eher.

Nach wie vor ist die Zahl der MigrantInnen und Flüchtlinge in Ostdeutschland im Verhältnis zu Westdeutschland geringer: Im Westen lag ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Ende 2003 zwischen 5,4 Prozent in Schleswig-Holstein und 14,6 Prozent in Hamburg, wobei die Zahl in den Städten stets höher ist als in ländlichen Regionen. Im Osten waren es zwischen 2,0 Prozent in Thüringen und Sachsen-Anhalt und 2,6 Prozent in Brandenburg. Seit dem Jahr 2000 steigt die Zahl wieder leicht an, nachdem sie Mitte bis Ende der neunziger Jahre sogar rückläufig war.

Almuth Berger betont, dass es viel Engagement in der Zusammenarbeit mit und der Förderung von MigrantInnen seit den frühen neunziger Jahren gebe. Es existieren zahlreiche Initiativen und Förderprojekte, die den Berufseinstieg für MigrantInnen und damit die »gesellschaftliche Integration« erleichtern sollen. In Brandenburg sitzt der Flüchtlingsrat zusammen mit VertreterInnen der Landesregierung an einem »runden Tisch«. Auch gesellschaftliches Engagement gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ist Berger zufolge vorhanden. Jedoch endeten viele Projekte häufig, weil die finanzielle Förderung des Bundes unterbleibe und bürgerliches Engagement allein nicht ausreiche.

Die ökonomischen Bedingungen in den neuen Bundesländern bei der Entwicklung integrationspolitischer Konzepte mehr zu berücksichtigen, forderten Ausländerbeauftragte und VertreterInnen migrantischer Organisationen aus Ostdeutschland in einem Memorandum Anfang 2003. Mit Bildern vom rassistischen Osten und dem integrationserfahrenen Westen werde der eine unzureichend dargestellt, der andere beschönigt.

Jens-Uwe Thomas vom Flüchtlingsrat Berlin ist der Meinung, dass sich zwar nach der Wende eine Szene etabliert habe, die MigrantInnen aktiv unterstützt. Die anhaltenden »latenten und auch manifesten Vorbehalte« seien jedoch zum Teil strukturell bedingt. Mit dem Wandel von der restriktiven Ausländerpolitik der DDR zur Asylpolitik der BRD habe die eine »Ausgrenzungspolitik nahtlos an die andere angeschlossen«.