Mehr Geld, weniger dumm

Das deutsche Bildungssystem hat wieder einmal schlecht abgeschnitten. Deshalb soll noch früher aussortiert werden. von steffen falk

Education at a Glance« – Bildung auf einen Blick verspricht die Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), und das im internationalen Vergleich. Am 14. September, etwa drei Jahre nach »Pisa«, präsentierten in Berlin die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn und der Vizepräsident der Kultusministerkonferenz, Steffen Reiche, neue schlechte Zahlen zum deutschen Bildungssystem.

Anders als bei der Pisa-Studie aus dem Jahr 2001 wurden keine Tests an Schülern ausgewertet. Die Hüter und Wächter über finanzielle Stabilität und beschäftigungssichernde Konjunktur überprüften in den 30 Mitgliedsländern, ob und wie sich die Nationen um ihren Nachwuchs kümmern. Lediglich die Bedingungen, unter denen Bildung stattfindet, wurden untersucht, nicht der Inhalt der Lehre selbst.

Die ihre Jugend scheinbar vernachlässigende Bundesrepublik wird in fast allen rankings auf die hinteren Plätze verwiesen. Viele Fakten überraschen wenig. Wer hätte etwa gedacht, dass Hochschulabsolventen weniger oft arbeitslos werden als ihre dual ausgebildeten Altersgenossen? Ansonsten erfährt man anhand der Statistiken, wie es um das Betreuungsverhältnis in den Kindergärten, den Anteil der Studienanfänger eines Altersjahrgangs, den Anteil der Hochschulabsolventen eines Jahrgangs, die Unterrichtszeit pro Jahr bei sieben- bis achtjährigen Kindern und die Bildungsausgaben öffentlicher Haushalte bestellt ist.

»Bildung: Deutschland verliert weiter« (Kölnische Rundschau), »Deutschland verfehlt Klassenziel« (taz) und »Deutschland abgeschlagen auf einem hinteren Platz« (Hamburger Abendblatt) lauteten die ersten Schlagzeilen zum Thema. Doch auch Ansätze zur Interpretation des nackten Zahlenwerks liegen bereits vor. »Bildungsmisere gefährdet Deutschlands Zukunft«, schreibt die Süddeutsche Zeitung, ohne sich um die Leidtragenden des Schulsystems zu scheren. Der Misserfolg des deutschen Bildungssystems im internationalen Vergleich wirft ein schlechtes Licht auf den heimischen Wirtschaftsstandort und dessen künftige Lohnarbeiterschaft, was einen unberechenbaren Standortnachteil im globalen Wettbewerb bedeutet.

Erziehung und Bildung interessieren nicht als Selbstzweck, sondern gelten lediglich als Voraussetzungen für ein Erfolg versprechendes Erwerbsarbeiterleben. Gemeint ist allerdings der Erfolg derjenigen, die die ausgelernten Arbeitskräfte gewinnbringend einzusetzen wissen. Beschäftigt werden die ausgebildeten Staatsbürger nämlich nur, wenn sie den Brauchbarkeitskriterien des im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmertums genügen.

Über sein Bildungssystem will der Staat langfristig den Erfolg und die Profite seiner Wirtschaft auf dem Weltmarkt garantieren. Was zu einer guten Ausbildung gehört, definiert sich aber nach der Gegenwart. Im Hinblick auf den globalen Wettbewerb fordern und fördern Unternehmen und Politik von den Schul- und Hochschulabgängern ein vielseitig verwendbares, allgemeines Wissen sowie die Fähigkeit, möglichst flexibel auf die ständig wechselnden Anforderungen auf dem internationalen Arbeitsmarkt reagieren zu können. Die Sorge um die Ressource »Humankapital« erweist sich also zwangsläufig als eine von Dauer.

Und die Lösungsvorschläge aus Regierung und Opposition, aus Bund und Ländern, von wirklichen und vermeintlichen Bildungsexperten sind so vielseitig und widersprüchlich wie ihre Idealvorstellungen von der zukünftigen Arbeitswelt. Einig sind sich alle Beteiligten lediglich darüber, dass die staatliche Ausbildung in Deutschland kostspielig umstrukturiert werden müsse, um weitere Folgeschäden vom »Land der Dichter und Denker« abzuwenden. Denn die überdurchschnittliche Dummheit resultiert aus einer unterdurchschnittlichen Finanzierung des deutschen Bildungssystems. Das ist die einzige Schlussfolgerung, welche die Ergebnisse der zahlenlastigen Studie unmittelbar nahe legen. So wird darüber gestritten, woher das viele Geld kommen soll und wohin genau es fließen soll.

Der rot-grünen Regierung kommt die Studie nicht ungelegen, um die weitreichende Verantwortung der Bundesländer für die Bildung in Frage zu stellen. Anstatt sich miteinander für das globale Gegeneinander »fit zu machen«, führe das föderale Konzept zu mehreren widersprüchlichen Bildungssystemen, lautet die sozialdemokratische Kritik. Den konservativen Lehranstalten halten sie die Idee eines flächendeckenden Gesamtschulsystems entgegen, in dem die Schüler bis zum zehnten Schuljahr zusammen und voneinander lernen sollen.

Tatsächlich wird in den deutschen Erziehungsanstalten nach wie vor früh aussortiert. Das Förderkonzept sah hierzulande immer vor, weniger Zeit für langsamere Schüler aufzubringen. Und nun fehlt es plötzlich an Studenten.

»Das frühzeitige Aussortieren ist offenbar nicht die beste Lösung«, gestand der Bundesvorsitzende der Grünen, Reinhard Bütikofer, am vergangenen Freitag ein. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordert eine »Schule für alle Kinder«. Immer mehr ins Abseits gerate das auf Auslese beruhende deutsche Schulsystem. Dass aber nur Vorschläge eine Chance darauf haben, verwirklicht zu werden, die eine solche Auslese weiterhin garantieren, passt nicht zur idealistischen Kritik der Bildungsgewerkschaft. Was sie ungewollt fordert, ist eine sozial verträgliche Selektion, bei der die Chance auf Bildung nicht vom Einkommen der Eltern abhängig ist und die dann erforderlich ist, wenn es gilt, sich im Wettbewerb um die schlauesten Köpfe keinen entgehen zulassen.

Wenn die nordrhein-westfälische Schulministerin Ute Schäfer (SPD) auf die fehlende Bereitschaft für radikale Einschnitte hinweist, so meint sie ihre Kollegen in den mehrheitlich konservativen Landesregierungen. »Die Bildungspolitik der Länder wird mies gemacht«, argwöhnte stellvertretend die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) am Donnerstag vergangener Woche im Darmstädter Echo.

Tatsächlich verteidigen vor allem konservative Landesregierungen vehement das dreigliedrige Schulsystem und die darüber betriebene Pflege der Unterschiede. Hoch im Kurs steht dagegen die Ganztagsbetreuung der Schulkinder. Wichtig ist hierbei nicht unbedingt, dass bis in die Abendstunden gelernt wird, sondern dass die Fürsorge des Staates nicht am Mittag endet. Und so ganz nebenbei werden die Kleinen auf die 60-Stunden-Woche vorbereitet.

Aus dem Befund, dass die Bundesrepublik vergleichsweise wenige Studierende aufzuweisen hat, schlussfolgern deutsche Kultus- und Forschungsminister auch nicht die Abkehr von ihren Kürzungsplänen. Für sie gibt es nämlich nie zu wenige Akademiker, sondern immer zu viele Menschen, die sich nutzlos an den Hochschulen herumtreiben und sich auf diese Weise dem Arbeitsmarkt entziehen.

Wenn an der Spitze der Wissensgesellschaft kaum noch was zu drehen ist, geraten die Kleinsten ins Visier der Bildungsreformer. »Frühkindliche Förderung« – unter diesem Motto werden Ideen zusammengefasst, deren Verwirklichung dafür sorgen könnte, dass in Kindertagesstätten und Vorschulen bald die Köpfe rauchen und nicht nur Sekundärtugenden eingetrichtert werden.