Wie heißen Ihre Kuscheltiere?

Die Fragebögen zur Gewährung des Arbeitslosengeldes II sind verschickt. Die Arbeitsloseninitiativen diskutieren Strategien gegen die Datensammelwut der Behörden. von steffen falk

So viele Fragen. So viele Zusatzbögen. Die Fragen eines lesenden Arbeitslosen könnten zurzeit in etwa so lauten: Wie lebt es sich mit einem »nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten«? Möchte er vielleicht nicht lieber selbst einen Antrag ausfüllen? Wann darf eine Gemeinschaft eine »Bedarfgemeinschaft« sein, und wessen darf sie bedürfen? Wann ist ein Haushalt eine Haushaltsgemeinschaft? Sollte ich jetzt schwanger sein oder doch besser nicht? Was ist ein »Beleihungszinssatz«? Kann ich nach all den Jahren noch »mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen«? Hat meine Plüschtiersammlung aus alten Kindertagen mittlerweile antiquarischen Wert?

Seit dem 19. Juli versendet die Bundesagentur für Arbeit die 16seitigen Anträge für das neue Arbeitslosengeld II, das zum 3. Januar 2005 in Kraft treten soll. Und noch nie zuvor wurden über zwei Millionen Menschen mit einer größeren Fürsorge konfrontiert. In den Agenturen für Arbeit wurde ein Heer von Beratern eingestellt, in Callcentern wurden Hotlines eingerichtet, und »Bild erklärt jeden Tag die neue Stütze«. Das scheint auch bitter nötig zu sein.

»Wer nicht zurechtkommt, soll mich anrufen«, meinte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) in der vorigen Woche. So viel Bürgernähe muss belohnt werden, dachte sich die Sozialinitiative Tacheles e.V. in Wuppertal und empfahl auf ihrer Internetseite umgehend die Durchwahl von Clements Büro in Berlin. Am Mittwoch vergangener Woche zogen mit hämischen Kommentaren Die Welt und die taz nach.

Durch einen Telefonansturm vieler Ratsuchender wurde Clements Büro lahm gelegt. Woher kommt aber der superministerielle Unmut über die Verwirrung und unterstellte Dummheit der Betroffenen? Zum bloßen Ausfüllen bedarf es sicherlich nicht mehr als einer Dreiviertelstunde. Wie viel Zeit aber brauchen die Abhängigen von staatlicher Lebenshilfe, um die Folgen falschen Ausfüllens zu bedenken? Oder gar die Folgen richtigen Ausfüllens, das bei der gegenwärtigen Neudefinition von Leistungsberechtigung auch keine gesicherte Existenz mehr garantiert? Um der Ehrlichkeit der Mitbürger auf die Sprünge zu helfen, braucht es schon die vorsorglich angedrohten Sanktionen und Hausbesuche zur Überprüfung der Angaben.

Bei der begonnenen Anwendung des Sozialgesetzbuches II handelt es sich um eine Art der Inventur, ähnlich einer Volkszählung. Es geht um eine Bestandsaufnahme in Sachen nationaler Reichtum bei denen, die dem Wirtschaftsstandort Deutschland unnötige, einzusparende Kosten bereiten. Von wegen, man kann einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen! Der Beweis muss fortan erst einmal erbracht werden, und zwar von den hilfebedürftigen Erwerbslosen selbst.

Die Langzeitarbeitslosen werden zu einer peniblen Offenlegung ihrer Lebens- und vor allem Besitzverhältnisse genötigt, weil der Staat die von ihm anerkannten Einwohner seines Landes als sein lebendiges Eigentum betrachtet. Wie heißt es doch so wenig schön, aber grundehrlich in den Fragebögen: »Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.«

Erst die Briefmarkensammlung verhökern, dann von dem eingenommenen Geld Brot und Windeln für die nächsten Monate kaufen, das ist die Devise. Die materielle Lage der Erwerbslosen wird auf ein Niveau gesenkt, das sie zu jeder Zeit, zu jeden Bedingungen und vor allem für jeden Lohn zu willigen Anbietern ihrer Arbeitskraft machen soll. Solange sie dies nicht sind, sehen sie sich einem beliebten Vorwurf ausgesetzt: Wenn ein Arbeitsloser von Rücklagen oder Ersparnissen lebt oder leben könnte – schon der Verdacht wirkt sich negativ aus –, entzieht er sich dem Arbeitsmarkt. Bevor Lohnabhängige sich aber einbilden, gar nicht lohnabhängig zu sein, zwingt ihnen der Staat die eigenverantwortliche Absicherung gegen die Risiken auf, die ein Arbeitsleben hervorbringt.

Dass bei der Durchsetzung der beschlossenen Maßnahmen zunächst viel Geld ausgegeben und, entgegen den Gepflogenheiten in dieser Gesellschaft, nicht wieder eingenommen wird, sollte nicht verwundern. Wie jede andere auch, steht diese Bundesregierung bedingungslos zu den notwendigen Kosten im Reformprozess. Als Teil der ohnehin vorhandenen Verwaltungsaufgaben sind Wirtschafts- und Sozialreformen permanente und dringend notwendige Angelegenheiten. Wozu dieser Aufwand? Das erklären Politiker auf jeder Pressekonferenz: um die Konkurrenzfähigkeit der Nation im internationalen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und zu verbessern.

Das Recht auf eine eigene, unverletzliche Privatsphäre ist von dem, der es gewährt, jederzeit kündbar. Etwa wenn jemand nicht mehr dazu in der Lage ist, eine »Bedarfgemeinschaft« zu ernähren. Nicht Eigentum verpflichtet also, die Bürger werden auf Eigentum verpflichtet.

Auf Anraten von Peter Schaar, dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, wurden der staatlichen Neugier allerdings Grenzen gesetzt. Der umstrittene Zusatzbogen 2, auf dem die Antragsteller ihre Einkommensverhältnisse und die ihrer Angehörigen darlegen sollten, wurde überarbeitet. Bislang war die Bescheinigung auf der Rückseite eines Formulars abgedruckt, das aus Sicht des Datenschützers sensible Angaben enthält. Nun können Antragsteller die Einkommensbescheinigung von Angehörigen als separates Blatt in den Agenturen abholen oder aus dem Internet herunterladen.

Langzeitarbeitslose, die sich wehren wollen, treffen auf ein reichhaltiges Angebot. Die Sozialverbände und Arbeitsloseninitiativen der Republik reagieren mit zwei sich widersprechenden Konzepten. Radikale Gegner fordern bis zur endgültigen rechtlichen Klärung zu einem Boykott der Fragebögen auf. Die Anträge selbst sollten dennoch gestellt werden.

Von anderen Gruppen wird das sehr genaue Ausfüllen mithilfe von Nachfragen, Sachverständigengutachten und ähnlichen rechtlichen Mitteln empfohlen. So soll der bürokratische Aufwand für die Bundesagentur in die Höhe getrieben werden. Die Abgabe der Anträge und Zusatzbögen sollte aber dennoch fristgerecht erfolgen, um bei der Auszahlung der neu berechneten Leistungsberechtigungen dabei zu sein. Was beide Konzepte nicht beachten: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Auch die öffentliche Kritik geht vor allem gegen die Realisierung von Hartz IV vor. Selbst aus der CDU, deren Ministerpräsidenten Hartz IV im Bundesrat zustimmten, kommt nunmehr Kritik. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag, Friedrich Merz, sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: »Das wird Maut plus Dosenpfand hoch zehn.«

Es ist aber nach wie vor nicht die mangelhafte oder ungerechte Art der Durchführung zu skandalisieren, sondern das Gesetz selber. Zu kritisieren sind nicht der willkürliche Umgang mit dem Gesetz, sondern der Gesetzgeber und die Ziele und Zwecke seiner Gesetze.