Die Fabrik atmet wieder

Daimler-Chrysler setzt seine Forderungen nach unbezahlter Mehrarbeit durch. Die Gewerkschaften aber sehen einen Verhandlungserfolg. von stefan wirner

Deutlich gesteigerte Gewinne bei der amerikanischen Tochter Chrysler und im Nutzfahrzeuggeschäft haben den operativen Gewinn des Stuttgarter Autobauers Daimler-Chrysler im ersten Quartal nach oben getrieben«, konnte man im April in der Internetausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen. Das operative Ergebnis des Konzerns habe sich gegenüber dem Vorjahr um zehn Prozent auf 1,54 Milliarden Euro erhöht, hatte das Unternehmen zuvor mitgeteilt.

Die Gewinne, die hier gemacht wurden, scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben. Denn bereits im Juli ging es Daimler-Chrysler offenbar so schlecht, dass die Unternehmensleitung zum Mittel der Erpressung griff, um Einsparungen in der Höhe von 500 Millionen Euro durchzusetzen. Entweder man spare diesen Betrag an den so genannten Personalkosten, also an den Löhnen ein, oder es würden Teile der Produktion ins Ausland verlagert.

Die Erpressung ist aufgegangen. Für die Unternehmensleitung von Daimler-Chrysler ist das Ergebnis der »harten« und »engagierten« Verhandlungen, wie der Gesamtbetriebsrat Erich Klemm sie nannte, ein voller Erfolg. Auf der Habenseite der Manager um Jürgen Schrempp stehen Einsparungen im gewünschten Umfang von 500 Millionen Euro; auf eine Entgelterhöhung von 2,79 Prozent, die für das Jahr 2006 vorgesehen war, wird verzichtet; für die Beschäftigten im Dienstleistungsbereich bei Daimler-Chrysler, also etwa in den Betriebskantinen, wird ein neuer Tarifvertrag erstellt, der die 39-Stunden-Woche vorsieht; in den Bereichen Forschung, Entwicklung und zentrale Planung kann zukünftig 40 Stunden in der Woche gearbeitet werden.

Was haben die Gewerkschaften und der Betriebsrat erreicht? Bis zum Jahr 2012 soll es keine betriebsbedingten Kündigungen geben; der Flächentarifvertrag bleibt erhalten. Diese magere Ausbeute bezeichnete der Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, als eine »gute Lösung für den Standort Deutschland«. Berthold Huber, sein Stellvertreter, sah fast einen Sieg im Klassenkampf: »Dieses Ergebnis ist eine Ohrfeige für diejenigen, die in dumpfen Forderungen nach genereller Arbeitszeitverlängerung und im Brechen der Tarifverträge ihr Heil suchen.«

Bereits vor den Verhandlungen hatte Peters angekündigt, den Konflikt nicht weiter »eskalieren« zu lassen. Dem »Dammbruch«, den man verhindern wollte, hat man am Ende zugestimmt. So einigten sich etwa auch bei Bosch in der vorigen Woche das Management und der Betriebsrat auf einen Sparplan, mit dem die Löhne sinken. Bei MAN, bei Opel und VW sind nach einem Bericht der Bild-Zeitung ähnliche Arbeitszeitverlängerungen geplant.

Allzu gut dürfte die Stimmung bei den Lohnabhängigen von Daimler-Chrysler nicht sein. Frank Stroh von der Bezirksleitung der IG Metall in Stuttgart sagte der Jungle World, in den Betriebsversammlungen in Gaggenau, Rastatt und Sindelfingen habe es »positive Reaktionen« gegeben. »Keiner hat Juhu geschrien, aber die Beschäftigungssicherung hat einen hohen Stellenwert.«

Das mag stimmen, doch die Diskussion geht weiter, und der Druck auf die Beschäftigten aller Branchen steigt. Jürgen Schrempp formulierte es in der Sprache der Unternehmer, in der die Konzerne immer mehr vermenschlicht und die Menschen zu reinen Kosten werden. Er sagte, die Unternehmen bräuchten »wieder Raum zum freien Atmen im Rhythmus der Auftragszyklen«. Wer das anders sieht, dem wird mit offener Erpressung die Luft abgedreht, bis er in die Knie geht.

Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, bleibt dennoch optimistisch. Er kommentierte das Verhandlungsergebnis so: »Niemand muss sich mehr fragen, ob sein Standort in den nächsten Jahren noch existiert, ob sein Einkommen sicher ist und inwieweit er privat überhaupt noch planen kann.« Doch warum sollte jemand an eine Arbeitsplatzgarantie bis 2012 glauben, wenn die Entgelterhöhung für 2006, die auch einmal erstritten wurde, bei der erstbesten Gelegenheit einfach gestrichen wird?