Gepflegte Damenwitze

Harald Schmidt feierte in seiner Late Night Show das quer denkende Bewusstsein. Seine Nachfolgerin Anke Engelke triumphiert mit dem gnadenlosen Zoten-Mainstream eines falsch verstandenen Comedy-Feminismus. von joachim lottmann

Am Spiegel war doch immer so schön, dass man sich auf ihn verlassen konnte. So wie auf Harald Schmidt. Diese beiden, Spiegel und Schmidt, machten den Unterschied. Durch sie lebten wir nicht in Österreich. Wir waren nicht Belgien oder die USA, sondern Deutschland. Wir waren nicht fremd im eigenen Land, wir Intellektuellen. Wir, die wir nicht Focus lasen und die von Kai Pflaume moderierte Wok-Weltmeisterschaft gnädig ertrugen und »Star Search II« ebenso. Der Medienfaschismus hatte zwei Burgen nicht schleifen können, Schmidt und Spiegel, und das reichte uns. Leute mit Geld konnten zudem noch die taz kaufen oder die Jungle World.

Bis Harald Schmidt schlapp machte. Ersetzt wurde er nun durch Anke Engelke. Seitdem fragen wir uns: Was mochten wir an Harald Schmidt, was machte ihn so großartig? Und warum ist seine Nachfolgerin so scheußlich? Warum können wir über Ankes männerfeindlichen Sexismus nicht lachen? Weil alle ihre Witze aus demselben Frau-Mann-Schema schöpfen? Weil ihr Menschenbild das einer achtjährigen Göre ist? Oder doch, ganz inhaltlich begründbar, weil ihre Witze ausnahmslos umgedrehter männerverachtender Latrinenhumor sind? Die Antwort erhält, wer probeweise in den Witzen die Geschlechter tauscht. Dann sind die saufenden, gemeinsam in Bordellen fremdfickenden Väter am Vatertag also Frauen. Ganz bestimmte Frauen: Schlampen. Saufende, manisch kollektiv fremdfickende Schlampen, die alles bohnern, was nicht bis vier auf dem Autodach ist. Lustig, nicht? Aber nur ab und zu, nicht eine ganze Sendung lang und die jeden Abend und jedes Jahr.

Trotzdem mögen viele Frauen Anke, gerade die, die so alt sind wie sie, also 38. Warum? Weil man kleine infantile Mädchen mag, die »frech« sind? Weil Anke so eine schnuckelige Teeniefigur hat und viele 38jährige sich wünschen, ebenfalls wie 18 auszusehen und niemals zu altern? Weil es immer schön ist, gerade über das zu lachen, auf dem seit zehn Jahren »Hier darf gelacht werden« draufsteht? So sind langatmige Witze über den Papst schon seit 30 Jahren erlaubt und absolut risikofrei. Da nur noch einer von 100 Leuten an die Jungfrauengeburt glaubt, dürfen die anderen 99 immer schön auf diesen einen einschlagen. Jungfrauengeburt, ha ha ha! Der Papst, der olle Klemmi, hö hö hö! Möcht’s am liebsten selbst mal machen, hi hi hi, aber er hat halt nur ‘n ganz Kleinen, kreisch, lach, polter! Wer Witze über »den alten Macho im Petersdom« macht, gilt journalistisch als mutig. Warum, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, warum diese »Wir Mädels«-Soße nun schon seit Jahren quer durch alle Schichten so schmunzelnd wohlwollend aufgenommen wird, von »Sex and the City« bis Elke Heidenreich.

Nun sagen meine besten Freunde: Anke ist gut, nur die blöden Gagschreiber sind schlecht. Stimmt nicht, sage ich: Harald Schmidt hatte auch schlechte Autoren, konnte aber jeden Satz durch einen Brechtschen Entfremdungseffekt in sein Gegenteil drehen, konnte eine distanzierende Schwebe herstellen, ein zeit- und raumloses Zwischenreich, in dem Bewusstsein entstand. Harald Schmidt konnte dekonstruieren, Anke Engelke bloß Kalauer ablesen. Anke ist deutsche Comedy von 1995, Harald ist Beckett von 1948. Anke ist das Wirtshaus für Frauen, Harald das Theater am Schiffbauerdamm. Anke verhält sich zu Harald wie Juhnke zu Brecht. Und eben wie Focus zum Spiegel, um es nochmal abzurunden.

So macht sie am Tag, als die Amis im Irak eine Hochzeitsgesellschaft mit Granaten beschießen – 41 Tote, die meisten Frauen und Kinder – und die Israelis einen Demonstrationszug – 21 Tote –, ihre Sendung über das Schuheputzen von Kai Pflaume. Klar, dass der Spiegel die Story auf den Titel bringen wird, während Focus ungerührt aufmacht mit »Faszination Radfahren, ein Trend, der immer mehr Freunde findet«. Harald Schmidt wiederum, das Genie, hätte wie immer beides miteinander verbunden. Er hätte Kai Pflaume den Stiefel eines GI aus dem Foltergefängnis putzen lassen.

Anke Engelke findet es wahrscheinlich wirklich lustig, wenn sie den »sympathischen« Pflaume – wahrlich eine Pflaume, dieser Obersympath – die halbe Sendezeit dergestalt putzen läßt. Sie hält es für Humor. Für Harald-Schmidt-Humor. Sie denkt, das sei so schön schräg. Wie damals, als Harald die gesamte Französische Revolution mit Playmobilfiguren nachstellte. Sie ahnt nicht, dass es Harald damals ernst war. Dem war es wichtig, was er da vermittelte: Danton, Robespierre, Wohlfahrtsausschuss, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sie kennt den Unterschied nicht zwischen Aufklärung und Schuheputzen. Sie kann sich gar nicht vorstellen, dass jemandem etwas wirklich wichtig ist. Das klänge für sie wie »sich wichtig nehmen«. Und da muss man gegen angehen, als Mädel! Immer vor’s Schienbein treten, wenn die Jungs angeben wollen, was? Allez, Achtjährige voran!

Aber ist sie wenigstens anarchisch? So zeitlos komisch wie die Marx Brothers? Sie muss ja nicht gleich Charlie Chaplin sein, Laurel & Hardy täten es ja auch schon. Doch weit gefehlt. Beispiel: Das ausgelaugte Autorenteam von Brainpool hat in der Redaktionssitzung herausgekriegt, dass am Tag der Sendung vor 209 Jahren das Metermaß eingeführt wurde. »Super«, ruft einer, »da machen wir was draus.« Die Aufgabenstellung versteht sich von selbst: irgend einen witzigen Zusammenhang von dem genormten Meter und der Schwanzlänge eines Typen zu finden. Kurz die Gegenprobe: das Metermaß wäre 1795 eingeführt worden, damit ich heute die Muschi meiner Freundin genau abmessen kann, har har har! Nicht spaßig?

Auch das Publikum ist mutiert: War es unter Schmidt der menschliche Querschnitt unseres zutiefst demokratischen und demokratisch gewachsenen rotgrünen Deutschlands, ist es unter Anke die vertierte, rohe, gesichtslose Klatschmaschine des nunmehr endgültig verkommenen Medienzeitalters. Ebenso die Band: Aus den verunglückten Zerlett-Heinis, diesen ängstlichen, deplatzierten armen Schweinen, denen man jeden Schweißausbruch ansah, ist eine im dunklen Violett verschwindendende Computerband geworden, ins Bild geholt wie per Trickanimation, anonym und gesichtslos auch sie. Einer der Musiker soll Ankes derzeitiger Lebensgefährte sein. Das passt ja. Für eine Frau, die vier Jahre lang Benjamin von Stuckrad-Barre geliebt hat, ist das dieselbe Fallhöhe wie von Schmidt herunter zur jetzigen Sendung.

Natürlich wird in der Show auch pausenlos Reklame für all die anderen Sat.1-Shows gemacht. Das war auch früher schon so. Aber während von Harald diese Star-Search-und Family-date- und nur-die-Liebe-zählt-Tipps wie mit der Pinzette weitergereicht wurden, spürbar angeekelt, merkt man nun: Da ist kein Unterschied zwischen diesen ganzen Sat.1-Shows und Ankes Late Night. Anke liefert flaue Witze gegen Männer und sonst gar nichts. Da wird ein Politiker wie Klaus Wowereit eingeladen, der mit süßlichem Lächeln den Dauerton der Anzüglichkeiten mit anhört und dann über den Männerstrip reden bzw. lachen soll. Zwischendurch gibt es Straßenbefragungen, wo durch gezielt irreführende Fragen harmlose Bürger als Vollidioten denunziert werden. Ha ha.

Wowereit ist immer noch da. »Sind Sie Schuhfetischist?« Was für eine freche, freche Frage wieder von der frechen kleinen Maus. Ach, alle sind noch da, auch das Brechmittel mit dem »sympathischen« Golden-Retriever-Face, Kai Pflaume. Der erzählt, unser Bundespräsident habe in seiner Wohnung zu Anke gesagt, er fände sie »geil«. Und in der Tat, geil sieht sie schon aus. In der Sendung wird der Ausrutscher dann auch als Indiz für Raus »Lockerheit« genommen. Denn darum, nur darum geht es im verbindlichen Weltbild des Privatfernsehens. Locker sollst du sein, und niemals darf es dir um etwas gehen. Sei locker, sei das Nichts! Gehe ins Nirwana ein als entmenschte Klatschmaschine und alles wird gut. Wenn du ein Mädel bist.