Arabischer Karneval in Ramat Gan

Zum ersten Mal gewann ein palästinensischer Verein den israelischen Fußballpokal. von martin krauss

Bnei Sakhnin sollte besser von diesem Spiel fernbleiben.« Der Anrufer in der Call-In-Sendung der lokalen Radiostation »A-Shams« gab sich aggressiv. Er war ein Fan des Fußballvereins Hapoel Haifa, eines fast bankrotten Zweitligisten.

»Dieses Spiel«, das er meinte, war das Finale um den israelischen Pokal, das am vergangenen Mittwoch ausgetragen wurde. Gewonnen hat es mit Bnei Sakhnin zum ersten Mal in der israelischen Geschichte ein arabischer Verein.

In Sakhnin, einer Kleinstadt im Norden Israels, spricht man von diesem Mittwoch als dem »Tag der Unabhängigkeit der palästinensischen Araber von Israel«, wie die linksliberale Ha’aretz berichtet. Sakhnin ist eine Stadt mit fast 30 000 Einwohnern in der Nähe von Akko im Norden Israels. 1976 und 2000 kam es hier zu tödlichen Auseinandersetzungen. Beim zur Teilnahme am Uefa-Cup berechtigenden Sieg im Nationalstadion von Ramat Gan waren neben blau-weißen Israelfahnen auch auf Pappschilder gezogene Fotos von im Oktober 2000 getöteten Palästinensern zu sehen.

38 000 Zuschauer waren in den Vorort von Tel Aviv gekommen, aus den palästinensischen Gebieten waren es 25 000. Nicht nur das israelische Fernsehen, auch Al-Jazeera und CNN berichteten live. »Es war ein arabischer Karneval im Herzen des Landes«, urteilt Zuheir Bahlou, ein arabischer Radioreporter. »Wann haben schon einmal Tausende von Arabern zuletzt eine israelische Stadt besucht?«

Der Fußballerfolg verändert die mediale Präsentation Israels. »Während das Fernsehen die Bilder von der Belagerung Rafahs zeigte«, schreibt die konservative Zeitung Yedioth Ahronoth, »schossen die Feuerwerkskörper in den Himmel, strömten die Massen auf die Straßen und drückten auf ihre Autohupen.« Bassam Jaber, der als Journalist bei der israelisch-arabischen Wochenzeitung Panorama arbeitet, meint: »Ich habe noch nie eine solche Nähe zwischen Juden und Arabern gespürt wie an diesem Tag.« Und Abu Rayah, Sprecher der Stadt Sakhnin, befindet: »Vielleicht werden uns durch den Fußball die Juden besser kennen lernen. Wir haben nämlich viele Dinge gemeinsam, aber wegen des Konflikts sehen wir sie kaum.«

Die arabischen Fans im Nationalstadion Israels verliehen den bei einem Pokalfinale üblichen Formalia eine besondere Note. »Dass etliche Spieler von Sakhnin die Hymne nicht mitsangen«, gibt sich die Jerusalem Post großzügig, »war vergessen, als die Spieler sich nach dem Spiel die israelische Flagge nahmen und auf die Ehrenrunde gingen.«

Vor der Ehrenrunde war das Spiel. »Ich habe schon viele Finals gesehen, aber ich kann mich an kein solches erinnern«, sagt Itche Menahem, der Präsident des israelischen Fußballverbandes. Hapoel war in der ersten Halbzeit in Führung gegangen, aber in der 61., der 64. und der 77. Minute drehte Bnei Sakhnin das Spiel, und in der 88. Minute fiel der Treffer zum 4:1-Endstand. Und dass die Mannschaft des israelischen Trainers Eyal Lahmann als Tretertruppe gilt, war an diesem Tag nicht zu erkennen. Als »brutale Tiere« wurden sie im Januar vom Präsidenten des Ligakonkurreten Hapoel Petah Tikwa beschimpft, und den Kartenrekord hält Bnei auch. »Wir haben uns entschieden, körperlich zu spielen«, rechtfertigt Trainer Eyal Lahmann solche Auftritte.

»Können Sie sich vorstellen, dass ein Team, das so viel erreicht hat, so arm ist, dass es kein Stadion, ja nicht einmal einen eigenen Trainingsplatz besitzt?« fragt Mohamed Bashir, der Bürgermeister von Sakhnin. Zwar ist man in Sakhnin auf die Jugendabteilung mit etwa 1 000 Jugendfußballern stolz, aber an der Infrastruktur mangelt es sehr.

Nach dem Erfolg rief Israels Ministerpräsident Ariel Sharon bei Mazen Ghnaem an, dem arabischen Besitzer des Clubs. Er gratulierte und sagte umgerechnet 700 000 Euro für den Bau eines Stadions zu. Kurz nach Sharon rief auch Yassir Arafat an, auch er wollte gratulieren. Und ganz stolz gibt sich der für den Sport zuständige israelische Erziehungsminister, Limor Livnat: »Der Sieg eines Teams aus dem arabischen Sektor ist buchstäblich ein Ehrenzeichen für die israelische Gesellschaft.«

Ob sich das ökonomisch ausdrücken wird, ist offen. Erst kürzlich sprang bei Bnei der Sponsor ab. Adi Gross, der sich für den Club um Firmen im israelischen Kernland als Sponsoren kümmerte, scheiterte. »Sie wollen nicht mit dem arabischen Sektor assoziiert werden«, sagt er. »Vielleicht ändert sich das ja jetzt, wo Sakhnin Israel in Europa vertritt.«

Bnei Sakhnin ist der bislang erfolgreichste arabische Fußballclub Israels und erst der dritte überhaupt, der es in die erste israelische Liga geschafft hat. Der erste war in den neunziger Jahren Hapoel Taibe aus der Westbank.

Amir Ben-Porat ist Sportsoziologe an der Ben-Gurion-Universität in Beer-Shewa und hat intensiv zu Hapoel Taibe geforscht. Dass Hapoel Taibe mit Erfolg am israelischen Fußballbetrieb teilnahm, beweist seines Erachtens, dass große Teile der arabischen Bevölkerung an der israelischen Gesellschaft teilnehmen wollen. »Statt von den nationalistischen Provokationen einiger jüdischer Zuschauer in den Stadien zermürbt zu werden«, fasst die Ha’aretz seine Studien zusammen, »versuchen die Araber diese Auseinandersetzungen zu nutzen, um einen neuen Diskurs der Integration zu schaffen.« Ben-Porat verweist auf die Schwarzen in den USA, bei denen der Sport eins der wichtigsten Medien war, um gesellschaftliche Emanzipation zu erreichen.

»Fußball kann zwei verschiedene Dinge ausdrücken«, sagt Ben Porat, »Integration auf der einen Seite, Protest und Konflikt auf der anderen. Israelischer Fußball drückt beides gleichzeitig aus.«

Wie das konkret aussieht, kann ein Lkw-Fahrer berichten. Er hatte in der Nacht zum Donnerstag seinen Coca-Cola-Truck am Ortseingang von Sakhnin geparkt, weil wegen der Jubelfeiern keine Chance bestand, in den Ort zu gelangen und die Lieferung zuzustellen. Fans sahen ihn, stürmten seinen Wagen, verteilten die Flaschen, die sie dort fanden und spritzten mit der Cola in der Gegend rum, als wäre es Champagner.