Bündnis für den Sozialstaat

Auf dem Perspektivenkongress am kommenden Wochenende in Berlin sollen Alternativen zur Politik der Bundesregierung und der Globalisierung gesucht werden. von steffen falk

Als am 5. Dezember 2002 Attac, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Venro, der Dachverband der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, auf einer Pressekonferenz ein Papier zur so genannten Globalisierung vorstellten, sollte dies der offizielle Beginn eines Erfolg versprechenden Joint Ventures sein. Unter dem Titel »Globalisierung gerecht gestalten« wurde erstmals eine gemeinsame Stimme gegen die Sozialstaats- und Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung erhoben.

Doch nicht immer läuft die Zusammenarbeit zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Als die gemeinsamen Demonstrationen am Europäischen Aktionstag gegen den Sozialabbau am 3. April dieses Jahres, an denen sich auch viele Sozialverbände beteiligten, vom DGB dominiert wurden, war schon von einer feindlichen Übernahme durch die Gewerkschaften die Rede. Äußerungen wie die von Hubertus Schmoldt, dem Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), der Aktionstag sei und bleibe »eine Kundgebung des DGB«, sorgten bei Attac zusätzlich für Unmut.

Doch bei allen Reibereien und inhaltlichen Unterschieden ist der Nutzen der Zusammenarbeit für beide Seiten unbestritten. Während die Globalisierungskritiker in der Öffentlichkeit an Seriosität hinzugewinnen, werden die Vertreter der Lohnabhängigen auch für Jüngere wieder attraktiver. Unter dem Motto »Es geht auch anders« treffen sich nun am kommenden Wochenende an der Technischen Universität Berlin (TU) die Enttäuschten der Republik, um über Perspektiven für eine andere Politik zu diskutieren.

Die Liste der beteiligten Organisationen liest sich wie ein Who is Who der außerparlamentarischen Sozialdemokratie. Neben Attac und verschiedenen Einzelgewerkschaften rufen vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und dem freien Zusammenschluss der Studierendenschaften bis zur Volkssolidarität und dem Wissenstransfer e.V. fast alle wichtigen Verbände, Gruppen und Initiativen der Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung und aus dem kirchlichen Milieu zu dem »Perspektivenkongress« auf.

Zustande gekommen ist der Kongress auf Initiative der Professoren Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf und des Dozenten Frieder Otto Wolf aus dem wissenschaftlichen Beirat von Attac. Der aufrufende Text, der von einer Redaktionsgruppe mit Mitgliedern aus verschiedenen Verbänden erstellt wurde, sollte auch dazu dienen, noch weitere Organisationen für eine Teilnahme zu gewinnen.

Man wollte es offensichtlich allen recht machen. Der Aufruf zeugt von dem ernsthaften, aber gescheiterten Versuch einer Kritik an der Ideologie der Chancengleichheit und der Marktgerechtigkeit. Dieses Konglomerat aus schon bekannten Flugblättern und Appellen aus der Bewegung gegen den Abbau des Sozialstaats geht von dem Idealbild vom kapitalistischen Markt aus, das sich Attac und seine Verbündeten offenbar nach wie vor machen.

Es ist ein langweiliges Spiel, der Regierung und denen, die von ihrer Politik profitieren, vorzuwerfen, dass sie lügen. Jeder weiß, dass der Sozialstaat nicht gerettet wird, indem man ihn zusammenstreicht. Eine Perspektive bietet sich einem selbst erst wieder, wenn man das Richtige in der falschen Wirtschaftsweise entdeckt und der Wirtschaft und der Regierung Ziele und Zwecke unterstellt, die diese gar nicht haben. So behauptet man, Alternativen zur herrschenden Markt- und Wettbewerbsideologie zu diskutieren, und vertritt dabei genau letztere.

Selbstverständlich taucht der Sachzwang, nach dem sich Wirtschaft und Nationalstaat richten, nicht aus dem Nichts auf, sondern wurde von den verantwortlichen Akteuren des Marktes selbst erst eingerichtet. Die Politik glaubt selbst fest daran und handelt auch danach, dass es für das Wohlergehen der Bevölkerung nichts Besseres gibt als das heimische Kapital und dessen Wachstum in aller Welt. Der behauptete objektive Zwang muss als Grund für Maßnahmen herhalten, die für die meisten Menschen noch immer eine Verschlechterung ihrer konkreten Lebenssituation mit sich bringen.

Dass dahinter ein ganz klares Bedürfnis einer anonymisierten Interessengemeinschaft, die auch gerne »die Wirtschaft« genannt wird, nach geringeren Lohnkosten und mehr Chancen in der weltweiten Konkurrenz steht, scheint für die Perspektivensucher jedoch nicht hinterfragbar zu sein. Denn der Paradigmenwechsel in der Sozialstaatspolitik und die Reform des Arbeitsmarkts werden gemessen an dem Zweck, den man der Wirtschaft sehr wohl zugesteht.

So beklagt die Vorbereitungsgruppe in dem Aufruf u.a., dass »der Bevölkerung gesamtwirtschaftlich weitgehend sinnlose Opfer« abverlangt würden. »Das verstärkt die gravierende Nachfrageschwäche, die auch vielen Unternehmern zum Verhängnis wird.« Solche Sätze suchen verzweifelt nach einem Gesamtinteresse, wo keines ist.

Der »grundlegende Umbau der Gesellschaft« wird beklagt und somit ein grundlegendes Einverständnis mit dieser Gesellschaft bekundet. Was bedeutet dieses ominöse »Es« in dem Motto: »Es geht auch anders!« Und wie geht »es« anders?

In der Vorstellung so: »Dazu zählen z.B. der ökologische Umbau, der Ausbau sozialer Dienstleistungen, mehr öffentliche Investitionen in Bildung und Infrastruktur, eine wirksame Verteilung nach unten durch Vermögenssteuern und Mindestbesteuerung von Unternehmen, eine solidarische Bürgerversicherung oder ein existenzsicherndes Mindesteinkommen für alle Menschen.« Ja, »es« könnte so schön sein. Doch wer den »Ausbau sozialer Dienstleitungen« fordert, hat die zu verwaltende Armut längst akzeptiert und will sie allenfalls »sozial verträglich« gestalten.

Letztlich werden von den Podiumsteilnehmern und Seminarbesuchern Verbesserungsvorschläge und ein alternatives Regierungsprogramm zur Verwirklichung derselben Ziele erarbeitet, die sich auch die so arg gescholtene Bundesregierung gesetzt hat. So macht der Kongress am Samstag erst einmal das, was zurzeit alle tun: »Wege zu mehr Beschäftigung« suchen.

Während sich die Wirtschaft fragt, wie viel Demokratie der Markt verträgt, fragt sich der Kongress, wie viel Markt die Demokratie verträgt. »Der Sozialstaat ist finanzierbar«, verkündet der Titel einer Veranstaltung, »Bildung ist keine Ware« der einer anderen. »Innovationen – Wohin?« fragt eine weitere. Neu ist das alles nicht, und es kann eine Perspektive nur bieten, wenn man sehnsüchtig in die verklärte Vergangenheit schaut.

Die angekündigte Kontroverse dürfte auch ausfallen, wenn auf dem Abschlusspodium am Sonntag »einer anderen Perspektive für ein modernes Deutschland« nachgegangen wird und ein »alternatives Vollbeschäftigungskonzept« gesucht wird. Eine Diskussion über Wahlalternativen soll auf dem Kongress nicht stattfinden, eine Wahlempfehlung soll schon gar nicht ausgesprochen werden. Warum eigentlich nicht, muss man sich angesichts des Programms fragen.

Doch unter dem Aufruf zum Kongress finden sich weder der beleidigte Flügel der SPD noch die Initiative Soziale Gerechtigkeit wieder. Das Politikerverbot führte sogar dazu, dass dem in der Bewegung wohl gelittenen Tobias Pflüger wegen seiner Kandidatur für die PDS bei den anstehenden Europawahlen ein Podiumsplatz aberkannt wurde. Es geht wohl auch darum, die Illusion eines großen Aufbruchs von »unten« aufrechtzuerhalten.

Ein erklärtes Ziel der Veranstalter ist neben einem Folgetreffen und dem Erstellen eines Tagungsbandes die Bildung eines deutschen Sozialforums spätestens im nächsten Jahr, mit dem auch eine Beteiligung am Kirchentag angestrebt wird. Es wächst zusammen, was zusammengehört.