Gemein mit dem Staat?

Linke Kritik an den islamistischen Terrorisierungsbewegungen muss antiherrschaftlich und antikapitalistisch sein. von gaston kirsche

Über 45 Prozent der MarokkanerInnen schätzen Osama bin Laden, 74 Prozent von ihnen halten Selbstmordattentate gegen Israelis für gerechtfertigt, und 66 Prozent auch Attentate gegen US-Amerikaner und andere Bürger westlicher Staaten im Irak. Das ergab eine Umfrage des US-Institutes Pew, die im März, nach den Bombenattentaten von Madrid, durchgeführt wurde. Anlass für die Umfrage war der Umstand, dass die meisten Attentäter vom 11. März Marokkaner waren. Trotzdem hat die marokkanische Wochenzeitung La Gazette Recht: »Warum sprechen sie nicht von der spanischen Spur? Die Karriere der Mehrzahl der Attentäter ist auf spanischem Territorium verlaufen.«

Rassistische Ausgrenzung, entrechtete Arbeitsverhältnisse und die Stigmatisierung der marokkanischen EinwanderInnen machen es islamistischen Propagandisten in Spanien leichter, Anhang zu finden. Ähnlich in Deutschland, wo dies viele EinwanderInnen aus der Türkei erfahren. Demgegenüber sind Selbstethnisierung, Gegenrassismus und religiöser Fundamentalismus für viele perspektivlos am unteren Rand des proletarischen Milieus lebenden MigrantInnen scheinbar attraktiv. Die Kritik und Bekämpfung des Islamismus ist notwendig, darf aber nicht gelöst werden von der Kritik und Bekämpfung der gesellschaftlichen Zustände hierzulande. Der islamistische und ba’athistische Terror im Irak ist kein Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sondern reproduziert auf schreckliche Weise die von brutalisierter Konkurrenz dominierte Schattenseite der weltweiten kapitalistischen Verhältnisse, jenseits jeglicher Emanzipation.

Terror gegen die irakische Zivilbevölkerung hat nichts mit linken Befreiungsbewegungen gemein, weshalb statt Befreiungs- eher von Terrorisierungsbewegung zu sprechen sein sollte. Auch der Kampf gegen die BesatzungssoldatInnen im Irak wird mit einem rein nationalistischen oder islamistischen Programm geführt, ohne dass sich eine Perspektive einer sozialen Emanzipation finden lässt.

Einige Linke, welche die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten in den USA unter dem Label der Terrorbekämpfung ablehnen, beachten den islamistischen Terror kaum oder verklären ihn als Widerstand. Aber nicht alles, was antiimperialistisch ist, ist auch links. Bin Laden ist so wenig ein Antikapitalist oder Befreiungskämpfer wie Saddam Hussein. Auf der anderen Seite verklären andere Linke imperialistische Ordnungsmächte und Staaten zu Garanten eines Befreiungskampfes gegen den Islamismus, bis hin zu der Orwellschen Umdeutung von Karl Marx’ kategorischem Imperativ, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, zum vermeintlichen Motto der US-Regierung in deren Irakpolitik (Klaus Thörner in Jungle World, 16/04). Beide Positionen übersehen, dass die Aussage »Sozialismus oder Barbarei« nie zutreffender war als jetzt. Auf dem Weltmarkt gedeiht die Barbarei. Verteilungskämpfe, fundamentalistische Ideologien, militärische Absicherung von Ausbeutung, Überausbeutung – that’s capitalism. Warum so viele Linke davon schweigen, dass im Kapitalismus, ob in Old Europe oder sonstwo, die Barbarei strukturell angelegt ist, und die Lösung nicht in ein paar Kriegen liegen kann, ist verwunderlich.

Die Terroranschläge in New York, Casablanca, Jerba, Madrid, Bagdad und anderswo sind Ausdruck einer brutalisierten Reaktion auf die weltweiten kapitalistischen Verhältnisse, wo das Recht des Stärkeren gilt und die Verlierer der Konkurrenz auf dem kapitalistischen Weltmarkt Pech haben. Zur Zerschlagung linker oder nationaler Befreiungsbewegungen und widerspenstiger Staaten im Trikont oder des RGW-Verbundes rund um die Sowjetunion wurden in der Vergangenheit von den USA, auch von der BRD, islamistische, antikommunistische und chauvinistische Terrorisierungsbewegungen gefördert: Todesschwadrone in Lateinamerika, die Hizbollah in der Türkei oder eben die Mujaheddin und später die Taliban in Afghanistan. Die Anschläge im Irak folgen der gleichen Strategie der Terrorisierung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung wie die Aufstandsbekämpfungskonzepte der Nato.

Um so fataler, wenn Linke die Perspektive der Antiterrorpolitik bürgerlicher Staaten übernehmen, die ihrerseits jede nationale Befreiungsbewegung, sei sie nun nationalistisch, bürgerrechtlich oder zumindest nominell sozialistisch ausgerichtet, mit den islamistischen Terrorisierungsbewegungen gleichsetzen. Auf den Listen vermeintlich terroristischer Organisationen stehen sowohl bei den USA als auch bei der EU die kurdische PKK oder die baskische Eta neben der libanesischen Hizbollah und der palästinensischen Hamas. Bezeichnend, dass auf beiden Terrorlisten die Nachfolgeorganisationen von PKK und Eta penibel aufgeführt werden, während bei islamistischen Organisationen die EU einige erst nachträglich ergänzte. Die bewaffneten separatistischen Bewegungen in Europa in einem Atemzug mit den islamistischen Terrorisierungsbewegungen zu nennen, zeigt, dass USA und EU beide Bewegungsarten allein aus der Perspektive betrachten, ob und wo sie ihre (Vor-) Herrschaft in Frage stellen. Der eliminatorische Antisemitismus und die Bekämpfung der nicht islamistischen Zivilbevölkerung, welches die beiden zentralen Merkmale islamistischer Terrorisierungsbewegungen sind, spielt in der Begründung des Antiterrorkampfs von USA, Nato und BRD keine besondere Rolle.

Das ist es ärgerlich, wenn von Linken Parallelen zwischen Hizbollah und Hamas einerseits und Sinn Fein/ IRA und Batasuna/Eta andererseits behauptet werden. Die Fokussierung darauf, dass diese angeblich strukturell ähnlich seien, nützt nichts für eine linke Kritik, macht nur in der Herrschaftslogik staatlicher Antiterrormaßnahmen Sinn. Thomas von der Osten-Sacken machte sich diese Herrschaftslogik zu eigen (Jungle World, 15/04), und verdeutlichte so, wo antideutsch begründete Realpolitik enden kann, die sich bürgerliche Staaten als Hoffnungsträger vorstellt. Kommunistische antideutsche Politik ist dagegen ohne eine Kritik von Herrschaft, Kapitalismus und Staatlichkeit nicht denkbar, wofür der zitierte Imperativ von Karl Marx eine gute Orientierung bietet.

Israel ist die Ausnahme. Israel als Konsequenz aus der Shoah ist ein unverzichtbarer Staat, solange die Welt kapitalistisch verfasst ist, und somit die Bedingungen dafür existieren, dass sich aus einer verkürzten Kapitalismuskritik Antisemitismus reproduziert. Unabhängig vom Recht auf Kritik an israelischer Regierungspolitik ist es notwendig zu betonen, dass Israel der einzige Staat ist, der in seiner Existenz durch islamistischen Terror real gefährdet ist. Die Gefahr der Zerstörung Israels darf nicht durch die Gleichsetzung mit der punktuellen islamistischen Bedrohung in den USA oder in Europa verharmlost werden.

Eine antiherrschaftliche und antikapitalistische Kritik ist unverzichtbarer Bestandteil radikaler linker Positionierung. Sowohl gegenüber den USA und der BRD als auch gegenüber den in sich repressiv-protostaatlichen islamistischen Bewegungen. Sich nicht die staatliche Herrschaftslogik zu eigen zu machen, bedeutet nicht, zu staatlichen Maßnahmen keine Meinung haben zu dürfen. Wenn islamistische Attentäter verurteilt werden, ist dies nicht per se schlecht, weil staatlich. Staatliche Repression kann aber nicht die Hoffnung von Linken sein, und erst recht keine emanzipatorische Bewegung für soziale Befreiung ersetzen.

Vernünftiger ist der Zugang, den Staat als verdinglichtes gesellschaftliches Kräfteverhältnis zu begreifen, das immer auch ein Moment von Legitimation enthalten muss. Für seine Einordnung als loyaler Staatsbürger bekommt der Untertan eine Überwachung der Regeln durch das Gewaltmonopol des Staates versprochen. Dieses Versprechen wird gelegentlich gehalten. Wenn dabei auch mal etwas Sinnvolles passiert, sind der Staat oder seine Repressionsorgane nicht gleich Werkzeuge des Fortschritts. Und kein Islamist ist es wert, dass Linke auf die Forderung nach einer Abschaffung aller Sondergesetze gegen MigrantInnen und Flüchtlinge verzichten.

Auch beim NPD-Verbot ging es aus einer linksradikalen Perspektive nicht darum, dem Staat die Möglichkeit von Parteiverboten zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) zuzugestehen. Im Namen der FDGO wurde die KPD verboten und Tausende von Berufsverboten und Haftstrafen wurden ausgesprochen. Vielmehr ging es bei der NPD darum, an den Grundgesetzartikel 139 zu erinnern, wonach das Besatzungsrecht der Sieger des Zweiten Weltkriegs in der BRD gilt. Das schließt das Potsdamer Abkommen ein mit den Punkten Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Dezentralisierung, Demontage der kriegswichtigen Industrie und Demokratisierung. Und auch das Verbot der nationalsozialistischen Wiederbetätigung. Daran zu erinnern, ist immer richtig und unbequem.

Die Linke in Deutschland ist derart marginal, dass staatsmännische Anwandlungen lächerlich sind. Frei davon, in staatlicher Verantwortung zu stehen, kann eine Linke sich als radikale herausbilden. Es ist grotesk, wenn deutsche Linke die Einhaltung des Völkerrechtes anmahnen, wie Teile der Friedensbewegung, oder den USA zu ihrer Kriegsführung gratulieren, wie einige Antideutsche, oder sich den Kopf darüber zerbrechen, ob Islamisten nun abgeschoben werden sollen oder nicht. In allen drei Fällen tun Linke so, als ob sie Diplomatie betreiben könnten oder der Staat BRD der ihre wäre. Sie verleihen sich dadurch scheinbar Bedeutung, dass sie sich als wahre Verteidiger von Recht und Staatlichkeit, wahlweise der BRD- oder der US-Variante, aufspielen, und lassen sich auf Herrschaftslogik ein. Ein solches Verdrängen der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, der linken Einflusslosigkeit gegenüber staatlicher Politik steht radikaler Kritik im Weg.

Der Kampf gegen den Islamismus kann für radikale Linke nur ein gesellschaftlicher sein, der sich politisch begreift, nicht juristisch oder staatstragend. Den kommunistischen Imperativ, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, nimmt nur ernst, wer sich nicht die eine Form von bürgerlicher Herrschaft schönredet, um den Kampf gegen die islamistische Terrorisierungsherrschaft an bürgerliche Staaten der EU oder die USA und ihre Gewaltapparate zu delegieren.