Her mit der schönen Ware!

Diskussion über Aneignung

Ist Aneignung per se ein revolutionärer Akt? Das darf man getrost verneinen, schließlich ist der am regelmäßigsten stattfindende Aneignungsprozess heutzutage der der menschlichen Arbeitskraft durch das Kapital. Außerdem greift es die Produktionsverhältnisse nicht an, wenn man sich eine fertige Ware aneignet. Wird eine subversive Handlung dadurch revolutionär, dass sie nicht vereinzelt, sondern kollektiv ausgeübt wird? Auch das muss verneint werden, allerdings nimmt die Revolution auch keinen Schaden dadurch. So weit herrscht Einigkeit. Ist es staatstragend, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Autonomie und Freiheit einzufordern? Nun, da sagt die eine ja und der andere nein.

Wer das Kato im U-Bahnhof Schlesisches Tor am vergangenen Donnerstagabend von draußen beobachtete, hätte meinen können, es gebe dort etwas umsonst. Drinnen ging es trotz der Fülle eher gemächlich zu. Lediglich bei der Frage, ob der erste Schritt der sein sollte, schlaue Bücher zu lesen, oder ob mit kleinen praktischen Schritten zu beginnen sei, wurde es etwas hitziger. Da konnte die neutrale Beobachterin glatt auf die Idee kommen, es lägen alte Rivalitäten zugrunde. Denn genau genommen, war weder das eine noch das andere auf dem Podium propagiert worden.

Kritik und Praxis Berlin (KP Berlin), der eine Teil der ehemaligen AAB, hatte zur Diskussion geladen unter dem Titel: »Eigentum und Diebstahl. Schwarzfahren für die Revolution?« Den Anlass dafür bildete die von der Gruppe Für eine linke Strömung (FelS) mitinitiierte Kampagne Berlin Umsonst. Neben Vertretern der beiden Berliner Politgruppen saßen Nadja Rakowitz aus Frankfurt (express, Marxistische Gesellschaft) und Dirk Hauer aus Hamburg (Blauer Montag) auf dem Podium.

»›Aneignung‹ scheint das neue bündnisfähige Projekt der antikapitalistischen Linken zu sein«, hieß es im Einladungstext der KP Berlin. Tatsächlich mehren sich die Debatten zu diesem Thema, doch müsste man eher von einem Revival sprechen. »Aneignung war ein wichtiger Bestandteil der sozialen Kämpfe in den Achtzigern«, erinnert sich Dirk Hauer und spricht sich dafür aus, den Begriff der Aneignung weiter zu fassen, ganz im Sinne alter Parolen wie: »Miete ist Raub.«

Aber wie soll es nun gehen, durch Aneignung tatsächlich das System und seine Produktionsverhältnisse anzugreifen? »Sich organisieren«, sagt Dirk Hauer, fügt aber hinzu, dass das im Moment nicht ganz leicht ist. »Sich den Staat aneignen, ohne die Macht zu übernehmen«, fordert Nadja Rakowitz, die aber auch keine praktikable Lösung parat hat. »Mit Kampagnen den sozialen Widerstand fördern«, sagt der FelS-Vertreter sinngemäß, merkt jedoch an, dass derzeit keine politische Gruppe in der Lage ist, vereinzelte subversive Taten zu einer Widerstandsbewegung zu bündeln. Diskussionen über »Prekarisierung«, »das Einhergehen von repressiver Sozialpolitik und verschärfter Sicherheitspolitik« sowie die Konjunktur der »Opferbereitschaft« zum Thema machen, schlägt der KP-Vertreter vor, der findet, dass es auch eine Form von »Praxis« ist, ein Theoriebuch zu lesen.

Es bleibt schwierig, das System abzuschaffen, lautet das Fazit des Abends. Aber Aneignung, weit und progressiv gefasst, ist kein schlechter Anfang.

anna gärtner