Fressen, dopen, saufen

Bereits die Athleten der Antike machten von allem Gebrauch, was der Leistungssteigerung zu dienen schien. von elke wittich

Dem neuzeitlichen Klischee vom antiken Athleten, der Körper und Geist in jahrelangem Training zu einer harmonischen Einheit ausbildet, entsprachen die Teilnehmer der ursprünglichen Olympischen Spiele wohl nicht unbedingt.

Der Mediziner Galen aus Pergamon klagte jedenfalls bereits im 2. Jahrhundert n. Chr.: »Die Athleten führen ein Leben wie die Schweine. Ihr ganzes Tun besteht aus Essen, Trinken, Schlafen, Verdauen, sich im Dreck wälzen. Nur die Fleischmasse wird unmäßig entwickelt, alle anderen Fähigkeiten gehen zugrunde. Trotz seiner widernatürlichen Kräfte ist ihr Körper unfähig, die Arbeiten eines normalen Menschen zu erfüllen. Er leistet auch Krankheiten nur noch geringen Widerstand.«

Galen hätte auch die Auswirkungen der olympischen Kommerzialisierung kritisieren können, denn für die Sportler war das bloße Dabeisein schon damals auf keinen Fall alles. Nur der Gewinner hatte schließlich Aussicht auf Ruhm, Ehre und ein Leben im Wohlstand. »Sechs oder sieben Sklaven der mittleren Preislage, oder eine Herde von 100 Schafen, oder aber zwei bis drei Häuser in Athen oder anderswo in Attika beziehungsweise eine Luxusvilla im Zentrum der Stadt«, so rechnete der US-Sporthistoriker David Young kürzlich aus, konnte sich bereits im 4. Jahr v. Chr. der Sieger des Stadionlaufes bei den »Panathenischen Spielen« für die ausgelobten 100 Amphoren Olivenöl kaufen.

Für die Zweit- und Drittplatzierten gab es im Gegensatz zu den Olympischen Spielen und sonstigen Wettbewerben der Neuzeit dagegen keine Medaillen, sondern lediglich Hohn und Spott vom Publikum. Der erfolgreiche Sportler genoss in der griechischen Öffentlichkeit dagegen einen ähnlichen Status wie ein heutiger Popstar, allerdings mit einem Unterschied: Die antiken Olympiagewinner galten in der Anfangszeit der Spiele als besonders kluge Menschen, auf deren Rat sogar die Mächtigen hörten.

Zudem gab es bei zahlreichen Wettkämpfen vor den Olympischen Spielen viel Geld zu gewinnen. Die antiken Athleten hätten über den in der Neuzeit so lange geltenden Amateurstatus den Kopf geschüttelt. So setzten die Sportler alles daran, Olympiasieger zu werden, und weil ihre Trainer fast immer ausgebildete Ärzte waren, wurden sie grundsätzlich so gecoacht, wie es dem Stand der damaligen medizinischen Erkenntnisse entsprach. Für die Ernährung bedeutete das: Die traditonellen Nahrungsmittel der griechischen Bevölkerung, also im Großen und Ganzen Brot, Trauben, Feigen, Käse, Fisch – Fleisch wurde eher den Göttern geopfert als verzehrt –, galten lediglich als für Ausdauersportler wie zum Beispiel Langstreckenläufer günstig.

In den Kraftsportarten war es dagegen wichtig, möglichst viel Körpermasse zu erreichen. Die Wettbewerbe der Ringer waren nämlich nicht wie heute in verschiedene Gewichtsklassen unterteilt, und deshalb stellte es sich rasch heraus, dass ein halbwegs beweglicher, möglichst großer Fettsack selbst gegen einen austrainierten Spitzenathleten die größten Chancen auf den Sieg hatte.

Und so wurde in den Gymnasien vor allem gegessen. Immer wieder erzählten sich die Fans Geschichten über die Leistungen ihrer Idole. Insbesondere der Ringer Milos von Kroton, der zwischen 540 und 516 v. Chr. gleich sechs Mal Olympiasieger wurde, bewegte die Phantasien seiner Landsleute, nicht nur auf sportlichem Gebiet. Der Hüne, der angeblich zehn Liter Wein am Tag trank, soll eines Tages einen jungen Stier mit einem Schlag getötet und anschließend ganz allein verspeist haben. Ein anderes Mal, so will es die Fama, habe er die Gäste eines Festes allein durch seine Kraft davor bewahrt, erschlagen zu werden. Nachdem eine Säule im Innenraum gebrochen war, stützte der Sportler die Decke ganz allein mit seinen Armen ab, bis alle Teilnehmer des Mahles sich sicher ins Freie gerettet hatten.

»Tapfer, aber verfressen«, nannte Aristoteles den ersten Sportstar der Geschichte, wobei sich Milos im Gegensatz zu vielen seiner heutigen Berufskollegen auch für das Leben außerhalb der Wettkämpfe interessierte. Noch während seiner aktiven Zeit machte er sich als Sänger einen Namen, zudem schrieb er unter dem Titel »Physika« ein viel beachtetes Buch, in dem er seine von Pythagoras geprägte Idealvorstellung über die Harmonie von Geist und Körper darlegte.

Milos’ Nachfolger versuchten, dem erfolgreichen Sportlegionär – die italienische Stadt Kroton lockte Athleten mit viel Geld, damit sie für sie starteten – jedoch hauptsächlich in physischer Hinsicht nachzueifern. Und aßen, was das Zeug hielt.

Hippokrates, der dem organisierten Wettkampfsport sehr skeptisch gegenüberstand und ihn »eine Schule des Betrugs« nannte, kritisierte die gewohnheitsmäßigen Fressorgien der Schwerathleten mit dem Wort »Anaankophagia«, das übersetzt Mast oder Zwangsernährung bedeutet. Den Fans und den Athleten dürfte dies gleichermaßen egal gewesen sein, dabei wusste der Philosoph durchaus, wovon er sprach. Herodikos von Selymbria, sein Lehrer und Mentor, hatte schließlich gymnastische Übungen für die gezielte Stärkung einzelner Muskelpartien und Pläne für ausgewogene Ernährung entwickelt.

Sich vollzufressen, ging jedoch anscheinend deutlich schneller, und so blieb auch Sokrates’ Klage darüber, dass die Körper der Sportler durch die einseitigen Trainingsmethoden entsprechend einseitig ausgegebildet seien, ebenso ohne Konsequenzen wie eine erschreckende Beobachtung von Aristoteles. Demnach währten insbesondere die Karrieren der von ihren Betreuern schnell zu Höchstleistungen getriebenen jungen Athleten wegen der übermäßigen Belastungen nur sehr kurz.

Was zusätzlich zum mangelnden Aufbautraining wohl auch an der ungesunden Ernährung lag. Die meisten Sportler tranken grundsätzlich nur verdünnten Wein, der ihnen ebenso die erhoffte Stärke und Fitness bringen sollte wie große Mengen Fleisch. Stierhoden galten als besonders wichtig für den Muskelaufbau. Heutige Dopingexperten verweisen darauf, dass den damaligen Trainern die Wirkungsweise von Testosteron auf den menschlichen Körper bereits aufgefallen sein muss, freilich ohne dass sie das männliche Hormon kannten.

Die Suche nach leistungssteigernden Mitteln begann schließlich bereits 500 Jahre v. Chr. Insbesondere die damaligen Heerführer hatten ein Interesse daran, dass sich ihre Soldaten nach kräftezehrenden Gewaltmärschen möglichst schnell wieder regenerierten. Von Julius Caesar ist zum Beispiel überliefert, dass er auf kohlehydratreiche Nahrung für seine Männer setzte – wie heute eben Ausdauersportler, die an Marathonläufen oder Radrennen teilnehmen.

Meist spielte aber vor allem Aberglauben bei der Ernährung von Sportlern wie Soldaten eine Rolle. Durch das Verspeisen bestimmter Fleischsorten, so glaubte man, würden sich die Eigenschaften des jeweiligen Tieres auf den Esser übertragen. Löwenherzen galten zum Beispiel als wichtige Quelle für Mut und Stärke, während Wildleber die Schnelligkeit fördern sollte.

Während Löwenherzen irgendwann aus der Mode kamen, hatte die Liebe des Sportlers zum Fleisch noch mehrere tausend Jahre Bestand. So ähnelten sich noch Mitte der achtziger Jahre die Stadionhefte europäischer Fußballvereine, gleich in welcher Liga, in einem Punkt frappant. Der jeweilige Kicker, der den obligatorischen Fragebogen ausfüllen musste, gab als Lieblingsgericht unweigerlich »Steak« an, die präferierte Beilage unterschied sich nur dem Namen nach. Was im Westen Deutschlands die Fritten waren, hieß in der Schweiz Pommes Frites und in Großbritannien French Fries.