Doppeltes Spiel

Gewalt in der Côte d’Ivoire

»Wir halten den Atem an, alles ist möglich«, sagte ein Bewohner Yopougons der UN-Nachrichtenagentur Irin am vergangenen Freitag. In diesem wie auch anderen Stadtteilen Abidjans, der kommerziellen Hauptstadt der Côte d’Ivoire, hatten Berichten von Menschenrechtsgruppen zufolge am Tag zuvor Polizei und Gendamerie in unbewaffnete Menschenansammlungen gefeuert, die in Richtung Stadtzentrum ziehen wollten. Milizen patrouillierten in Vierteln von Regierungsgegnern, Militärangehörige misshandelten Zivilisten auf offener Straße. Nach offiziellen Angaben wurden 25 Menschen getötet, die ivoirische Opposition ging am vergangenen Samstag von 300 Opfern aus.

Die von den Behörden verbotene Manifestation richtete sich gegen die Regierung unter Laurent Gbagbo. Ihr werfen die bisher in einer »Regierung der nationalen Einheit« vertretenen Oppositionsparteien vor, die Realisierung des Abkommens von Marcoussis zu sabotieren. Dieses Abkommen wurde im Januar 2003 auf Druck der französischen Regierung ausgehandelt, um den vier Monate zuvor begonnenen Bürgerkrieg und die Teilung des Landes zu überwinden. Es sieht die Demobilisierung der Aufständischen, die Reform der Sicherheitskräfte und die Vorbereitung von Wahlen für das kommende Jahr vor. In Fragen der Staatsangehörigkeit und des Landbesitzes wird die Regierung verpflichtet, von der bislang praktizierten Diskriminierung vermeintlicher Ausländer abzulassen. Zuwanderer aus dem ärmeren Norden der Côte d’Ivoire werden im ökonomisch entwickelteren Süden oft pauschal als Ausländer eingestuft. Migranten aus den Nachbarländern Burkina Faso oder Mali leben zum Teil schon seit mehreren Generationen von der Arbeit auf den Kakaoplantagen (Jungle World, 8/04).

Als die Oppositionspartei PCDI bereits vor einigen Wochen die Einheitsregierung verließ, suspendierten auch die Forces Nouvelles genannten aufständischen Gruppen erneut die Zusammenarbeit mit der FPI. Für die Forces Nouvelles steht eine Entwaffnung zurzeit nicht zur Debatte. »Das hat keine Priorität mehr«, zitiert die New York Times einen Sprecher der Rebellen.

Die Regierung treibt ein Spiel mit verteilten Rollen. Während sich Staatschef Laurent Gbagbo kompromissbereit gibt, setzen Hardliner in Partei und Milizengruppen weiterhin auf eine ultranationalistische Linie. Ein im Februar erlassenes Gesetz beispielsweise reserviert Arbeitsplätze aller Art für Ivoirer. Damit wird die Ausgrenzung von einem Drittel der Bevölkerung entgegen aller Versöhnungsrhetorik weiter institutionalisiert. Auf eine Fortsetzung des Krieges hat sich die Regierung bereits im Laufe des vergangenen Jahres vorbereitet. Nach Informationen der Weltbank schaffte sie Waffen im Wert von 150 Millionen US-Dollar an, in den Städten unter Regierungskontrolle wurden paramilitärische Milizen aufgebaut.

4 000 französische und 1 400 westafrikanische Soldaten überwachen derzeit den Waffenstillstand. Mehr als 6 000 UN-Soldaten sollen außerdem in den kommenden Wochen in der Côte d’Ivoire stationiert werden. Ein konventioneller Krieg ist unter diesen Bedingungen unwahrscheinlich. Begrenzte Massaker an vermeintlichen Sympathisanten der Rebellen oder wirtschaftlichen Konkurrenten wie jüngst in und um Duekoue im Westen des Landes könnten manchem der Scharfmacher als Alternative erscheinen.

ruben eberlein