Elftes Gebot: Sei wütend

Metallicas letzte Platte »St. Anger« ist so gut, dass man auch in diesem Jahr noch über sie reden sollte. Eine Liebeserklärung. von jörg sundermeier

Er kennt die Angst. Genauer: Er singt von einem Ich, das Angst hat. »Am I who I think I am?« fragt dieses Ich. »Mama, why’s it rainin’ in my room?« fragt dieses Ich. Und: »We the people / Are we the people?« Oder: »Can you help me?« Oder: »I feel my world shake / Like an earth quake / It’s hard to see clear / Is it me? Is it fear?« Schließlich: »I’ve found safety in this loneliness / But I cannot stand it anymore.«

Zugleich ist dieses Ich wütend. Nicht umsonst heißt die letzte Metallica-Platte »St. Anger«, nicht umsonst heißt es im Titelstück: »And I want my anger to be healthy / And I want my anger just for me / And I need my anger not to control / And I want my anger to be me / And I need to set my anger free.« Nach einem orgiastischen punkigen Geknüppele heißt es dann allerdings auch nur »I’m madly in anger with you.«

Diese Platte, die vor mehr als einem halben Jahr erschien, die einen Grammy gewann, deren zugehörige Videos auf allen Musiksendern laufen und aus der gerade mit »The Unnamed Feeling« ein sehr guter Song über Drogenmissbrauch als dritte Single ausgekoppelt wurde, diese Platte ist, anders als es andere Metallica-Platten sein wollten, nicht einmal »böse«. Eher ist sie bockig: »I hide inside / I hurt inside / I hide inside, but I’ll show you…«, das sagt das »Invisible Kid«. Männer, wenn sie wütend sind und nicht wissen wohin mit ihrer Wut, treten gern, eine Übersprungshandlung, gegen Wände. Kleine Jungs stampfen bockig auf. Das Abfedern des Fußes von dem Stein wirkt befreiend. Es geschieht nichts, es ändert sich nichts, und dennoch hat man sich in diesem Augenblick seiner selbst versichert. Damit schafft der Mann sich eine Identität, nicht selten ganz blöd: »I’m judge and I’m jury and I’m executioner too.« Und er lebt selbstverständlich in »my world«, die er anderen kaum erklären kann.

Ist das irre? Ja. Von Irrsinn handelt »St. Anger«, eine Platte, der eine gewisse Beachtung allem Erfolg zum Trotz gerade nicht zuteil wurde, weil die Kritiker wie die Fans sich eingerichtet hatten in ihrem Wissen über Metallica. Das sind vier Jungs, die alles verklagen, was ihre Songs illegal verbreitet, und die wahrscheinlich, so erscheint es einigen, gegen das Internet überhaupt sind. Metallica stehen auch nach 20 Jahren noch immer breitbeinig auf der Bühne, rühren wild die Gitarre, und da, wo es in den frühen, »ehrlichen« Songs (so sagt der Metal-Kenner) ausgetüftelte Gitarrensoli hatte, da gab es später Balladen, damit auf den Konzerten »die Freundin« (so sagt der Metal-Kenner) das Feuerzeug hochhalten konnte. Metallica haben sich die Haare abgeschnitten, Metallica spielen mit Symphonieorchestern, Metallica machen Musik für die Charts. Das alles stimmt, und in der Tat war von dieser Band, die früher mit musikalischem Handwerk und Posertum ihre Fans begeis-terte und später mit düsterer Romantik Hits landete, kaum noch ein Album zu erwarten, das aufregt. Nun gibt es jedoch dieses Album, das zwar massenhaft gekauft wurde und wird, aber eben kaum noch wahrgenommen wird. Das Markenzeichen Metallica hat auf der Ebene der Wahrnehmung das Musikwerk, welches diese Band abliefert, übertönt. Metallica sind Verräter am Genre Metal. Und sie sind Popper. Punkt.

Im letzten Sommer kam das Album »St. Anger« heraus, auch ich wollte es anfangs nicht hören. Das Video war eines, das im Gefängnis aufgenommen war, höhö, wir sind unten mit denen, die unten sind, nichts als Posertum ist das, das schien klar. Auf Konzerten gaben sie sich weiterhin breitbeinig und in Interviews weiterhin großmäulig, nur war auffällig, dass sich der Sound verändert hatte. Und nicht nur der Sound.

Metallica sind nicht zum »wahren« Metal zurückgekehrt, sie wollen offensichtlich kein Genre mehr repräsentieren und es vielleicht gar »revolutionieren«, sie sind keine Innovatoren auf diesem Album, sondern Musiker. Bob Rock, der die Platte, wie viele andere Metallica-Alben zuvor, produziert hat, hat die Band ein ganzes Jahr über ins Studio gezwungen, er spielt den Bass und er zeichnet gemeinsam mit Hetfield, Lars Ulrich und Kirk Hammett für alle elf Songs verantwortlich, Robert Trujillo, der neue Bassist, scheint bei den Aufnahmen dieses Albums keine große Rolle gespielt zu haben. Rock (was für ein Name!) hat mehr getan. Die Band bedankt sich bei ihm, dass er sie als Quartett erhalten hat. Er hat einen merkwürdigen Schlagzeug-Sound kreiert, hat Soundschleifen unterlegt und Hetfield sich ausschreien oder aber flüstern lassen, so dass diese Platte kein Rausch ist, sondern ein Brett – hier wird der Wall of Sound laut gemacht. Auch fehlen jegliche Soli, es gibt keine Balladen, Hetfield beweist ein weiteres Mal, wie gut er singen kann, alles ist sehr dicht, sehr druckvoll, sehr schnell und ungemein durchkomponiert. Der erste Höreindruck ist dennoch der, dass die Platte wahnsinnig schnell eingespielt worden ist, und das in einer Garage. »Es ist sehr teuer, so billig auszusehen« sagte Dolly Parton über sich, dieser Platte geht es ähnlich, und gleichzeitig ist es schwer, sich an ihr satt zu hören, so kunstvoll ist die Produktion.

Vor allem aber, und das war nicht zu erwarten, dreht es sich auf dieser Platte nicht mehr um Weltprobleme, große Bilder oder spätpubertäre Todesfantasien, das wichtigste gesungene Wort ist »I«, und dieses Ich ist ein Mann. Die Platte handelt von der Krise des Mannes. Die Männer von Metallica haben dicke Eier, das haben sie nun über Jahre ihren Fans bewiesen, und hier sagen sie nun, dass solche dicken Eier verdammt weh tun. Und dass sie nicht wissen, was dagegen zu tun ist.

Was erzählt wird, ist kein Drama, es ist Verstörung: »I see my reflection in the window / This window clean inside, dirty on the out / I’m looking different than me.« In »Sweet Amber«, einem, wenn man so will, Liebeslied, leidet das Ich an dem Verhalten jener Amber (»Using what I want / To get what you want«), doch die Perspektive wechselt (»Then she holds my hand / And I lie to get a smile / And she squeezes tighter / I still lie to get a smile«), im Refrain heißt es: »Ooh Sweet Amber / How sweet are you? / How sweet does it get?« Die erste Frage ist noch klassisches Liebesgesäusel, die zweite nichts weniger als völlige Verunsicherung. Vor allem aber kann diese Frage nicht beantwortet werden.

Der letzte Song schließlich, »All Within My Hands«, ist zunächst nichts als männliches Wehklagen, doch wie die Musik und Hetfields Stimme immer neurotischer werden, wenn es etwa heißt »Love is control / I’ll die if I let go / Let it go!«, wie es am Ende in einem beinahe irrsinnigen, immer spitzeren »Kill-Kill-Kill-Kill-Kill«-Geschrei endet, das sagt viel aus über den Zustand der Männer, die nichts anderes als Männlichkeit gelernt haben und nun nicht weiter wissen.

Der immerhin 40jährige Hetfield lässt auf der Metallica-Website ernsthaft über sich verbreiten, dass er einen Wagen namens »The Beast« sein Eigen nenne, »a fearsome all-terrain 4-wheel drive Blazer«, der Erdbeben und Atomkriege überstehen könne. Auch zeigen die Texte, dass der Band nicht viele Worte zur Verfügung stehen, einzig der innere Druck, der diese Männer offensichtlich mal geprägt hat, hat solche Songs über Ängste, Identitätskrisen und Hilflosigkeit zustandebringen können. Das ersetzt keine Kritik, weist aber weit über das hinaus, was gemeinhin im Hardrock-, Punk- und Metal-Genre üblich ist. »St. Anger« ist nicht nur in musikalischer Hinsicht eine großartige Platte, nein, man muss auch ihre merkwürdige Ehrlichkeit anerkennen. Metallica dienen nicht mehr als Vorbilder für irgendwelche Jungs, sie stellen ihre Neurosen aus. Damit gehen Metallica weiter, als all die ganzen, so genannten »bewussten« Rockbands.

Metallica: St. Anger (EMI)