Die Macht der Triade

Großbritannien will sich der deutsch-französischen Initiative für ein »Kerneuropa« anschließen. Die kleineren EU-Staaten sind entsetzt. von udo van lengen

Wir brechen hier sicher nicht in Jubel aus.« Alfred van Staden ist Direktor des niederländischen Thinktanks Clingendael und kennt die europäische Politik. Heute wird er aus der Ferne das Treffen des französischen Präsidenten Jacques Chirac mit dem britischen Premier Tony Blair und Bundeskanzler Gerhard Schröder in Berlin beobachten. Die Drei wollen den Frühjahrsgipfel der EU vorbereiten, der Ende März stattfinden und sich hauptsächlich mit der Lissabon-Strategie beschäftigen wird.

Dabei geht es um »Wirtschaftsreformen zur Ausschöpfung des Binnenmarktpotenzials«, »Investitionen in Bildung und Forschung« sowie »zukunftssichere Sozialsysteme.« Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll die Strategie »die Union zum wettbewerbfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt« machen.

Van Staden mag im fernen Den Haag nicht jubeln, aber er versteht es, die Dinge nüchtern zu betrachten. »Um Europa umzubauen, braucht man eine echte EU-Regierung. Solange es die nicht gibt, sind Mini-Tops eine Ersatzlösung.« Daher habe die niederländische Regierung Verständnis für die beschränkte Einladungsliste. Die Benelux-Staaten träfen sich schließlich auch regelmäßig im kleinen Kreise. »Unsere heutigen Reaktionen auf das Treffen in Berlin orientieren sich am Gefühl für die politischen Realitäten.« Man reagiere in den Niederlanden auch deswegen so unverkrampft, weil die Briten dabei seien, meint van Staden. »Da sind wir sicher, dass die Belange der Nato und der USA berücksichtigt werden.«

In anderen europäischen Hauptstädten ist man von solch hinnehmender Gelassenheit weit entfernt. Vor allem, dass Großbritannien nun zu den selbst ernannten französischen und deutschen Friedenstauben übergelaufen ist, hat die Regierungen in Rom und Warschau bewegt.

Der italienische Außenminister Franco Frattini warnte, die drei Länder gefährdeten mit ihrem Treffen die europäische Einheit. Der polnische Außenminister Wlodimierz Cimoczewicz will derweil den abgeworbenen Partner nicht aufgeben. Er regte in einer Grundsatzrede an, eine Gegenallianz zu Deutschland und Frankreich aufzubauen. Spanien, Italien, Irland und Großbritannien seien die »Schlüsselpartner« seines Landes.

Die französische Europaministerin Noëlle Lenoir und der deutsche Staatsminister für Europa, Hans Martin Bury, beeilten sich, die Bedeutung des gemeinsamen Treffens herunterzuspielen. Es gebe schon jetzt die Debatte, ob Deutschland und Frankreich ein Direktorium in der EU bildeten. »Würde die Zusammenarbeit mit Großbritannien als generelles Instrument der europäischen Politik begriffen, gebe es solche Befürchtungen erst recht.« Sie bedauerten den polnischen Vorschlag, denn »es ist nicht unsere Absicht, nationale Interessen in Europa neu zu gruppieren und dadurch eine Gegenbewegung zu provozieren.« Eine erweiterte EU brauche Länder, die andere führen und überzeugen könnten, bekräftigten die beiden Minister.

Die Idee vom Europa der Pioniere ist nicht totzukriegen, obwohl sie wiederholt misslang, zuletzt vor nicht einmal einem Jahr. Damals trafen sich Frankreich, Deutschland, Belgien und Luxemburg, um über eine europäische Armee zu sprechen. Das Treffen geriet zu einem europaweiten Lacherfolg. Das Ziel, ohne die Briten ein Europa zu schaffen, das auch außenpolitisch mit einer Stimme spricht, war illusorisch, musste eine weitere Generation der beiden selbst ernannten Führungskräfte erkennen.

Seit einem halben Jahr beteiligt sich Großbritannien an der deutsch-französischen Partnerschaft. Nun lacht man in Paris und Berlin, hinter vorgehaltener Hand. Die französischen Zeitungen sprechen von einer Dreiecksbeziehung mit dem scheuen Zusatz »occasionnel« – gelegentlich, als traue man dem neuen Partner nicht so recht. In Rom und Warschau fühlt man sich indes als verlassene Liebhaber.

Mit wem hat Großbritannien in der wichtigen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ähnliche Interessen, dürften sich dortige Politiker fragen. Der britische Außenminister Jack Straw bot ihnen keinen Trost. Sein Land sei daran interessiert, an einem »Kerneuropa« teilzunehmen. »Es ist sinnvoll, Großbritannien an den französisch-deutschen Motor anzuschließen, wo doch die EU bald von 15 auf 25 Mitglieder anwachsen wird.«

Die Partnerwahl der Briten scheint sich nach dem EU-Gipfel vom Dezember letzten Jahres, wo der Entwurf einer europäischen Verfassung am spanischen und polnischen Widerstand scheiterte, geändert zu haben. Die britische Regierung zweifelt, ob die EU ohne Reform arbeitsfähig ist. Italien und Polen, beides Länder mit zumindest europäischem Geltungsanspruch, sind nicht dabei, wenn in Berlin Ideen gesammelt werden, wie die Union den Forderungen aus der Lissabon-Strategie nachkommen kann. Sie müssen auf den eigentlichen Gipfel Ende März warten, obwohl für sie im Kanzleramt genug Platz wäre. Dort versammeln sich neben den drei Regierungschefs auch die jeweiligen Außen-, Wirtschafts-, und Sozialminister zum großen Brainstorming am Nachmittag.

Dabei will das frisch gebackene Dreierpaar gar nichts Böses, erklärt Andreas Maurer vom deutschen Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). »Bis jetzt waren Deutschland und Frankreich stets in der Lage, einen Kompromiss für alle EU-Länder zu finden. Aber bei demnächst 25 Staaten reicht ihre Kraft nicht mehr aus, um die europäischen Eckpunkte zu markieren.«

Auch wenn Maurer die Zusammenarbeit der Großen begrüßt, kann er den heftigen polnischen Widerstand gegen die Ménage à trois verstehen. »Die osteuropäischen Beitrittskandidaten haben das Gefühl, sie würden übergangen. Sie sind noch nicht integriert wie die Benelux-Länder, die jahrzehntelang Erfahrungen im Zusammenspiel mit den Großen gesammelt haben.« Zudem kämpfe die polnische Regierung mit einer starken europaskeptischen Opposition, die behauptet, Paris und Berlin wolle sich zu Lasten Polens stärken.

Die Vorwürfe, sie gebärdeten sich als Direktorium, können Frankreich, Großbritannien und Deutschland trotzdem nicht bedenkenlos zur Seite schieben. Andreas Maurer empfiehlt, dass sich die Großen mit den Kleinen absprechen. »Das Ergebnis von Dreiergesprächen darf niemals als Ergebnis der EU verkauft werden, sondern muss innerhalb der Europäischen Kommission mit allen besprochen werden.« Seiner Meinung nach komme es auf die Symbolik an. »Den kleinen Ländern das Gefühl zu geben: ›Friss oder Stirb‹ geht nicht. Die Briten haben das kapiert. In Frankreich dagegen hat man kein Problem damit, andere Länder bewusst aus dem politischen Prozess herauszuhalten.«

Transparente Entscheidungsprozesse und klare Regeln sind wichtig, um die Bürger in der EU davon zu überzeugen, dass Europa keine seelenlose, korrupte Kreatur sei, fügt Alfred van Staden aus Den Haag hinzu. »Die Niederländer sind europamüde, weil wir der Zahlmeister der EU sind. Wir geben pro Kopf doppelt so viel für die EU als Deutschland. Andererseits sehen wir, dass genau diese Großen die Regeln beiseite schieben, wenn sie ihnen nicht mehr passen, siehe Stabilitätspakt.«