Scheiden tut weh

Warum Tony Blair auf dem Schoß des amerikanischen Präsidenten sitzt, aber von dort aus durchaus die Interessen seines Landes verfolgt. von matthias becker, london

Den Engländern gilt der Pudel als willenloses, unterwürfiges Geschöpf, also als das, was in Deutschland Schoßhündchen bedeutet. Und als Pudel charakterisiert die britische Friedensbewegung ihren Premierminister: als handzahmes Hündchen eines wahnsinnig gewordenen amerikanischen Präsidenten George W. Bush. Aber warum schlägt sich Tony Blair so bedingungslos auf die Seite der USA, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung den Irakkrieg ablehnte? Ein Teil der Antwort lautet, dass Großbritannien nur als Verbündeter der USA Weltpolitik betreiben kann. Ein weiterer Teil ergibt sich aus der Besonderheit der britischen Ökonomie und aus der Schwäche der britischen Europabefürworter.

New Labour hat in den ersten sechs Amtsjahren fünf Kriege geführt, ausnahmslos flankiert von humanitärer Rhetorik und dem Betonen der zivilisatorischen Mission. Da kehrt auch das koloniale Sentiment, das einige Zeit als unfein galt, wieder. »Obwohl einige Historiker uns wegen der Leistungen unserer Vorfahren in China und Indien Schuldgefühle einreden wollen, ist das britische Volk glücklich und stolz, dass sein Land in vielen Kriegen für Recht und Freiheit gekämpft hat.« Das meint kein obskurer Rechtsextremer, sondern ein einflussreicher Abgeordneter der Konservativen, John Redwood. Die britische Elite entdeckt ihre imperiale Vergangenheit wieder, und sie schwingt auch in der Rhetorik Blairs mit, wenn er von islamistischen Terroristen als den »Feinden der Zivilisation« spricht. Ein Kommentator der Times nannte die Bombenanschläge gar »die neue Bürde des weißen Mannes«.

Schon lange verbindet die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich eine ungleiche Partnerschaft. Seit 1956, als Großbritannien die Menschenrechte nach Ägypten tragen und nebenbei die Verstaatlichung des Suez-Kanals verhindern wollte, dient sich Großbritannien der stärksten Weltmacht an. Das koloniale Unternehmen scheiterte damals vor allem an mangelnder amerikanischer Unterstützung. In dieser Krise wurde auch den letzten Nostalgikern des Empire klar, dass die Insel in Zukunft internationale Politik nur noch als Juniorpartner der USA betreiben kann. So eng wurde die Anlehnung, dass der Labour-Premierminister Harold Wilson in den sechziger Jahren ernsthaft erwog, ob sein Land nicht den Vereinigten Staaten beitreten sollte.

Die entschieden einseitige Beziehung war immer wieder schweren Spannungen ausgesetzt. Heute ist sie hinter der diplomatischen Fassade schlechter denn je. Amerikanische Diplomaten sind verärgert darüber, dass sich Großbritannien an Europas diplomatischer Initiative wegen Irans Nuklearprogramm beteiligte und den Konfrontationskurs der Regierung Bush behinderte. Über die protektionistischen Stahlzölle der USA klagte andererseits die britische Industrie genauso laut wie die französische. Aber auch die militärische Zusammenarbeit ist belastet. Diplomaten und Militärs beschweren sich darüber, wie wenig sie in die Planung der Invasion im Irak einbezogen wurden. Außerdem vergisst man nicht, dass damals mehr britische Soldaten durch amerikanisches friendly fire als durch einheimischen Widerstand umkamen.

Zwar plädieren einflussreiche wirtschaftliche und politische Kreise für eine stärkere Anlehnung an Europa, aber beide großen Parteien sind dezidiert für eine Fortführung der angeblich besonderen Beziehung zu den USA. Denn die Alternative sieht von der anderen Seite des Kanals wenig attraktiv aus. »Wir hätten unseren zeitweise großen Einfluss eingetauscht gegen den wenig Erfolg versprechenden Versuch Europas, sie herauszufordern«, schreibt besagter John Redwood. Er plädiert für einen Beitritt zur nordamerikanischen Freihandelszone Nafta an Stelle einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik.

Nach Aussage von Adrian Budd, Professor für internationale Politik an der London University, wird Großbritannien in den USA selbst kaum noch ernst genommen. »Wir gelten auf der anderen Seite des Atlantiks als der seltsame Bündnispartner. Unsere Stellung zwischen den USA und Europa ist schizophren.« Diese Schizophrenie der britischen Position zwingt die Regierung zum Lavieren. Mit unausgesprochener Erleichterung reagierte sie daher auf das Scheitern der Verhandlungen über eine gemeinsame europäische Verfassung. Die Forderung nach einer Volksabstimmung über diese Verfassung war immer lauter geworden.

Eine solche Abstimmung, ob nun über eine gemeinsame Währung oder Verfassung, würden die Freunde der EU eindeutig verlieren. Die Gegner der europäischen Integration bilden eine effektive, klassenübergreifende Koalition. Proletarische und mittelständische Eigenheimbesitzer fürchten das Platzen der Immobilienblase, wenn europäisches Kapital ungehindert in den Immobilienmarkt fließen kann, und der Einzelhandel fürchtet die Konkurrenz aus dem europäischen Ausland.

Die exportorientierte Industrie ist dagegen für die Einführung des Euro. Aber die Umstrukturierungen seit den achtziger Jahren zuungunsten des produzierenden Sektors haben diese Kapitalfraktion geschwächt. Immer dominierender wurde dagegen der Einfluss des so genannten Fire-Sektors (Finance, Insurance, Real Estate) auf die Regierungspolitik. Finanzdienstleistungen, Immobilien und Versicherungen spielen eine entscheidende Rolle in der britischen Wirtschaft.

Wie die USA leidet das Land an einem wachsenden Außenhandelsdefizit. Rechnet man die Ausfuhr von Nordseeöl aus den Statistiken heraus, verschlechterte sich das Verhältnis von Exporten und Importen seit den achtziger Jahren stetig. Das Handelsdefizit lässt sich nur aufrechterhalten, wenn Großbritannien weiterhin Geld zu günstigen Bedingungen leihen kann, um so die Bilanz auszugleichen. Und die sieht immer schlechter aus. Im Moment beläuft sich das Defizit auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, d.h. auf etwa 300 Milliarden Pfund. Bis 1998 wurde dieses Defizit durch so genannte unsichtbare Investitionen mehr als ausgeglichen. Ohne die Transaktionsgewinne der Banken und Versicherungen wäre die Situation endgültig untragbar.

Die Kapitalisierung der Londoner Börse ist doppelt so groß wie die in Frankfurt und Paris zusammengenommen. 32 Prozent des weltweiten Währungshandels finden hier statt. England ist der Finanzdienstleister der Welt und will es bleiben. Der britische Finanzsektor ist mit dem amerikanischen eng verwoben. Gemeinsam ist den USA und Großbritannien auch, dass sie Öl fördern und deshalb an der Kontrolle des Preises interessiert sind. Außerdem hat die Waffenindustrie in beiden Ländern großen Einfluss. In Großbritannien macht die Produktion von Militärgütern mehr als zehn Prozent der verbleibenden industriellen Fertigung aus.

Wenn die USA die Welt sicher machen für die Freihandelsdemokratie, die in gewissen Gegenden leider Diktatur bedeutet, ist das in gewisser Weise im Interesse aller westlichen Staaten, für Großbritannien aber gilt das in besonderer Weise. Man will im Kampf gegen Terror und für Hegemonie auf der Gewinnerseite stehen. Und dort weht die Flagge der USA.

Aber steht der Gewinner wirklich schon fest? Die herrschende Klasse ist über diesen Punkt gespalten, das trat ausgerechnet in der Antikriegsbewegung offen zutage, als bürgerliche Verlagshäuser die Demonstrationen in nie dagewesener Form unterstützten.