Europa für die Welt

EU-Sicherheitspolitik von karin waringo, brüssel

Nicht einfach war die Aufgabe, die der Hohe Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana, im Frühjahr erhielt. Nachdem der Irakkrieg die Interessengegensätze zwischen alten und neuen EU-Mitgliedsstaaten offen gelegt hatte, erschien die Union als Sandkastenheld. Vor diesem Hintergrund sollte der Generalsekretär des Rates ein sicherheitspolitisches Konzept erarbeiten, mit dem alle zufrieden sein sollten. Solana scheint diese Aufgabe erfüllt zu haben. Zwar wird seit Juni, als das Papier den europäischen Staats- und Regierungschefs vorgestellt wurde, an dem Entwurf gefeilt; im Kern aber scheinen alle mit den darin vertretenen Ideen zufrieden.

Das Rezept für so viel Harmonie ist eine Ansammlung von Gemeinplätzen, und manchmal wird bei einer Behauptung gleich noch ihr Gegenteil mitgeliefert. Ein Beispiel: »Die neue Welt bietet der Menschheit in bisher unbekanntem Maße Chancen für eine bessere Zukunft, jedoch zugleich auch erschreckendere Zukunftsaussichten.« In Solanas Papier kommt alles vor: die Armut, die Tatsache, dass jedes Jahr 45 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung sterben, die Klimakatastrophe, verfehlte Staatsführung, Korruption und Frauenhandel. Probleme, die eine komplexe Antwort erfordern und, so Solana, gerade deshalb den Einsatz der EU verlangen.

Doch jenseits jeder altruistischen Rhetorik wird deutlich, dass die EU vor allem im eigenen Interesse handelt. Wer z.B. Vorschläge darüber erwartet, wie die Erderwärmung gestoppt werden kann, liegt falsch. Die Klimakatastrophe scheint vor allem deshalb ein Problem, weil sie globale Wanderbewegungen auslöst, und die kommen, wie man weiß, am Ende bei uns an. Noch deutlicher ist die eigene Interessenswahrnehmung beim Thema Energie. Europa hängt zu 50 Prozent und bald zu 70 Prozent von Energieimporten ab, stellt das Papier fest. Wen wundert’s also, dass »die ersten Verteidigungslinien oft im Ausland liegen«?

Solanas Entwurf ist die europäische Antwort auf die nationale Sicherheitsdoktrin der USA. Doch auch im Geist lehnt er sich an die Bedrohungsszenarien an, die die US-Administration nach dem 11. September 2001 entworfen hat. Als neue Gefahren werden der internationale Terrorismus, die Verbreitung moderner Massenvernichtungsmittel und die Sicherheitsrisiken, die von den so genannten gescheiterten Staaten ausgehen, genannt. Gemeint sind nach den security studies Staaten, die ihren Staatsbildungsprozess nicht erfolgreich abschließen konnten, etwa Afghanistan und Bosnien. Allerdings geht es Solana ganz offensichtlich auch darum, die EU als weltpolitischen Akteur und ebenbürtigen Partner der USA zu etablieren. Das Papier setzt sich zwar für eine Stärkung der internationalen Organisationen ein, seltsam unterbelichtet bleibt jedoch der Part der Nato.

Stellt euch nicht so an!, lautet Solanas Botschaft an die europäischen Mitgliedsstaaten, vermutlich aber auch ans Volk. Im Original: »Ob es einem gefällt oder nicht«, die Europäische Union sei ein globaler Akteur und »sollte daher bereit sein, einen Teil der Verantwortung für die globale Sicherheit zu tragen«. Was das konkret heißt, erfährt man am Schluss: mehr Engagement, mehr Kohärenz und mehr Mittel. Explizit erwogen wird auch die Möglichkeit präventiver Eingriffe zur Verteidigung europäischer Interessen.

Längst hat die EU es nicht mehr nötig, Militäreinsätze mit ihrem angeblich friedensstiftenden Charakter zu rechtfertigen. Stimmen die europäischen Staats- und Regierungschefs Solanas Entwurf im Dezember zu, so verfügt die EU über das ideologische Rüstzeug, ihre Interessen in der ganzen Welt militärisch durchzusetzen.