»Attac nutzt die Gelegenheit«

Ein Gespräch über die Popularität von Attac mit kai jelinek von der Universität Dortmund, der die globalisierungskritische Bewegung erforscht.

Wie ist der gegenwärtige große Erfolg von Attac zu erklären?

Man muss unterscheiden zwischen dem Erfolg, der im Jahr 2001 einsetzte, und dem jetzigen. Gegenwärtig weitet sich die Organisation mit ihrer Kampagne gegen den Sozialabbau tatsächlich zu einer Bewegung aus. Vor dem Jahr 2001 war Attac relativ erfolglos, erst mit den Ereignissen in Göteborg und Genua hat die Bewegung an Dynamik gewonnen.

Was hat diesen Aufschwung bewirkt?

Attac gelang es relativ geschickt, sich an der Skandalisierung der Polizeiübergriffe in Genua zu beteiligen und dadurch in die Medien zu kommen. Der Mitgliederzuwachs ist im Wesentlichen über die mediale Präsenz erreicht worden. Vorherige Versuche zu mobilisieren sind eigentlich schief gegangen. Attac hatte Glück, eine Gelegenheitslücke, eine political opportunity structure, wie die Bewegungsforschung das nennt, für sich nutzen zu können.

Nun reagiert Attac auf ein Unbehagen und nutzt dieses für sich. Attac hat eine andere Interpretation der sozialen Wirklichkeit als die Bundesregierung. Das Stichwort lautet: Neoliberalismus. Attac opponiert dagegen und das relativ glaubwürdig.

In der Vergangenheit gab es ja viele Übereinstimmungen zwischen Attac und den Grünen. Die Opposition gegen die Politik der rot-grünen Regierung ist etwas Neues. Wie wirkt sich das auf Attac aus?

Die Oppositionsrolle ist im Moment natürlich gut für die Organisation. Die Umweltbewegung hatte beispielsweise ein Problem damit, dass sie integriert wurde, ihre Vorstellungen aber nicht verwirklicht wurden.

Warum ist es gerade Attac gelungen, die Ereignisse von Genua für sich zu nutzen und nicht anderen Gruppierungen, wie etwa der Bundeskoordination Internationalismus (Buko)?

Da spielt sicher die übernationale Struktur eine Rolle. Zugleich war es von Vorteil, dass Attac sich keiner Ideologie verpflichtet fühlt und allen Schichten offen steht. Da kann man sich eher anschließen. Während die Buko sich ja stärker auf die Kapitalismuskritik festgelegt hat.

Die Offenheit des Programms wirkt sich also positiv aus?

Das macht es den Leuten einfacher einzusteigen. Die Basis wird dadurch größer. Auf der anderen Seite ist das natürlich auch ein Sprengfaktor. Dadurch, dass einerseits Leute aus dem radikalen antiimperialistischen Bereich dabei sind, die Gruppe Linksruck etwa, und andererseits Leute aus dem christlichen Spektrum, entstehen Konflikte. Die werden aber nicht ausgetragen. Man versucht vielmehr, die Kräfte zu bündeln und Teilziele zu erreichen. Die Ausschlusskriterien bei Attac sind dementsprechend weich.

Entscheidend aber ist, dass sich Attac medial inszenieren kann. In den damaligen Nachrichten wurde Attac einfach immer wieder genannt.

Ist die Netzstruktur für eine junge Politszene attraktiver als organisierte Verbände? Bereits der Name Attac klingt ja nach einer migrantischen Rap-Gruppe.

Das verkörpert radical chic, ja. Die Leute, die zu Attac gehen, kommen aus der Mittelschicht, haben einen linksalternativen und postmateriellen Hintergrund und einen gewissen Bildungsstand. Vielleicht kann man auch von einer Szene sprechen, ähnlich der Rave- oder Skateboard-Szene. Ein Indiz dafür ist der Event-Charakter. Die Ökologiebewegung oder die Dritte-Welt-Bewegung hatten keine Events wie demnächst das Weltsozialforum in Indien.

Attac ist in Frankreich entstanden, in dem Land also, das derzeit in Europa am stärksten ein politisches und kulturelles Gegengewicht zu den USA verkörpert. Ist Attac auch deshalb so attraktiv, weil es eine europäische Erfindung ist und eben kein US-Import und weil es sich als Alternative zu einem als amerikanisch verstandenen Kapitalismus inszeniert?

Ich glaube, in der Gründungsphase und in der Zeit des schnellen Wachstums der Organisation spielte dieses Element keine große Rolle. Die Proteste in Göteborg und Genua waren zunächst mal rein europäische Ereignisse. Die Proteste gegen die US-Hegemonie sind ja erst mit der Pace-Friedensbewegung gegen den Irakkrieg in Gang gekommen. Aber die Organisation wuchs schon vorher.

Profitiert Attac nicht ganz allgemein von einem wachsenden europäischen Selbstbewusstsein, das sich ja nicht per se in aggressiver Abgrenzung zu den USA entwickeln muss? Die Suche nach einer europäischen Identität gab es ja auch schon vor dem Irakkrieg, das Bedürfnis nach gemeinsamen europäischen Strukturen, auch dissidenten Strukturen.

Attac sieht sich ja als Teil der globalisierungskritischen Bewegung, und deren Gründungsmythos waren die internationalen Proteste in Seattle. Vorstellbar ist, dass es in Teilen der Bewegung auch um die Konfrontation mit den USA geht. Aber vor dem Irakkrieg – und in dieser Zeit ist die Bewegung ja gewachsen – ist diese Konfrontation nicht so bestimmend gewesen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kooperiert neuerdings, gerade in der Frage des Sozialabbaus, mit Attac. Wie erklären Sie sich, dass eine so große Organisation mit über zwei Millionen Mitgliedern sich etwas von Attac erhofft?

Verdi hat eine etwas linkere Ausrichtung als die IG Metall und der DGB. Die Gewerkschaft versucht, aus dieser Partnerschaft mit einer relativ autonomen Bewegungsorganisation, die ja im Gegensatz zu Verdi ziemlich frei sprechen kann, politische Vorteile zu ziehen und selber attraktiver zu werden.

Attac Deutschland war ja am Anfang nur ein Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, anders als in Frankreich, wo Attac relativ schnell zu einer Mitgliederorganisation wurde. Ein bisschen spiegelt sich davon in der Mitgliedschaft Verdis bei Attac wider. Es ist ja die Gewerkschaft, die hier Mitglied ist, nicht der einzelne Gewerkschafter.

Für welche positiven Werte steht Attac?

Im Moment ist es vor allem das Ideal der sozialen Gerechtigkeit. Die Globalisierungskritiker haben im Allgemeinen sehr viel von früheren Bewegungen übernommen. Die Ökologiebewegung mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit ist teilweise in der Bewegung aufgegangen, auch die Frauenbewegung, die Idee der Basisdemokratie. Platt gesagt, geht es darum, sich wieder mehr auf den Menschen zu beziehen.

Wie geht es weiter mit Attac?

Die Zukunft hängt davon ab, ob die Organisation den Kampf um die Definitionsmacht gewinnt. Einen Erfolg kann sich Attac zumindest schon zuschreiben: Es ist der Organisation gelungen, den vormals negativen Begriff »Globalisierungskritiker« positiv zu besetzen.

interview: heike runge

und stefan wirner