Zusammen gekürzt

Sozialabbau europaweit: Die gemeinsame Richtung ist klar von matthias becker

Ob in Spanien, in Österreich, Deutschland oder Frankreich – in vielen europäischen Ländern werden zur Zeit soziale Errungenschaften angegriffen und ausgehöhlt, die einst hart von der Arbeiterklasse erkämpft wurden. Der Sozialabbau ist überall die gleiche Antwort auf dieselbe Krise. Deutschland befindet sich in der Rezession, anderswo wird maximal ein Prozent Wirtschaftswachstum erwartet. Nur Großbritannien, wo der Finanzminister Gordon Brown optimistisch 2,5 Prozent für möglich hält, ist bisher eine Ausnahme. In fast allen europäischen Ländern steigt die Arbeitslosigkeit. Die Selbstverpflichtungen des so genannten Stabilitätspaktes von 1997 sind passé. Als Konkurrenz zum Dollar ist der Euro auf absehbare Zeit chancenlos.

Doch ganz gleich, welche Opfer die Regierungen Europas ihren Bevölkerungen im Standortwettbewerb abverlangen, Widerstand regt sich kaum. Und wenn, dann nur milde, kritisch begleitend und nach der weniger drastischen Alternative suchend. Viel von der Militanz, die deutsche Linke beispielsweise in Frankreich bestaunen, stellt sich bei näherem Hinsehen lediglich als eine etwas rabiatere Verhandlungstaktik heraus.

Dabei sind die Bedingungen, unter denen soziale Rechte abgeschafft werden sollen, in den einzelnen Ländern durchaus verschieden. Die Gewerkschaften, die überall mit dem Rücken zur Wand um ihren Einfluss kämpfen, sind unterschiedlich stark eingebunden. In Griechenland ist ein Sozialsystem wie das deutsche gar nicht vorstellbar – und umgekehrt. In Italien, wo Sozialhilfe und Arbeitslosengeld so gut wie nicht existieren, ist man auf die Familie als Absicherung angewiesen. Und vieles von dem, was nun in Deutschland auf der Tagesordnung des Bundesrats steht, ist in Großbritannien bereits vor zehn Jahren durchgesetzt worden. Das hat die dortige gesellschaftliche Auseinandersetzung verschärft und die durchschnittliche Lebenserwartung um Jahre gesenkt.

Die einst gravierenden Unterschiede in den europäischen Sozialsystemen nehmen seit einigen Jahren ab. Nun sehen manche ein europäisches Sozialsystem im Entstehen. Gemeinsamer Trend ist, dass der Anteil der Sozialausgaben einerseits kontinuierlich abnimmt und andererseits die Sozialsysteme zunehmend durch Steuern finanziert werden.

Nun wissen auch die Strategen des Kapitals, dass der Preis der Ware Arbeitskraft nicht unter einen gewissen Wert gedrückt werden kann, ohne ihre Qualität zu gefährden. Die deutsche Version dieser Ware ist immer noch weltbekannt dafür, dass sie gut ausgebildet und üblicherweise motiviert und loyal ist. Ob dieser Qualitätsstandard gehalten werden kann, trotz Gesundheitsreform, Umstrukturierung des Arbeitsmarktes und niedrigeren Renten, ist fraglich. Schon jetzt kommentiert das britische Magazin The Economist Schröders konfrontativen Kurs kritisch. Sollten die Gesetze zur so genannten Sozialreform nicht im Konsens verabschiedet werden, so das Blatt, würde die Zahl der Streiks zunehmen. Und seine traditionell loyale Arbeiterschaft sei »einer der letzten Standortvorteile, die Deutschland noch ins Rennen schicken kann«.