Zwischen Tönen

Mark Robinson, unser liebster Indie-Held der Achtziger und Neunziger, ist endlich wieder bei uns. von felix klopotek

Zwischen 1994 und 1996 erschienen in der Spex drei große Artikel über Mark Robinson, Sänger, Gitarrist, Songwriter, Label-Macher (Teenbeat) aus Washington DC. Robinson spielte damals in den Bands Unrest und Air Miami, und alles war aufregend. Spex nannte ihn eine »lebende Differenzmaschine« und kam zu dem Schluss: »Mark Robinson besitzt nicht erst seit gestern ein klares Bewusstsein der radikalen Historizität von Bedeutungen.«

Der Mann, stylish gekleidet und in Interviews nur die edelsten Referenzen aufrufend, erschien als Indie-Pop-Connaisseur schlechthin, als Verkörperung von Modernismus und Urbanismus. Wer als Spex-Leser damals in der Provinz hockte, wird angesichts eines Künstlers wie Robinson voller Demut die kulturelle Hegemonie der Metropolen anerkannt haben.

Sieben Jahre später, Sommer 2003. Mark Robinson spielt im Kölner Club Studio 672. Etwa 70 ZuhörerInnen sind da. Robinson spielt sein Soloset nahezu emotionsfrei, das Konzert wird freundlich und höflich aufgenommen. Kein Außenstehender käme auf den Gedanken, einem besonderen Ereignis beizuwohnen.

Was für ein Irrtum. Dieser Auftritt am 13. Juli 2003 war Robinsons erster überhaupt in Deutschland. Die dieser Tage auf dem Kölner Label Tomlab erschienene Solo-CD »Origami and Urbanism« – seine dritte Soloproduktion (zählt man die zahlreichen Kassetten nicht mit) – ist die erste CD, die offiziell in Deutschland erscheint. Denn Teenbeat-Veröffentlichungen hatten hierzulande nie einen vernünftigen Vertrieb.

Der Hype in Spex fußte auf dem Enthusiasmus der damaligen Redaktion. Was in den folgenden Jahren ansonsten passierte, lässt sich nur widersprüchlich beschreiben: einerseits nichts – kein Artikel, keine Besprechung einer Teenbeat-Platte erschien mehr, Robinson verschwand hier völlig aus dem Blickfeld, verdrängt von den in der zweiten Hälfte der Neunziger dominierenden Connaisseur-Musiken Postrock und Minimaltechno. Andererseits passierte aber sehr viel: Robinson ist nach wie vor ein unermüdlicher Produzent, Teenbeat ist in den USA neben dem Hardcore-Label Dischord (ebenfalls Washington DC) und dem an Garage-Punk orientierten K Records (Olympia/Washington) die Institution für unabhängig produzierte und vertriebene Musik. Die Musik, nicht selten von unbekannten lokalen Bands, darf ruhig intellektuell und kühl daherkommen, nur kryptisch und »experimentell« sollte sie nicht sein: Teenbeat ist ein lupenreines Poplabel. Robinson hatte vor acht Jahren sogar die Gelegenheit, Edwyn Collins’ – wie man heute weiß: äußerst erfolgreiches – Comebackalbum »Georgeous George« zu veröffentlichen. Gelegenheit ausgeschlagen, Pech gehabt.

Robinson ist ein Selfmademan, seit 20 Jahren in der Szene. Einer, der alles, was er bei Teenbeat umsetzt – nicht nur die Veröffentlichungen, auch Kataloge, Visitenkarten, Weihnachtsessen, Praktikanten etc. –, mit einer Katalog-Nummer versieht und der seinen Plattenveröffentlichungen mit seinem eigenen, merkwürdig formstrengen und trotzdem verspielten Grafikdesign seinen Stempel aufdrückt. Zu dieser Selfmade-Haltung passt, dass er in den letzten Jahren hauptsächlich solo auftritt. Flin Flon, seine letzte intakte Band (Unrest löste er bereits 1994 auf, Air Miami existierten weniger als ein Jahr), arbeitet nur sporadisch.

Mark Robinson liebt den britischen New Wave der frühen achtziger Jahre, exemplarisch verkörpert von dem legendären Manchester Label Factory (Joy Division, Durutti Column, Happy Mondays, New Order). Robinson verzichtet aber auf Großmäuligkeit und Drogenexzesse – die Washingtoner Indie-Szene war stets Straight Edge –, trotz seiner bald 40 Jahre sieht Robinson immer noch wie aus dem Ei gepellt aus. Diese Enthaltsamkeit verleiht der Musik eine Nüchternheit und Strenge, eine Art innere Härte, die sich eben nicht in Krach entladen muss. Sie wirkt erwachsen und gereift, man kann sich noch nicht mal vorstellen, dass sie früher unreif (Punk) gewesen sein könnte.

Der oben skizzierte Widerspruch – hier kaum vorhandene Rezeption, dort unablässige Independent-Wuselei – wird sich durch die Veröffentlichung von »Origami and Urbanism« nicht ändern. So paradox das klingen mag, aber die Veröffentlichung beruht nicht zuletzt auf diesem Widerspruch. Denn der Produktivismus Robinsons leitet sich aus einem klar abgesteckten, dennoch komplexen ästhetischen Bezugsfeld ab, aus spezifischen Arbeits- und Rezeptionsbedingungen, die sich nicht einfach so über den Ozean transportieren lassen. Die Musik von Robinson zu genießen, heißt, den Widerspruch anzuerkennen; heißt, in dem doch eigentlich sehr vertrauten Pop-Sound und dem präzisen Songwriting das Unbekannte und Abgründige zu erkennen. Je näher man hinhört, desto fremder schallt es zurück. So ist es nur konsequent, dass das Album auf Tomlab, einem Label für erhabene Abseitigkeiten und versponnenen Pop, erscheint.

Der Schluss wäre also: Das ist elitäre Musik, Songs, die man nur mit enormem Vorwissen richtig verstehen kann. Doch das ist wieder falsch, man muss die Schraube noch eine Windung weiter drehen. Robinsons Musik soll ja ganz klar und eindeutig sein! Sie ist, wenn man so will: meta-elitär, eine Reflexion über verfeinerte popästhetische Koordinaten, die sich aber nicht aufdrängen will. Der Hörer muss diese Reflexion nicht mitmachen (dann kann es aber passieren, dass man die Musik zu spröde und zu knapp formuliert findet).

»Origami and Urbanism« stellt seine Warenhaftigkeit offen aus, auf dem Frontcover sind die Credits genannt: »Tomlab catalog number 30; Calvin Johnson (Chef von K Records, Anm. F.K.) – producer and engineer; 11 Songs with guitar and organ«. Die Credits funktionieren aber auch als grafisches Element. Diese CD ist also ein Produkt, das gekauft werden soll; gleichzeitig ist die Gestaltung zu verspielt, jeder Credit, jede Farbe, jede Geste (Mark Robinson, der bekleidet in der Badewanne liegt) eine Andeutung. Diese Doppelbödigkeit setzt sich in der Musik selbst fort. Sie ist unterproduziert, so der erste Eindruck. Robinson hätte ruhig noch ein paar Wochen länger im (Heim-) Studio bleiben können, um die einfachen, aber schönen Songs anständig zu arrangieren und zu instrumentieren. Andererseits zwingt die sparsame Begleitung, ein paar schwebende Orgeltöne, ein dezent eingesetzter Drumcomputer, die zurückhaltende Gitarre, zur klaren Artikulation. Er weiß genau, was er tut. Die Kunst liegt darin, dies zu vermitteln, ohne sich als Gockel zu blamieren.

Man kann ihm bei der Arbeit, die nichts von Anstrengung hat, zuhören (man kann zu dieser Musik auch seinen Abwasch erledigen), ohne dass Robinson nervt und die Musik als etwas Neues, Innovatives etc. inszeniert. Darin mag der Grund liegen, warum das Interesse an ihm jenseits seines amerikanischen Umfelds wieder zunimmt, er trat ja nicht nur in Köln auf, er war immerhin auf Deutschlandtour.

Robinson steht für gereifte Indie-Werte, ein Wertkonservativer, der unbeschadet den Hype um Postrock, Minimaltechno und das ganze andere dekonstruktive Zeug von Clicks’n’Cuts bis Bleep-Hop überstanden hat. Und von der Wüste des Realen, Nu Metal, aber auch zweifelhaftem Seventies-Rock à la Strokes oder White Stripes, ist er unendlich weit entfernt.

Die Musikindustrie ist bankrott, die Popavantgarde von gestern wieder ein Gerücht und die Stimmung ernüchtert. Da kommt ein Kleinunternehmer und frisch gebadeter Vertreter der alten Indie-Garde gerade recht. Robinsons Musik ist nicht des Rätsels Lösung, sie ist ein Anfang. Irgendwie merkwürdig bei einem Typen, der 1982 seine erste Veröffentlichung hatte.

Mark Robinson, »Origami and Urbanism« (Tomlab/Hausmusik/a-Musik)