Kunstblut und Theaterdonner

Trotz perfekter Inszenierung kann die Jahreskonferenz der Labour Party die Krise der Partei und Tony Blairs nicht überdecken. von matthias becker, london

Sieben und eine halbe Minute hielt der Applaus nach Tony Blairs Rede an. Das ist noch nicht ganz der Stil, in dem ehemals in der Sowjetunion Parteitage abgeschlossen wurden, aber schon gar nicht schlecht. Auf einem Handzettel, der zuvor an die Delegierten verteilt worden war, stand zu lesen: »Nicht vergessen: wenn Tony aufhört zu reden, weiter klatschen!«

Labour demonstriert Einigkeit, und fast alle machen mit. Der Dissens ist vor das Kongresszentrum in Bournemouth verlagert, wo Trotzkisten, Tierfreunde und Pazifisten demonstrieren. Ob linker oder rechter Flügel, die britischen Sozialdemokraten glauben fest daran, dass ihre Partei in der Vergangenheit vor allem wegen der ewigen Fraktionskämpfe schwach war.

Seit dem Wahlsieg von 1997 ist das anders. Kritiker sprechen von der »Kontrollbesessenheit New Labours«, den minutiösen Anweisungen an Parlamentsabgeordnete und Parteifunktionäre, was sie mit welchen Worten wem zu sagen haben. Erwartungsgemäß war der Parteitag der Labour Party ein Stück mit klar verteilten Rollen, Multimediashow und Luftballons, und die Delegierten wurden degradiert zu Statisten. Der linke Parteiflügel gibt den Schurken und sorgt für Theaterdonner, während die Kabinettsmitglieder Herzblut vergießen.

Die andere Seite des Medienspektakels ist die Machtkonzentration um den Premierminister. Einfache Parteimitglieder haben keinerlei Einfluss auf die Regierungspolitik. Lieber als mit Parteigenossen umgibt sich Tony Blair mit so genannten Task Forces, technokratischen Expertengremien, die er je nach Aufgabe einsetzt. Außerdem verpasst er keine Gelegenheit, auf seine Gleichgültigkeit gegenüber den Ritualen der Arbeiterpartei hinzuweisen.

Kein Wunder, dass die Mehrzahl der Parteimitglieder sich mit Blair nicht anfreunden kann. Auf ihn verzichten können sie dennoch nicht. Umfragen der letzten Woche zeigen, dass Labour den nächsten Wahlsieg keineswegs in der Tasche hat und der Premier immer noch beliebter ist als die Partei.

Blairs zentraler Auftritt fand schon im ersten Akt statt. In seiner programmatischen Rede zur Eröffnung des Parteitags gab er sich gegenüber Kritik aus den eigenen Reihen unnachgiebig. Nachdem er wegen des unpopulären Kriegs gegen den Irak und der stagnierenden Reformen im Gesundheits- und Bildungssektor unter Druck steht, wählte Blair die Vorwärtsverteidigung: der Angriff auf den Irak war richtig, die Liberalisierung des Gesundheitssystems und höhere Studiengebühren müssen sein. Außerdem sollte endlich auch in Großbritannien die Ausweispflicht eingeführt werden, »um unsere demokratische Freiheit zu verteidigen«. Eine dritte Amtszeit? Auch das kann Tony Blair sich vorstellen.

Zum Abschluss sang die Konferenz gemeinsam die lange verpönte Parteihymne über die rote Fahne, die nicht eingezogen werden darf, sondern weiter wehen soll im Wind. Aber hinter der gespielten Harmonie verbirgt sich, dass auf der Konferenz dann doch auch politische Konflikte ausgetragen wurden.

Mit Vorliebe erörtern die englischen Zeitungen den Machtkampf zwischen den zwei Lagern innerhalb der Partei: Tony Blair und sein Freund und ehemaliger Pressesprecher, Alastair Campbell, einerseits und Finanzminister Gordon Brown andererseits. Brown unterlag seinerzeit nur knapp gegen Blair als Kandidat für das Amt des Premierministers und hat seine Ambitionen, Regierungschef zu werden, nicht aufgegeben.

Neben diesen beiden Zirkeln kämpfen noch zwei weitere Fraktionen um Einfluss auf die Partei: die großen Gewerkschaften und der linke beziehungsweise traditionalistische Flügel. Im Augenblick verbindet beide Fraktionen eine strategische Allianz. Die Gewerkschafter sind vehement gegen weitere Privatisierungen in der Bildung und der Gesundheitsversorgung, ebenso die Parteilinke, die sich mit dem Krieg gegen den Irak nicht abfinden will. Aber während die Sozialisten und Trotzkisten innerhalb Labours sich vor allem mit symbolischen Aktionen zufrieden geben müssen, sind die großen Gewerkschaften wirklich einflussreich, denn den Gewerkschaftern fällt fast die Hälfte aller Stimmen auf den Parteitagen zu. Noch wichtiger ist, dass Labour auf ihre finanzielle Unterstützung immer mehr angewiesen ist, denn seit 1997 ist die Zahl der Parteimitglieder von 400 000 unter 250 000 gesunken.

Das Verhältnis zwischen Labour und den Gewerkschaften ist seit Blairs Amtsantritt gespannt. Der Premier betont schließlich gerne, er habe alle Briten zu vertreten und sei den Arbeitern nicht besonders verpflichtet. An den repressiven Gesetzen, mit denen Margaret Thatcher die Macht der Gewerkschaften einzudämmen versuchte, hat seine Regierung nichts geändert. Dazu kommt ein Generationswechsel in der Führung der großen Dienstleistungsgewerkschaften. Die neuen Gewerkschaftsführer gelten als radikal und konfrontativ. Sie vertreten die Arbeiter und Arbeiterinnen im öffentlichen Sektor, die einerseits seit den achtziger Jahren massive Lohneinbußen und schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen mussten, andererseits nun eine bessere Verhandlungsposition haben, weil die Regierung die nächste Wahl nur gewinnen wird, wenn sie wenigstens einen Teil ihrer Versprechen einlöst, die den öffentlichen Dienst betreffen.

Die vier größten Gewerkschaften haben sich nun verbündet und der Regierung schwere, wenn auch nur symbolische Niederlagen beigebracht. So sprach sich die Konferenz gegen höhere Studiengebühren aus und dafür, dass auch die Arbeitgeber in das neue Rentensystem einzahlen sollen, was der Politik Blairs und seines Kabinetts völlig entgegengesetzt ist.

Wirklich gefährlich sind diese Beschlüsse für die Regierung nicht. Grundsätzlich ist sie an die Parteitagsbeschlüsse nicht gebunden, und immer noch ziehen die Arbeitervertreter New Labour einer konservativen Regierung vor. So scheiterte der Versuch der Parteilinken, eine Debatte über den Irakkrieg durchzusetzen, an der mangelnden Unterstützung durch die Gewerkschaften.

Hamid Karzai, nominell Präsident von Afghanistan, war ebenfalls auf der Konferenz anwesend und bedankte sich artig für die militärische Intervention Großbritanniens, die ihm zur Macht verhalf.

Mit großer Mehrheit stimmten die Delegierten außerdem gegen Blairs Pläne zur Gesundheitsreform. So genannte Gründerkrankenhäuser sollen unabhängiger von staatlichen Vorgaben und finanziellen Zuwendungen werden. Hinter dem Euphemismus verbirgt sich, dass die öffentliche Gesundheitsversorgung für private Investoren geöffnet und Marktmechanismen eingeführt werden sollen. Genau dieser Plan war unter der Regierung Thatcher spektakulär gescheitert, als Krankenhäuser miteinander um Ressourcen und Patienten konkurrierten. Mag der Zustand des englischen Gesundheitssystems auch desolat sein, in der Bevölkerung sitzt das Misstrauen gegen Privatisierungen im Gesundheitssystem tief.

Tatsächlich pumpt New Labour momentan so viel Geld in die Krankenhäuser wie nie zuvor. Aber wenn die Regierung die Staatsverschuldung nicht erhöhen will, dann braucht sie private Investoren oder höhere Steuereinnahmen – eine schwierige Wahl. Dasselbe Problem stellt sich bei den Universitäten, die bald mehr Geld von ihren Studenten verlangen dürfen. Nach der letzten Senkung des Zinssatzes gehen Finanzexperten von einem höheren Wirtschaftswachstum als erwartet aus. Sollte die britische Wirtschaft tatsächlich um 2,5 Prozent wachsen, können die Vorgaben des Haushalts möglicherweise eingehalten werden. Ansonsten wird Blair sich kaum länger an der Macht halten können.