Neptun wacht

Europa zu erreichen wird für Einwanderer immer schwieriger. Die italienische Regierung plant mit dem »Projekt Neptun« nun, den Weg übers Mittelmeer zu sperren. karin waringo, brüssel

Wenn man die Ressourcen der Welt nicht anders verteilt, verteilen sich die Verbraucher.« Aus dem Mund eines Ministers, und noch dazu eines konservativen, klingen diese Worte beinahe schon revolutionär. Doch vielleicht ist der italienische Innenminister Giuseppe Pisanu einfach nur realistisch. Er weiß, dass die Menschen nach Europa kommen werden, und er weiß auch, dass die europäische Wirtschaft diese Menschen braucht. Unermüdlich plädiert Pisanu, seit die italienische Regierung den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, für die Einführung europäischer Quoten, mit denen der Weg für eine reguläre Einwanderung und für legale Arbeitskräfte aus Drittstaaten frei wäre. Doch wie seine Vorgänger möchte auch Pisanu am Ende seiner Zeit als turnusmäßiger Vorsitzender des Rats der europäischen Innen- und Justizminister Ergebnisse vorweisen können und baut daher kräftig weiter an der Mauer um Europa.

Pisanus Arbeitspensum diesen Sommer war beachtlich. Angefangen hat es mit Unterredungen mit seinen spanischen und französischen Amtskollegen, es folgten Besuche in London und Dublin, Gespräche auf Malta und Zypern, zuletzt traf er Otto Schily auf Sardinien. Am kommenden Wochenende wird die italienische Regierung beim informellen Treffen der europäischen Innen- und Justizminister in Rom Vorschläge unterbreiten, wie dem Problem der »illegalen« Einwanderung Einhalt geboten werden kann. Da wird dann die Rede sein vom so genannten »burden sharing«, dem Aufbau einer europäischen Grenzkontrollagentur, von gemeinsamen Patrouillen zur Grenzüberwachung und von Lastenausgleich. Daneben möchte Italien auch die beim Gipfel in Thessaloniki beschlossene Einführung biometrischer Personenmerkmale in Pässen und Einreisedokumenten vorantreiben. Und vor allem will die italienische Regierung die Einreise übers Mittelmeer so schnell und effektiv wie möglich verhindern.

Knapp ein Fünftel der Einwanderungswilligen, schätzt ein Experte der EU-Kommission, wählt den Seeweg, um das europäische Festland an den griechischen, spanischen oder italienischen Küsten zu erreichen. Die restlichen 80 Prozent verschaffen sich ihren Weg nach Europa über Land.

Doch was die Versuche, die Festung Europa über das Meer statt über den Landweg zu erreichen, in den Augen der politischen Entscheidungsträger offensichtlich unterscheidet, ist die Tatsache, dass hier genauso massenhaft gestorben wird, wie die Boote ihre menschliche Fracht an oder vor den europäischen Küsten abladen, und dass das Flüchtlingselend so publik wird. Noch vor Ende dieses Jahres möchte Italien das so genannte »Projekt Neptun« starten. Offiziellen Angaben zufolge dient »Neptun« der Überwachung und Kontrolle der Seegrenzen im mittleren und östlichen Mittelmeerraum. Multinationale Seepatrouillen sollen die Gewässer abfahren und das Einschleusen »illegaler« Einwanderer verhindern. »Neptun« war Kernthema der Gespräche, die Pisanu diesen Sommer mit seinen Amtskollegen führte. Ihre Beteiligung zugesagt haben italienischen Angaben zufolge Spanien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Malta und Zypern. Ein zypriotischer Nachrichtendienst meldete, das Mittelmeer solle in zwei Zonen unterteilt werden, mit Koordinationszentren auf Zypern und in Spanien. Pisanu selbst sprach vom Aufbau eines Parallelprojekts im westlichen Mittelmeerraum unter spanischer Führung. In der Presse zirkulierten Informationen über eine Arbeitsteilung, bei der Spanien und Italien, manchmal wird auch Griechenland erwähnt, die Verantwortung für die Seegrenzen übernehmen würden, während Deutschland die Flughafenkontrolle koordinierte. Anderen Quellen zufolge zeichnet Italien für die Kontrolle der Flughäfen und Deutschland für die Überwachung der Landesgrenzen verantwortlich. Allerdings wollten weder das italienische noch das Bundesinnenministerium Details zu diesen Plänen preisgeben.

Deutschen Medienberichten zufolge ist die Frage der Finanzierung des »Projekts Neptun« zur Zeit noch offen, sodass die europäischen Innen- und Justizminister bei ihrem Treffen in Rom vermutlich um Gelder feilschen werden. Die italienische Regierung erwartet, dass die so genannte Mittelmeerrunde, die aufeinander folgenden EU-Präsidentschaften unter Führung eines Mittelmeeranrainerstaates, mit einer größeren Aufwendung finanzieller Mittel für Einwanderungskontrollen im Mittelmeerraum enden wird. Pisanu hat auch Malta Geld von der EU versprochen, wenn es sich als Ort für ein Abschiebegefängnis, das den gesamten Mittelmeerraum abdeckt, hergibt. Die maltesische Regierung, die bereits annähernd 600 »illegale« Einwanderer in Abschiebeknästen festhält, winkte ab. Anscheinend wurde Zypern ein gleich lautender Vorschlag unterbreitet.

Italien möchte eine größere Kosteneffizienz bei der Abschottung europäischer Grenzen, der mit dem stetig wiederkehrenden Verweis auf die Skrupellosigkeit der Schmuggler ein humanistischer Anschein gegeben wird. »Rückführungen« sollen gemeinsam organisiert werden und über einen noch zu schaffenden europäischen Fonds finanziert werden. Von den »vielen wichtigen und interessanten Vorschlägen«, die der italienische Innenminister zu Beginn seiner Präsidentschaft der Kommission unterbreitet haben will, ist in Brüssel diplomatischen Quellen zufolge nur einer angekommen. Anfang Juli reichte Italien in der Arbeitsgruppe »Migration und Ausweisung« des Rates einen Vorschlag ein, wie Abschiebungen kostengünstiger, effektiver und zugleich diskreter organisiert werden könnten. Diesem Vorschlag zufolge sollen Abschiebungen von Flüchtlingen und Migranten aus der EU in Zukunft nicht nur per Flugzeug, sondern auch mit dem Bus, dem Zug oder zivilen Fahrzeugen durchgeführt werden. Die begleitenden Beamten könnten ihre Arbeit in Zivil statt in Uniform erledigen (Jungle World, 35/03).

Italiens Pläne mögen ein bisschen nach apokalyptischem Größenwahn klingen. In einem Land, in welchem der Kampf gegen Einwanderer bereits auf breiter Front geführt wird, sorgen sie kaum für Überraschung. Das im vergangenen Jahr verabschiedete italienische Immigrationsgesetz, das »Bossi-Fini-Gesetz«, trägt den Namen des Ministers, der nach einem Schiffsunglück, bei dem im Juni fast siebzig Menschen beim Versuch, das italienische Festland zu erreichen, ertranken, forderte, die Küstenwache solle Kanonen gegen die Boote der Einwanderer einsetzen. Die italienische Regierung hat den »Kampf gegen illegale Einwanderung« auf europäischer Ebene zum Hauptziel ihrer sechsmonatigen EU-Präsidentschaft erklärt. Doch über vieles, was Italien seinen europäischen Partnern zurzeit vorschlägt, wurde bereits von anderen nachgedacht.

Die europäische Kommission wird ihrerseits in Rom die Ergebnisse einer neuerlichen Machbarkeitsstudie über die Kontrolle der Seegrenzen vorlegen. Diese Studie wird vermutlich eine Auswertung einer Reihe von bilateralen Projekten enthalten, die in den vergangenen zwölf Monaten durchgeführt wurden. Unter den Namen »Odysseus«, »Triton« und »Rio IV« wurde bereits mit multinationalen Kontrollen im Mittelmeerraum experimentiert. Die Studie soll auch eine Aufteilung des Mittelmeerraums in drei Zonen vorschlagen. Das Einzige, was die europäischen Staaten zurzeit davon abhält, in ihren gemeinsamen Abschottungsaktionen noch weiter zu gehen, ist das beharrliche Festhalten einiger Staaten an ihren Souveränitätsansprüchen.