Schweine schwitzen nur am Rüssel

Die Hitzewelle in Europa rettet Medien über die saisonal bedingte Nachrichtenflaute. Alle berichten genüsslich über 40,8 Grad Celsius im Schatten und die Folgen. von martin schwarz

Im deutschen Fernsehen – sei es privat oder öffentlich-rechtlich – Wetterfrosch zu sein, garantiert für gewöhnlich ein beschauliches Leben und die ewige Zugehörigkeit zur C-oder D-Prominenz: einmal Wetterfrosch, immer Wetterfrosch, lautet die goldene Regel. Bei Medienfesten müssen Wetteransager bemerken, wie sie auf dem roten Teppich stehen und dennoch garantiert nicht fotografiert werden, denn für ernsthafte Journalisten hält sie niemand aus der Branche. Denn wer die Wettervorhersage verkündet, macht keine Karriere beim Fernsehen, muss für gewöhnlich 40 Berufsjahre vor der Karte mit den Hochs und Tiefs verbringen und wird wohl nach seinem täglichen 1-Minuten-Auftritt gemeinsam mit dem Kartenmaterial irgendwo in den Requisitenkammern der diversen Funkhäuser verstaut.

Das muss nicht ausschließlich am Talent der Damen und Herren liegen, viel eher ist es wohl die gleichmäßige Trägheit hiesiger meteorologischer Gewissheiten, die kaum Sensationslüsternheit zulässt. Kaum Wirbelstürme, keine 25 Meter hohen Flutwellen auf der Spree, selten mal tagelange Schneefälle, die ganze Landstriche von der Außenwelt abschneiden. Ein fades Business eben, ganz anders als in Amerika, wo schon mal der eine oder andere Taifun halb Texas verwüstet oder plötzliche Wintereinbrüche im Norden für gepflegtes Chaos sorgen, so dass es sich lohnt, aus den Kapriolen des Wetters eine Show zu machen und aus dem Wetteransager einen Moderator.

Doch in Tagen wie diesen, wo die Hitze über den blühenden Landschaften brütet, da schaffen die TV-Wetterreptilien endlich den Sprung in die großen Nachrichten und können in epischer Breite ihr gesamtes einschlägiges Vokabular absondern: 40,8 Grad, Hitzerekord, Schwitzen, Dürre, Wassermangel und Ozon. Beinahe jede Aufmachermeldung der großen Nachrichtensendungen nährt sich derzeit aus solchen Begriffen. Und einen freut das ganz besonders: Jörg Kachelmann, eigentlich Schweizer, aber trotzdem irgendwie zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland gekommen, erlebt in Tagen wie diesen seine größten beruflichen Erfolge.

Letzte Woche, da war er sogar bei Reinhold Beckmann, dem absolut sympathiefreien Wichtigtuer der ARD und seiner gleichnamigen Talkshow. Und Kachelmann und Beckmann schwadronierten über die derzeitige Hitzewelle, als würden sie gerade die letzten Tage der Menschheit anmoderieren. Wenig später landete Kachelmann seinen nächsten Coup, denn er ist nicht nur der Wetterfachmann des Pantoffelkinos, sondern auch Gründer des Wetterdienstes Meteomedia, und seine Firma ermittelte im saarländischen Perl-Nennig, im Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg den absolut erstaunlichen und millenniumsmäßigen Hitzerekord von 40,8 Grad. Wen es wirklich interessiert: Die bislang höchste Temperatur in deutschen Landen wurde am 27. Juli 1983 im bayerischen Gärmersdorf gemessen und betrug 40,2 Grad Celsius. So rutschte Perl-Nennig ins Visier der medialen Schweißschnüffler der Republik. Die Bild-Zeitung, seit gut zehn Tagen Zentralorgan der Hitzegeschädigten, titelte am Samstag mit der denkwürdigen Schlagzeile: »Neuer Hitze-Rekord in Deutschland: 40,8 Grad im Saarland.« Was ist los mit Bild? War Kai Diekmann gerade baden oder auf Urlaub? So langweilige Schlagzeilen bei solch einem denkwürdigen Ereignis ist man von Deutschlands seriösestem Blatt nicht gewohnt. Immerhin schaffte es das großformatige Kleinformat, Hitze und heiße Frauen zu einer gewohnt feinen thematischen Komposition zu verschmelzen und rückte »Jennifer«, eine Brünette mit Brille, ins Bild, die sich ermattet die Hand auf die Stirn legt, auf ein etwa 80 Quadratzentimeter großes rotes Thermometer (es könnte allerdings auch eine Uhr gewesen sein) guckt und meint: »Mir ist sooo heiß.« Für Medien wie Bild eignet sich ein kollektiver Hitzestau wie der gegenwärtige natürlich auch bestens, um ungezwungen Schlüpfrigkeiten zu transportieren: Auf bild.de zu bewundern war etwa der total hintergründige Report »Deutschlands Städte so nackig wie nie!«, in dem aufgedeckt wird, dass Deutschland »zur riesigen FKK-Meile« wird in diesem »Schwitze-Sommer«, denn schließlich zeigt Bild die »schönsten Stellen, an denen mit Stoff gespart wurde«. Zur Info: Michel Friedmans Nase gehört nicht dazu, aber – wen wundert’s – dafür vor allem Damenrücken, Damenfrontseiten und Damenbeine.

Aber nicht alleine auflagenstarke Aufdecker-Blätter hieven sich entlang der steigenden Quecksilbersäulen aus dem Sommerloch, auch die programmmäßig parallel zur Bevölkerungspyramide strukturierten Sender wie das ZDF traten in den Wettlauf um die schönste Sommersonnenstory ein. Aus dem heute-Journal etwa erfuhren wir vergangene Woche gleich als Spitzenstory, moderiert mit dem nötigen Ernst, dass »Schweine nur am Rüssel schwitzen können«, ansonsten aber kaum über die nötigen Schweißporen verfügen – was eigentlich zu großer Erleichterung bei passionierten Schweineschnitzelessern führen müsste. Jedenfalls fabrizierte das ZDF einen schauerlichen Bericht über eine Schweinefarm, in der der vierbeinige Schnitzelrohstoff alle drei Stunden mit Wasser abgespritzt wird, um einen Hitzestau und ästhetisch wahrscheinlich unverträgliches Rüsselschwitzen zu vermeiden. Weil aber die Tiere bei der Hitze nicht so fressen, wie sie sollten, beklagte der Schweinebauer einen möglichen Verdienstausfall von 10 000 Euro in diesem Jahr. Was die Hitze alles anrichten kann. Grauenhaft.

Zumindest ebenso grauenhaft wie jener Beitrag in »Das«, dem Nachmittagsschunkelmagazin des NDR, in dem vom Schicksal zweier Zwergnilpferde in einem Tierpark berichtet wurde, die alle paar Stunden mangels Wasserbecken von ihrem Wärter mit Wasser abgespritzt werden. Tiere, die mit Wasser abgespritzt werden, scheinen die Berichterstatter derzeit ganz brennend zu interessieren. Auf ZDF.de wiederum bringt Hans Gotthardt, Geschäftsführer der größten Rindermastanlage in Mecklenburg-Vorpommern, die ganze Hitzeproblematik auf den Punkt: »In diesen Tagen geht es den Tieren wie den Menschen.« Denn auch Rindern droht in der Gluthitze ein Sonnenbrand. Beruhigend, dass Mastexperte Gotthardt nicht festgestellt hat, dass es in diesen Tagen den Menschen wie seinen Tieren geht.

Eines aber kann die Hitze: n-tv, das Berliner CNN-Archiv, zu einem echten Nachrichtensender machen. Endlich einmal muss n-tv nicht Bilder von CNN übernehmen, um top zu sein im News-Business, sondern kann seine Reporter zu aufwändigen Straßenbefragungen schicken und wirklich enorm spannende Sondersendungen über den »Rekordsommer« produzieren. Journalistische Kompetenz ist bei solchen Themen kaum vonnöten, was n-tv auch sehr entgegenkommt. Und die Waldbrände in Portugal, Spanien und Kanada sorgen für das nötige internationale Flair bei einem Sender, der seit Jahren regelmäßig überfordert ist, wenn Sensationelles in einem Umkreis von mehr als 20 Kilometern rund um das n-tv-Hauptquartier passiert. Leider ist das meistens der Fall.

Selbst der Spiegel kommt nicht umhin, sich der kollektiven Temperaturjagd anzuschließen, baut aber um seine Wetterstories wenigstens wissenschaftlich Anspruchsvolles: In einem Bericht über »die heißeste Nacht« seit drei Fantastrilliarden Jahren verblüffen die Aufdecker mit der Erkenntnis, dass da die Menschen doppelt so viel Sex haben wie normal. »Die heißen Nächte machen das Schlafen zur Qual. Dagegen wird das Sexualhormon Testosteron vermehrt gebildet. Statt zu ruhen, geben sich viele Menschen dem Sex hin. Umfragen zeigen: Doppelt so häufig, wie normal. Selbst auf dem Mittelgebirgen konnten Hitzegeplagte keine Abkühklung finden.« Zwei Fragen an Stefan Aust: Wird der Akkusativ bei Temperaturen ab 26 Grad grundsätzlich in einem Dativ umgewandelt? Kommt der Themenwechsel von Sex zu Mittelgebirge nicht ein wenig plötzlich in diesem Beitrag?

Lediglich Harald Schmidt hat wieder einmal alles richtig gemacht in seiner letzten Sendung vor der Sommerpause: Er zog sich Schuhwerk und Socken aus, krempelte die Hosenbeine hoch und moderierte, im Publikum herumstapfend, sein »Hitze aktuell« mit der Anmut von Oliver Geissen und dem Charme von Reinhold Beckmann. Dabei erzählte er die rührende Geschichte von einer Dokumentation über eine Eisbärenfamilie, in der ein Eisbärbaby von seiner Eisbärmama zurückgelassen wurde und »zwei Tage später bei Jürgen Fliege war«. Unaufgeregt befragte Schmidt sein Publikum, was es wohl gegen das Schwitzen tut und erhielt als Antwort angewandten Blödsinn wie »Ich stell mich in den Windpark« oder »Mein Ford Focus hat eine Klimaanlage« oder »Ich schlafe nackt«. Mehr muss man zu Langweiligkeiten wie dem Wetter nicht wissen. Außer man heißt Jörg Kachelmann oder Jennifer oder man kann nur am Rüssel schwitzen.