Kein Mädchen und kein Killer

Der Tod von Marie Trintignant hat das Thema Gewalt gegen Frauen wieder in die Schlagzeilen gebracht. von bernhard schmid

Das Thermometer zeigt an diesem Mittwoch 42 Grad, und dennoch strömen die Menschen gegen Mittag zur Steinwüste des Père Lachaise, des Pariser Prominentenfriedhofs mit seinen riesigen Grabsteinen und oberirdischen Grabhäuschen. Entlang der 45. und 43. Avenue dieser bizarr wirkenden Landschaft sind hunderte Meter lange Absperrgitter angebracht. Kurz nach 14 Uhr rollt hier der Trauerkonvoi entlang, in der Mitte des Zugs fährt der Wagen mit dem weißen Sarg der getöteten Marie Trintignant.

Viele Menschen in Frankreich haben Anteil genommen am Tod der Schauspielerin, die an ihren Verletzungen gestorben ist, die ihr von ihrem Lebensgefährten Bertrand Cantat beigebracht worden sind. Der muss sie in einem Hotelzimmer in Vilnius, wo sich beide grade aufhielten, so brutal geschlagen haben, dass sie ins Koma fiel und trotz zweier Notoperationen starb.

Die Trauergäste tragen helle sommerliche Kleidung. So hatte es sich die Familie gewünscht. Es laufen junge schwarze Franzosen, mit oder ohne Rastalocken, neben älteren Damen, dazwischen zahlreiche schwitzende Fotografen und Kameraleute. Die meisten Leute müssen freilich hinter der Absperrung warten, bis Angehörige und befreundete Künstler am Grab von Marie Trintignant vorbei defiliert sind. Man erkennt aus der Nähe Catherine Deneuve, ein riesiger Kranz von Präsident Jacques Chirac wird neben den Blumen des früheren kommunistischen Kulturministers Jack Ralite abgelegt. Maries Vater, Jean-Louis Trintignant, verliest ein Grußwort und muss immer wieder unterbrechen, weil ihm die Stimme versagt. Der französische Kulturminister spricht, er betont in seiner Rede, dass der Tod der Künstlerin eine Mahnung sein müsse, im Engagement für die Gleichberechtigung nicht nachzulassen.

In dem Gedränge hinter den Gittern geht es ein bisschen würdelos zu, es kommt zu Tumulten, als ein schwerer und ziemlich alter Grabstein hörbar umfällt; zu viele Leute hatten sich auf ihn gestützt. Ein älterer Herr beginnt zu rufen: »Der Hund, der das hat getan hat!« Cantat solle »büßen«, und auch sein Bruder und seine Schwester und und. Als er fortfährt: »und seine Mutter und sein Vater und …«, fangen die Umstehenden an zu murren: »Aufhören! Dies ist eine Beerdigung!«

Nach 40 Minuten dürfen dann auch »die Zivilisten«, wie der eifrig an seinem Funkgerät hängende polizeiliche Ordnungshüter es ausdrückt, zum Sarg vorrücken. Im Anschluss tragen viele sich in die ausgelegten Kondolenzbücher ein. Der Schock ist umso größer, als beide – Opfer und Täter – so ganz und gar nicht den gängigen Bildern von geschlagener Frau und Schlägertyp entsprechen. »Das Mädchen und der Killer«, so lautet ein klischeehafter Titel eines Films mit der Schauspielerin. Marie Trintignant war kein Mädchen, sondern eine selbstbewusste Frau, 41 Jahre, erfolgreiche Schauspielerin und Mutter von vier Kindern. Bertrant Cantat war kein Killer, sondern ein sympathischer Musiker, der sich für alles Mögliche engagierte. Und doch ist etwas passiert, das alles in Frage stellt, was bisher über die beiden Künstler bekannt war.

Für das Magazin Paris Match war sie das »Opfer einer Leidenschaft«, entsprechend wild-romantisch beschrieb die Illustrierte in ihrer Titelgeschichte das Verhältnis der beiden: »Sie liebten sich bis zum Wahnsinn.«

Die 41jährige Marie Trintignant war für Dreharbeiten zu einem Fernsehfilm in Litauen; in dem Film, bei dem ihre Mutter Nadine Regie führt, verkörperte sie die berühmte französische Schriftstellerin Colette, Verfasserin der legendären »Claudine«-Romane und der Bücher »Mitsou« und »Chérie«. Die Dreharbeiten zu »Colette« waren fast abgeschlossen. Ihr 39jähriger Freund Bertrand Cantat, Sänger und Texteschreiber der Rockband Noir Désir, war mit ihr gereist. Im Hotelzimmer kam es dann am vorletzten Samstag zu einem Streit, weil Trintignants Noch-Ehemann, der Regisseur Samuel Benchetrit, ihr eine berufliche SMS-Nachricht geschickt hatte. Und weil sie vermutlich vorhatte, einen Teil ihrer Ferien gemeinsam mit Benchetrit, dem Vater des jüngsten ihrer vier Kinder, und dem gemeinsamen Sohn zu verbringen. Trintignant und Cantat waren erst seit sechs Monaten offiziell zusammen, der Sänger hatte wegen ihr seine schwangere Ehefrau verlassen. Rasend vor Eifersucht und vermutlich auch unter dem Einfluss von Alkohol muss er auf seine Freundin eingeprügelt haben.

Die Neurologen, die die Schauspielerin in Neuilly-sur-Seine untersuchen, müssen – so ihre Aussagen in der Presse – »ein Szenario mit extremer Gewalttätigkeit« nachzeichnen. Das Resultat war ein Schädelbruch, der wiederum zu einer Blutung im Gehirn mit irreversiblen Folgen führte. Die Behauptung des derzeit in Vilnius auf seine Auslieferung nach Frankreich, der er zugestimmt hat, wartenden Bertrand Cantat, wonach es im Laufe der Auseinandersetzung zu einem Unfall gekommen und Martie Trintignant unglücklich gestürzt sei, lässt sich nach vorliegenden Erkenntnissen nicht aufrechterhalten. Denn sie trägt die Spuren einer Reihe von Schlägen, darunter im Gesicht. Nachdem die Schauspielerin reglos in sich zusammen gesackt war, nahm Cantat allem Anschein nach einen Cocktail von Alkohol und Tabletten zu sich, was er später mit der Aussage erklärte, falls Trintignant wirklich etwas Ernstes passiert sei, habe auch er nicht mehr leben wollen. In diesem Zustand vermied er es, Hilfe zu einem Zeitpunkt zu holen, als vielleicht noch nicht alles zu spät gewesen wäre.Erst vier Stunden nach dem Ende der Auseinandersetzung rief er Trintignants Bruder an, der gegen 7.30 Uhr im Hotelzimmer eintraf. Das Bild, das dieser sich machen konnte, genügte ihm, um Notarzt und Polizei anzurufen.

Dabei galt die Rockgruppe Noir Désir mit ihrem Sänger Bertrand Cantat durchaus nicht als Symbol für Brutalität oder auch nur ethische Gleichgültigkeit. Ganz im Gegenteil. Die 1987 von Cantat gemeinsam mit einem Schulfreund in Bordeaux gegründete Band hatte eher den Ruf, links und libertär geprägt und in diesem Sinne engagiert zu sein. Noir Désir (Schwarzes Verlangen) engagierten sich seit Jahren gegen den neofaschistischen Front National und dessen Angriffe auf die Kulturszene, setzten sich für »illegale« Immigranten und ihre Kämpfe ein. Sie traten z.B. zusammen mit der von politisierten Immigrantenjugendlichen aus Toulouse gegründeten Band Zebda auf und hatten Auftritte in Syrien, im Libanon, im Yemen und in der Türkei.

Den zapatistischen Subcomandante Marcos unterstützten sie ebenso wie Frankreichs linken Bauerngewerkschafter José Bové, zu dessen Unterstützung gegen staatliche Gerichtsverfahren die Band schon mal – wie im Sommer 2000 – ohne Gage vor 100 000 Menschen auftrat. Nicht ganz so passte da ins Bild, dass Noir Désir – was bereits seit Jahren bekannt ist – dick ins Immobiliengeschäft von Bordeaux eingestiegen waren. Cantats Image als sanfter Rockpoet und sensibler Künstler in der Nachfolge eines Jim Morrisson tat das aber keinen Abbruch.

Aber es gab da noch ein zweites Gesicht Bertrand Cantats. Wie erst jetzt, anlässlich seiner ersten Vernehmung in Vilnius, ans Tageslicht kam, soll er bereits in früheren Fällen Frauen geschlagen haben – Näheres ist allerdings bisher noch nicht bekannt geworden. Außerdem soll er Probleme mit Alkohol gehabt haben. Die Enthemmung durch den Alkohol scheint nützlich, wenn er auf der Bühne steht und seine phyische Leistung bis zum Äußersten treibt. Aber sie hat anscheinend auch andere Züge seiner Persönlichkeit hervortreten lassen , die er in der Öffentlichkeit lieber verborgen hielt. Noir Désir dürfte damit am Ende sein. Auf ihrer Homepage war Ende letzter Woche nurmehr ein Standbild zugänglich, die Diskussionsseiten waren abgeschaltet.

Marie Trintignant war ohne Zweifel eine große Schauspielerin, die sie im zarten Alter von vier Jahren zum ersten Mal mit ihrem Vater vor Publikum stand, im Theaterstück »Comédie sur un quai de gare« (Komödie auf einem Bahnsteig). Sie spielte insgesamt in etwa 30 Filmen mit und verkörperte zumeist komplexe, unangepasste, schwierige und »feministische« Charaktere. »Ich liebe merkwürdige Personen sehr«, begründete sie einmal ihre Vorliebe für Problemfilme. Grandios bewies sie dies in den Filmen von Claude Chabrol. So in »Une affaire de femmes« (»Eine Frauen-Angelegenheit«), wo sie eine Prostituierte in den Jahren von Vichy- und Besatzungs-Regime spielte. Auch privat war sie eine starke Persönlichkeit, eine emanzipierte Frau, auch unter dem Einfluss ihrer Mutter, die 1971 zu den Unterzeichnerinnen des »Manifests der 343« (»Ich bekenne, abgetrieben zu haben«) gehörte. Trintignant war die Mutter von vier Kindern, die aus unterschiedlichen Verbindungen stammen und die heute zwischen fünf und 17 Jahre alt sind.

Die prominente feministische Politikerin Gisèle Halimi erinnerte jüngst in einem Beitrag für Le Monde daran, dass Gewalt gegen Frauen schrecklicher Alltag ist und nur deshalb ein öffentliches Thema ist, weil sie dieses Mal eine Prominente getroffen hat. Halimi ruft ins Gedächtnis, dass es anderthalb Millionen weiblicher Gewaltopfer in Frankreich gibt, zumeist ist der Ehemann der Täter. Vielleicht könne der »Fall« von Marie Trintignant wenigstens dazu dienen, darüber zu reden.