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Die Frankfurter U-Bahn soll an einen US-amerikanischen Investor vermietet werden. Eine merkwürdige Koalition hat sich zusammenfunden, um das zu verhindern. von stefan neurad

Eine Frau läuft als Plakat-Sandwich über die Frankfurter Zeil. Es handelt sich nicht um Werbung für eine Sekte. »Rettet unsere U-Bahn«, ist auf den Plakaten zu lesen. Die Frankfurter sollen ein Bürgerbegehren unterschreiben, welches das geplante Cross-Border-Leasing (CBL) mit dem U-Bahn-Netz der Stadt verhindern soll. Die Initiatoren der Aktion für eine »CBL-freie Zone Frankfurt« sind Attac Frankfurt und einige Bündnispartner. Insgesamt werden 40 000 Unterschriften benötigt, um eine Abstimmung zu erzwingen.

Cross-Border-Leasing heißt, dass ein US-amerikanischer Investor eine ausländische Infrastruktureinrichtung auf lange Zeit mietet – häufig sind es 99 Jahre – und sie dem Betreiber für einen kürzeren Zeitraum zurückvermietet (Jungle World, 1/2/03). Erst nach Ablauf der Rückvermietung kann gekündigt werden; im Fall der Frankfurter U-Bahn nach 28 Jahren.

Sinn bekommt das absurde Treiben dadurch, dass solche langfristig geleasten Objekte nach dem Steuerrecht der USA als Eigentum des Investors gelten und abgeschrieben werden können. Der Investor zahlt einen Teil seiner Steuerersparnis direkt nach Abschluss der Verträge an den Geschäftspartner aus. Einen so genannten Barwertvorteil von 100 Millionen Dollar erhofft sich die Stadt Frankfurt von der U-Bahn-Transaktion.

Es gibt vielfältige Kritik am Cross-Border-Leasing. Ein Argument lautet, dass es sich dabei letztlich um Steuertricks ohne jegliche ökonomische Substanz handelt. Darüber hinaus betonen Stimmen aus allen politischen Lagern die finanziellen Risiken, die sich aus den Unwägbarkeiten während der langen Vertragsdauer ergeben. Was geschieht beim Konkurs eines Investors, bei Änderungen in der deutschen oder amerikanischen Gesetzgebung, der irreparablen Beschädigung der Anlage oder wenn die Betreiber schlecht wirtschaften? »Wenn es schief geht, zahlt Frankfurt bis zu 500 Millionen«, heißt es in einer Pressemitteilung von Attac, in der auch die Verpfändung städtischer Liegenschaften für mögliche Haftungsfälle kritisiert wird.

Weitere Einwände sind die Intransparenz des Verfahrens und die Aufgabe politischer Gestaltungsspielräume durch die Bindung an Verträge mit privaten Investoren. Die Kommunalparlamente entscheiden auf der Grundlage von Transaktionsbeschreibungen und kennen die Originalverträge in der Regel nicht. Der Öffentlichkeit soll beides vorenthalten bleiben, was in diesem Fall nicht gelang, da Attac die »Geheimverträge enthüllte« (www.rettetdieubahn.de).

Die eigentlichen Investoren bleiben tatsächlich oft im Verborgenen. Die US-Treuhandgesellschaften, die eigens zur Abwicklung eines Cross-Border-Leasings gegründet werden, ziehen Kritik auf sich, weil sie häufig in »Steuerparadiesen« angesiedelt seien und die Möglichkeit zur Geldwäsche böten. Dies betont zumindest eine Initiative von Intellektuellen, die das Frankfurter Bürgerbegehren unterstützt. Mit dabei sind Friedhelm Hengsbach, Elisabeth Abendroth und Iring Fetscher.

Oft prägen aber auch antiamerikanische Ressentiments die Debatte. »Wie können ›seriöse‹ Kommunalpolitiker auf die Idee kommen, ausgerechnet einem amerikanischen Investor unsere U-Bahn zu vermieten? Da kann man nur hoffen, dass wir nicht ›Schurkenstaat‹ werden«, echauffiert sich eine Leserbriefschreiberin in der Frankfurter Rundschau. Manchmal geben Ausdrücke wie »Old Europe«, »Deal« und ähnliche Formulierungen der Berichterstattung eine seltsame Note.

Fragwürdiges findet sich auch auf der globalisierungskritischen Seite www.privatisierungswahn.de. Einer Autorin gilt Cross-Border-Leasing als Instrument des »US-Imperialismus«. Denn es diene »im Sinne des amerikanischen Weltmachtstrebens« dazu, den Aufkauf ausländischer Infrastruktur durch US-Firmen zu fördern.

Tatsächlich ist es die Absicht des amerikanischen Gesetzgebers, Direktinvestitionen im Ausland durch Steuervorteile schmackhaft zu machen. Doch solche Praktiken sind keine Besonderheit der US-Wirtschaft. In einem anderen Text auf der gleichen Seite wird festgestellt, dass die Banken, die das Cross-Border-Leasing auf deutscher Seite abwickeln, »deshalb so scharf auf die Übernahme dieser Zahlungsströme (sind), weil sie sie als in Deutschland steuerbegünstigte Auslandsinvestition deklarieren«.

Einleuchtender ist das Argument der Kritiker solcher Praktiken, dass der amerikanische Staat Steuern an heimische Privatfirmen, aber auch an die öffentlichen Haushalte deutscher Kommunen verschenkt. Daher gab es in den USA bereits einige rechtliche Veränderungen, um rein virtuelle Investitionen zu unterbinden. Der hessische Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) hat sich übrigens kürzlich gegen Steuerschlupflöcher ausgesprochen, die durch innerdeutsche Sale-and-lease-back-Verfahren entstehen. Zum Cross-Border-Leasing meinte er dagegen: »Das müssen die Amerikaner entscheiden, ob sie die Deutschen dauerhaft an Steuervorteilen teilhaben lassen wollen.«

Im Frankfurter Bündnis »Rettet die U-Bahn« ist neben Attac, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Pax Christi, Mieter helfen Mietern und der PDS auch das Bürgerbündnis für Frankfurt (BFF) vertreten. Das BFF, das 1997 nach einem rassistischen Wahlkampf in den Römer einzog, hat schon einmal versucht, einen Volksentscheid anzuzetteln, damals gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. In der aktuellen Diskussion argumentiert der BFF-Stadtverordnete Wolfgang Hübner, »dass er sich (…) der Zukunft seiner Heimatstadt ungleich mehr verpflichtet fühlt als den Interessen anonymer Trusts und faktischer Steuerhinterzieher«. Die Jusos, die das Bündnis ursprünglich mit initiierten, wollen mit solchen Leuten nicht kooperieren und sammeln jetzt auf eigene Faust Unterschriften. Medico International forderte als Mitgliedsorganisation von Attac jüngst den »längst überfälligen Bruch mit dem BFF«.

Die radikale Linke hat sich bisher in die beachtliche öffentliche Diskussion nicht eingeschaltet. Dabei böte das Cross-Border-Leasing Anlass zu einer grundlegenden Kapitalismuskritik, welche ressentimentbeladene Positionen ebenso klar zurückweist wie technokratische Haushaltsfragen. Eine Schwarzfahr- und Nulltarif-Kampagne wäre die passende Antwort auf die Debatte um »unsere U-Bahn«. So könnte der Widerstand gegen Sozialabbau und Privatisierungspolitik mit radikalen Perspektiven verbunden werden.

Die Diskussion in Frankfurt wird andauern. Bis in den Herbst hinein können die fehlenden 7 000 Unterschriften gesammelt werden.