Die Macht der Generäle

Reformdebatte in der Türkei von eike janshen

Die Türkei steht unter Druck: Seit Jahren strebt sie zwar eine Aufnahme in den Kreis der EU an, doch bislang hat sie noch nicht einmal den Status eines Kandidaten erreicht. Vor allem der weiterhin starke Einfluss des Militärs gilt als große Hürde. Die EU drängt die türkische Regierung vehement, das politische System zu demokratisieren und die Rechte der Minderheiten zu stärken. Insbesondere die Situation der kurdischen Bevökerung soll verbessert werden.

Um den Forderungen der EU nachzukommen, hat das türkische Parlament am vergangenen Mittwoch Gesetze verabschiedet, die vor allem die Privilegien des Militärs beschneiden und den einflussreichen Nationalen Sicherheitsrat (MGK) zu einem reinen Beratungsgremium degradieren soll. Die politische Macht der Streitkräfte war bisher institutionell durch den Rat verankert, die Armee wird also um ihr wichtigstes Machtinstrument gebracht.

Die spannende Frage lautet daher: Geben sich die Streitkräfte dauerhaft mit ihrer eingeschränkten Autorität zufrieden, oder werden sie versuchen, ihren bislang starken Einfluss weiterhin geltend zu machen? Vorerst zumindest halten die Generäle still.

Dies könnte zum einen daran liegen, dass sich über zwei Drittel der türkischen Bevölkerung für die Mitgliedschaft in der EU ausspricht und die von der EU geforderten Reformen unterstützt. Auch das vorsichtige Taktieren des Ministerpräsidenten Recep Tayyp Erdogan dürfte eine Rolle spielen. Er hat das Gesetz in Absprache mit der Armeeführung – wenn auch gegen ihren erklärten Willen – durch das Parlament gebracht.

Möglich erscheint aber auch, dass die Generäle stillhalten, da sie sich ihrer politischen Macht sicher sind. Ihre »Ratschläge« werden Befehlen gleichgesetzt, die hinter den Kulissen durch wenig dezente Druckmittel ergänzt werden. So konnten sie beispielsweise Untersuchungen über die barbarischen Aspekte des Krieges gegen die PKK erfolgreich blockieren. Die Generäle könnten also darauf vertrauen, dass ihre informellen Kanäle ausreichen, um ihre Macht zu sichern. Das institutionelle Korsett wäre demnach einfach überflüssig. Entscheidend ist also, ob Politiker zukünftig Ratschläge als ebensolche behandeln, oder ob sie ihnen weiterhin Weisungscharakter beimessen.

Hinzu kommt, dass mittlerweile nicht nur von der EU, sondern auch von der anderen Seite des Atlantiks Druck ausgeübt wird. So drängen die USA derzeit auf den Abzug der türkischen Truppen aus dem Nordirak. Mit ihrer militärischen Präsenz will die Regierung in Ankara mögliche Angriffe kurdischer Separatisten verhindern. Doch weil das türkische Parlament kürzlich ein Amnestiegesetz für die Rebellen verabschiedet hat, hoffen die USA nun, dass sich die Lager der PKK/Kadek im Nordirak bald auflösen. Die von der EU geforderten Mindeststandards im Umgang mit der kurdischen Minderheit sind demnach durchaus im Sinne der US-Regierung.

Erdogan bestreitet indes, dass die Gesetze auf internationalen Druck hin ausgearbeitet wurden. Man brauche die Reformen weder wegen der EU noch wegen der USA, sondern nur um der eigenen Demokratie willen. Glückwünsche aus Brüssel konnte er trotzdem nicht abwenden. EU-Kommissar Günter Verheugen lobte die Reformen als einen »bedeutenden Schritt« in Richtung Beitrittsverhandlungen.