Transparenz inspiriert

Im Rahmen der »Schaustelle Berlin« ist der Palast der Republik zu besichtigen. An Ideen, wie das Gebäude bis zu seinem Abriss genutzt werden kann, mangelt es nicht. von udo van lengen

Guten Morgen« hat ein maskierter Bauarbeiter in das schmutzige Guckloch gesprüht. 52 Monate lang arbeitete er mit 300 Kollegen in einer hermetisch abgeschlossenen Umgebung. Maßgeschneiderte Schutzanzüge und Atemgeräte schützten ihr Leben. »Guten Morgen« brachte den Alltag der Außenwelt in das staubige Gebäude.

Am vergangenen Mittwoch hieß der grüne Schriftzug die ersten Menschen nach 13 Jahren willkommen, die den Palast der Republik in Berlin-Mitte ohne Marsmenschenverkleidung betreten durften. Denn die Bauleute haben ihren Auftrag erfüllt, verschwunden ist aller Spritzasbest.

Der gesundheitsschädliche Baustoff fand reichlich Verwendung, als der Palast Mitte der siebziger Jahre errichtet wurde. Die Wende brachte das Bedürfnis, ihn wegen Gesundheitsgefährdung zu schließen. Ein Mitglied der Bauüberwachung konnte nun stolz verkünden: »Dieses Gebäude stellt keine Gefährdung mehr dar.«

Das Schicksal des Palastes ist trotzdem besiegelt. Am 4. Juli 2002 beschloss der Bundestag, ihn abzureißen. Das Parlament folgte damit der Empfehlung einer Expertenkommission, das Berliner Stadtschloss wieder zu errichten. Der ehemalige Sitz der Hohenzollernkaiser war nach seiner Beschädigung im Zweiten Weltkrieg 1950 gesprengt worden. Die geschätzten 670 Millionen Euro, die für einen Wiederaufbau veranschlagt werden, hat jedoch momentan niemand übrig. Für 80 Millionen Euro gab es die Abrisssanierung, aber weitere 27 Millionen Euro würde es kosten, das Gebäude endgültig aus dem Stadtbild zu fegen.

Die finanzschwache Zeit wollen nun verschiedene Initiativen überbrücken. Der asbestsanierte Palast hat es ihnen angetan. Der Verein Zwischen Palast Nutzung schreibt: »Es wäre eine Chance, sich von dem Gebäude zu verabschieden und eine kritische, innovativ-experimentelle Auseinandersetzung mit der Geschichte zu führen.« Unter den Initiatoren ist Amelie Deuflhard, die künstlerische Leiterin der Sophiensäle in Berlin. »Wir können in und um den Palast der Republik eine neue Urbanisierung schaffen.« Das ehemalige Haus des Volkes ist von jeglicher ästhetischer Festlegung entkleidet. Es sei daher unklar, ob es hier um einen Ab- oder Neubau gehe, meint Deuflhard. »Ich finde die Transparenz inspirierend.«

Tatsächlich besteht der »Palazzo Prozzo« nunmehr aus rauem Beton und rostroten Stahlträgern. Der Blick geht uneingeschränkt von Ost nach West. Damit sich die künftigen Besucher vor lauter Transparenz nicht den Hals brechen, muss jedoch in Fluchtwegbeschilderung, Treppengeländer und Notbeleuchtung investiert werden. Für nur 1,2 Millionen Euro, hat der Verein ausgerechnet, könnten Teile des Rohbaus genutzt werden.

Die Oberfinanzdirektion Berlin (OFD), welche die Immobilie verwaltet, hat nichts gegen eine vorübergehende Nutzung einzuwenden, solange keine zusätzlichen Kosten entstehen. Das sei allerdings eine große Hürde, meint der Pressesprecher der OFD, Helmut John: »An vollmundigen Ideen mangelt es den Kulturschaffenden nicht, aber sie zerbröseln an der Finanzfrage.« Obendrein gäbe die Politik nur Nutzungsgarantien bis 2004, der Verein möchte ihn aber bis 2006 bespielen und die Investitionskosten von 1,2 Millionen Euro durch Sponsoren finanzieren.

Die erste vorübergehende Nutzung findet bereits in diesen Tagen statt. Im Rahmen der »Schaustelle Berlin«, die seit Jahren Interessierte über den Fortgang der Bauprojekte in Berlin informiert, kann der Palast der Republik besichtigt werden. Jedoch können nur kleine Gruppen unter strengen Auflagen das Gebäude betreten.

Still ist es dort. Nicht einmal der Straßenlärm dringt in die gefegten Hallen. Das Tageslicht erreicht nur mit Mühe den ehemaligen Volkskammersaal. Auf der anderen Seite der Straße ist der Berliner Dom zu erahnen, der sich draußen in der Fassade des Palastes spiegelt; ein beliebtes Fotomotiv, das erhalten werden müsse, meinen diejenigen, die sich gegen einen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses aussprechen.

Doch die an Niederlagen gewöhnten Palastfans könnten sich auch mit einer Zwischennutzung von »Erichs Lampenladen« anfreunden. Noch vor einem Jahr trafen sie sich auf dem Schlossplatz, dem ehemaligen Marx-Engels-Platz. Vor einer kleinen Lkw-Bühne tobten damals knapp 20 benebelte Punks zu Dreiakkordmusik, aus respektvoller Entfernung beäugt von 20 Älteren, die zum Erinnerungs- und Krankheitsgeschichtenaustausch an die Tapetentische voller Informationsmaterial getreten waren. Der Bundestagsbeschluss wirkte allenthalben ernüchternd. Nur das fehlende Geld für den Schlossneubau macht den Palastbefürwortern weiterhin Hoffnung. Der Architekturhistoriker Bruno Flierl findet die Initiative Deuflhards mutig. »Dadurch wird neue Kultur in Gang gesetzt. Vielleicht wird das ein europaweiter Volltreffer.« Ein Abriss verhindere die Fortführung der Geschichte, meint Flierl. Er warnt davor, den Prozess des Zusammenwachsens von Ost und West aufs Spiel zu setzen. »Wer sich wie ein Sieger aufführt, sollte nicht über Einheit sprechen.«

Deuflhard und der Verein Zwischen Palast Nutzung sprechen von etwa 200 Anfragen von Projekten und Künstlern, die das besondere Ambiente für ihre Ideen nutzen wollen. Der Operndekonstrukteur Christian von Borries will sich mit einer Wagneraufführung den elf Meter hohen ehemaligen Volkskammersaal aneignen. Im selben Saal könnte Marina Abramovic eine ihrer Musikperformances aufführen. Das neugierige Kulturvolk würde dazu mit den Füßen auf dem holprigen Betonfußboden scharren oder im Foyer des vierten Obergeschosses bei Tiefgaragenatmosphäre einen Cuba libre bestellen. Auch verschiedene Berliner Clubs wie das WMF haben Interesse angemeldet. Insgesamt scheinen sich eher elitäre Kunstprojekte mit dem Palast eine neue, heiße Location sichern zu wollen, gibt Deuflhard zu. »Aber wir sind auch im Gespräch mit einem Forum junger Bewegungskultur. Eine Skaterbahn wäre durchaus vorstellbar.«

Die langjährige Debatte darüber, ob das Schloss wieder aufzubauen oder der Palast zu erhalten sei, die der Empfehlung der Expertenkommission »Historische Mitte« vorausgegangen war, scheint mit Deuflhards Projekt endgültig abgeschlossen zu sein. »Uns geht es darum, über die zukünftige Nutzung dieser Leerstelle zu diskutieren«, erklärt sie. Daneben forderten verschiedene »Freunde des Berliner Stadtschlosses«, den Palast umgehend abzureißen, auch wenn die Neubebauung noch lange auf sich warten ließe.

Der Pressesprecher der Oberfinanzdirektion empfiehlt, das zukünftige Schlossgelände vorübergehend als Blumenbeet zu nutzen. »Denn an der rottigen Fassade wird der Verein Zwischen Palast Nutzung bestimmt nichts verändern.« In der Hand des Bundestages sind Deuflhards Pläne. Dort wird entschieden, ob auf dem Schlossplatz vorübergehend zwischen Stahl und Beton oder zwischen Margariten und Schwertlilien inszeniert wird.

Die Transparenz siegt in jedem Falle. Am Fenster des Palastes probierte jemand, alle Buchstaben außer dem »M« auszuwischen. Mit Erfolg. Die Besucher starren durch die so entstandene »orgen«-Schablone auf dem schmutzigen Fenster nach Westen.