Das Orakel von Bagdad

Warum der ehemalige irakische Informationsminister Mohamed al-Sahaf vor die Kamera gehört. von martin schwarz

Mit einer Mischung aus Besorgnis und freudiger Erregung reagierte das virtuelle Zentralorgan der weltweiten Mohamed-al-Sahaf-Fangemeinde, www.welovetheiraqiinformationminister.com, auf die ersten Fernsehbilder, die der arabische TV-Sender Abu Dhabi TV vom ehemaligen irakischen Informationsminister am Freitag vergangener Woche ausstrahlte: »Was ist mit seinem Haar passiert? Und was ist mit seiner Krankenkassen-Brille? Hat er seinen Stylisten an Rumsfeld verloren?« wurde besorgt gefragt. Doch immerhin – erstmals seit der tatsächlichen Eroberung Bagdads durch die »dummen Amerikaner« zeigte sich der irakische PR-Genius in einem Interview – allerdings deutlich verändert. Keine Uniform umschmeichelte mehr seinen Körper, vielmehr war Al-Sahaf in ein kariertes Hemd gewandet und sah aus, als sei er gerade von einer Bergwanderung zurückgekehrt.

Auch das ehemals schwarze wallende Haar, das bei den täglichen Pressekonferenzen so neckisch unter der Ministermütze hervorlugte, ist merklich ausgedünnt und hat sich in ein solides Beckenbauer-Grau verwandelt. Dennoch scheint al-Sahaf bei bester Gesundheit und Laune. Nur kurz, so der 63jährige, sei er von den US-Besatzern zu seinen »früheren Tätigkeiten« befragt und dann sofort wieder feigelassen worden. Auf die Frage, woher er während des nun doch augenscheinlich verloren gegangenen Krieges seine nicht immer in vollkommenem Einklang mit der Realität stehenden Informationen bezogen habe, antwortete Sahaf, wie man ihn kennt: »Aus vielen authentischen Quellen. Viele authentische Quellen.«

Wir erinnern uns. Als kurz vor dem Fall Bagdads einige Reporter den Informationsminister darauf aufmerksam machten, dass eventuell doch die klitzekleine Möglichkeit bestehe, dass die Amerikaner sich der Hauptstadt näherten, gab Sahaf den legendären Satz zum Besten: »Ich informiere Sie hiermit, dass Sie zu weit von der Realität entfernt sind.« Diesen Satz findet man mittlerweile – wie auch einige andere des Orakels von Bagdad – auf Kaffeetassen, T-Shirts und auf einer CD mit einem Rap-Song, zusammengeschnitten aus den besten Sprüchen des Mannes.

Um die Figur Sahafs ist mittlerweile eine kleine Merchandising-Industrie entstanden wie einst um E.T. oder neuerdings um Harry Potter. Die Website www.welovetheiraqiinformationminister.com verzeichnet täglich bis zu 500 000 Zugriffe, denn Millionen Menschen auf der ganzen Welt werden getrieben von der Sorge um Leben und Gesundheit des Saddam-Sprechers. Selbst Puppen im Sahaf-Outfit gibt es mittlerweile, die abwechselnd einige Sprüche Sahafs von sich geben.

Auch der Feind, den Sahaf »mit Kugeln und Schuhen empfangen« wollte, zollt ihm angeblich Respekt. »Der Typ ist großartig«, soll der US-Präsident gemeint und bekannt haben, immer dann den Fernseher eingeschaltet zu haben, wenn Sahaf wieder einmal eine seiner berüchtigten Pressekonferenzen in Bagdad gab. Wobei der Empfang mit Schuhen zwar militärtechnisch nicht unbedingt von großer Effektivität ist, aber eine tiefe Bedeutung in der arabischen Symbolik hat. Jemanden mit Schuhen zu schlagen, ist Ausdruck für tiefste Verachtung. Legendär sind die Fernsehbilder nach dem Fall Bagdads, in denen Kinder mit Schuhen auf Saddam-Bilder eindroschen.

Auch die US-Militärverwaltung in Bagdad schwärmt für ihn: »Ich würde Bagdad-Bob gerne mal selbst treffen«, meinte Sahafs amerikanischer Kollege, Colonel Guy Shields, Sprecher der US-Armee in Bagdad, kurz nach dem letzten Fernsehauftritt des Informationsministers. »Wenn er in die USA kommt, kann er Pressesprecher von praktisch jedem Millionär werden. Er hat einen Fanclub, von dem er nicht einmal weiß. Er ist einer meiner Helden«, so Shields verzückt.

Tatsächlich könnte Sahaf mit etwas Geschick noch eine zweite Karriere machen, denn an den Verbrechen des Saddam-Regimes dürfte sich der ehemalige Botschafter bei den Vereinten Nationen und kurzeitige Außenminister nicht beteiligt haben. Selbst als Pressesprecher der in Wien ansässigen Opec wird Sahaf gehandelt, und schon jetzt ergehen sich seine Fans im Internet in Phantasien darüber, wie Sahaf wohl auf die Vorwürfe von Umweltschützern an die Adresse der Ölindustrie reagieren würde: »Der Treibhauseffekt ist ein Mythos, der von denselben Öko-Kriminellen erfunden wurde, die Grün, die heilige Farbe des Islam, gestohlen haben. Möge Gott auf ihre Windmühlen furzen!« Engagiert werden könnte Sahaf auch als Action-Koch in einem Luxushotel in Las Vegas. »Live wird er sein berüchtigtstes Gericht zubereiten – gebratener Ungläubigen-Magen mit Trüffeln! Wenn es um das Schlachten und Grillen von Ungläubigen in genau der richtigen Gewürz- und Kräutermischung geht, gibt es keinen besseren als Mo!« könnte es dann in der Ankündigung heißen. Genial auch Mohamed al-Sahafs erster Auftritt als PR-Manager des Supermarkt-Konzerns Wal-Mart: »Die Ungläubigen werden andere Geschäfte als Wal-Mart betreten und Selbstmord begehen.«

Ein arabischer Fernsehsender hat »Mo« tatsächlich einen gut bezahlten Job als Kommentator aktueller politischer Ereignisse im Mittleren Osten angeboten. Die Mo-Show könnte das Bild der arabischen Region verändern, davon sind die Fans auf jeden Fall überzeugt. In Deutschland wiederum existiert die unterstützenswerte Initiative, Mo mit dem nächsten Grimme-Preis zu beehren – in würdiger Nachfolge von Götz Alsmann und Harald Schmidt. Schließlich sind militärstrategische Analysen wie »Wir haben zwei Panzer, zwei Helikopter und ihre Schaufeln zerstört« doch eine Auszeichnung wert.

Wie bewertet Mo nach dem Krieg nun seine Arbeit? Wie konnte seiner Meinung nach der Eindruck entstehen, dass der irakische Informationsminister in einem unergründlichen Paralleluniversum lebt und von dort mit uns spricht? Darauf hatte Mo im Interview mit Abu Dhabi-TV eine passende Antwort: »Die Informationen waren korrekt, aber die Interpretationen waren es nicht.« Der Mann ist zweifellos ein Verbalakrobat. Schließlich fällt es schwer zu glauben, dass seine Informationen korrekt waren, wenn er am Tag vor dem endgültigen Fall Bagdads noch meinte, es seien »keine Amerikaner in Bagdad«, und im gleichen Moment im Hintergrund US-Panzer durchs Fernsehbild rollten. Wenige Stunden später war Sahaf verschwunden und es gab Spekulationen um sein Schicksal. Mal kursierte das Gerücht, er sei von einer aufgebrachten Menge in seinem Haus gelyncht worden, andere wollten wissen, dass er nach Syrien geflohen sei, und wieder andere Quellen vermuteten Sahaf im Haus seiner Schwester in Bagdad, wo er sich vor dem Mob zu verstecken trachtete. Aber dieser Mob empfand offensichtlich keine Wut auf ihn. Als in den Cafés von Bagdad das TV-Interview mit dem einstigen Hussein-Sprecher übertragen wurde, schienen die Menschen von Mitleid und Bewunderung bewegt. »Er sieht aus wie die ältere Version des ehemaligen Ministers. Er sieht viel dünner aus und sein Haar ist weiß geworden«, sagte Wissam Al-Ani, der Besitzer eines Cafés in Bagdad. Aber wahrscheinlich würde Sahaf auch das gerne dementieren. »Ich bin nicht dünner und mein Haar ist nicht weiß«, würde er dem Mann entgegenschleudern und ihn informieren, von der Realität zu weit entfernt zu sein.

Von Martin Schwarz erscheint Anfang August im Knaur-Verlag das Buch »Saddams blutiges Erbe – Der wirkliche Krieg steht uns noch bevor«. Ausführliche Informationen dazu unter http://irak.go.cc