Ein Bart im Kornfeld

Folk im Geiste Bob Dylans ist wieder angesagt. Um so etwas wie Authentizität geht es dabei nicht mehr. von felix klopotek

Das Schöne an Folk und Blues ist, dass die musikalischen Ausdrucksmittel so bekannt, bestens eingeführt und kanonisiert sind, dass man als Hörer sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Und das Wesentliche, würde der kölsche Liedermacher Rolli Brings jetzt bestimmt sagen, das Wesentliche ist die Message.

Sie ist so wichtig, dass er sie sogar extra für uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. So geschehen auf einer Kölner Friedensdemo Ende März, auf der er mit seinen Söhnen Bob Dylans Song »Masters of War« spielte. Er übersetzte und erklärte den Text, dann schrammelten alle gemeinsam den Song runter, der seit 40 Jahren zum Inventar jeder Friedensbewegung gehört.

Eine schrecklich peinliche Situation. Der Song wirkte im Jahre 2003 grotesk unangemessen und abgestanden, dazu geriet die Darbietung noch unerträglich prätentiös.

Ein paar Wochen später hörte ich jedoch, wie ein befreundeter DJ Bob Dylan im Original bei einer Afterhour auflegte. Er klang plötzlich wie neu. Dylans gepresste Stimme klang lakonisch und dabei unheimlich ernst. »Masters of War« klang wieder streng, monoton, gnadenlos und doch – es handelt sich schließlich um akustische Musik, einen Mann und eine Gitarre – ungeschützt, fast schon verletzlich. Der Song atmete, ja doch, ungeahnte Gegenwärtigkeit.

Das Wesentliche an Folk ist also eben nicht die engagierte Aussage, sondern seine Machart, die Gestaltung des Formalen. Guter Folk ist entgegen einem weit verbreiteten Irrglauben immer das Gegenteil von authentisch und unverfälscht. Denn dass die Zeiten des Deltablues und der Gospelquartette unwiederbringlich vorbei sind, wusste bereits niemand besser als Musiker wie Dylan oder Neil Young. Diese blickten, als sie in den Sechzigern ihre eigenen Karrieren begannen, bereits auf ein historisch gewordenes Genre zurück. Auf ein Genre, das erst durch übertriebene Performanz – den Country-Boy- und Einsiedler-Mummenschanz, den man von Young und Dylan gewohnt ist – wieder zeitgemäß wurde.

Es spricht also einiges dafür, dass die gegenwärtige Begeisterung in techno- und postrockmüden Kreisen für amerikanischen bzw. »amerikanisch klingenden« Folkrock auf einem Missverständnis, das von den Musikern allerdings kalkuliert sein dürfte, beruht. Das Bedürfnis nach einer Musik, die wieder zurückfindet zu nachvollziehbaren Strukturen, also zu Songs, die man mitsummen möchte und mit denen man Erinnerungen verbinden kann, richtet sich nunmehr an Musiker, die den Song nicht mehr als realpolitischen Wutschrei verstehen wie in den Zeiten des Protestsongs. Sie verstehen unter Songwriting lediglich ein Handwerk, das Regeln anordnet und variiert. Dadurch wirken die meisten der aktuellen Folkplatten auch in höchstem Maße artifiziell.

Vielleicht wird dies nirgends so deutlich wie auf den aktuellen Aufnahmen von Nicolai Dunger und Bonnie »Prince« Billy. Dunger blickt uns auf dem Cover seiner neuen Platte »Tranquil Isolation« ein bisschen abgekämpft, aber doch zufrieden an. Er steht auf einem abgeernteten Feld, das, so klärt der Booklet-Text auf, in Kentucky liegt. Hinter ihm geht die Sonne unter – oder auf, je nachdem. Klappt man das Booklet der CD auf, blicken uns die Bandmitglieder auf eben jenem Feld in der jeweils gleichen Pose an. Alles kommt einfach und schlicht rüber, die Musiker verstehen sich offensichtlich als ehrliche Arbeiter. Die Musik ist akustisch, sparsam instrumentiert und warm und rund produziert. Dunger singt von ehrlichen Problemen: »Hey Mama, tell me what is wrong/ With my song/ When I hear it sounds so tender, but/ Every time I sing it, it becomes hard.« Die Welt ist aus den Fugen geraten, weshalb sich Dunger nach Hause sehnt, zur Mutti an den warmen Herd, wo alles noch stimmig ist. Dennoch ist der Song wunderbar weich, sehr entspannt, ohne Schnörkel und ohne Sentiment. Die Form, die Musik, konterkariert den Inhalt, den Text des Songs.

Eigentlich gehört Dunger überhaupt nicht auf das Feld in Kentucky. Er ist Schwede, hat mal eine Zeit lang in einem Kibbuz gelebt und hätte vor ein paar Jahren auch die Chance gehabt, als Profifußballer über die Runden zu kommen. Mit Platten wie »This Cloud is Learning« (1999) und vor allem mit »Soul Rush« (2001) gelang ihm sein nationaler Durchbruch, so dass seine Plattenfirma jetzt in seine internationale Karriere investiert.

Die Rechnung könnte aufgehen, denn Dunger variiert die Regeln des Genres besonders geschickt. »Tranquil Isolation« eröffnet mit einem nicht enden wollenden Intro, sehr träge, sehr lang gezogen. Nur das mit den Besen gespielte, elegant federnde Schlagzeug sorgt für ein wenig flotte Stimmung. Und dann krächzt Dunger, und es ist ein sehr geschultes, lange geübtes Krächzen: »Last night I dreamt of Mississippi / I never thought I’d catch you on / That side.« Mehr Text kommt nicht vor, Dunger wiederholt die drei Zeilen ein paar Mal und die Musik lullt einen langsam ein. Man glaubt sofort, dass Dunger noch nie am Mississippi war, höchstens eine Postkarten-Ahnung von der Gegend hat und mal eben aus diesen Klischeevorstellungen einen siebenminütigen Song geschnitzt hat.

Klischees? Dichtet diese bitte nicht Will Oldham an, beschwört die Fachpresse. Oldham gilt seit seiner ersten Platte »There Is No One What Will Take Care of You« (1993) als Meister des unendlich traurigen und hoffnungslosen Countryblues, als »Samuel Beckett des Folk« (Christoph Gurk). Bezeichnet nicht diese Charakterisierung gerade das denkbar Unauthentischste? Was hat denn schon Beckett mit der (angeblichen) Tragik US-amerikanischen Landlebens zu tun? Eben.

Oldham und seine Musiker sind Dungers Backing Band auf »Tranquil Isolation« und maßgeblich für die Arrangements zuständig. Oldham selbst hat nun fast gleichzeitig als Bonnie »Prince« Billy mit »Master and Everyone« sein neuntes reguläres Album veröffentlicht. Alle Ingredienzien der Traurigkeit sind hier versammelt, die Instrumentierung ist noch sparsamer als früher, das Schlagzeug fehlt, Oldhams wackelige Stimme wird durch anheimelnden Frauengesang kontrastiert. Die Stimmung ist feierlich und vereinsamt zugleich. Die in der Musikpresse auftauchenden Vorwürfe, dass Oldham nur noch regressive, reaktionäre Musik mache, gehen am Kern der Sache vorbei. Schließlich variiert er die Regeln zwar nicht so deutlich wie Dunger, will das offensichtlich aber auch gar nicht. Oldham gibt in Interviews den Autisten und Antwortverweigerer. Alles passt perfekt zusammen. Ein Reaktionär glaubt an seine Rolle, Oldham spielt sie nur – allerdings auf Dauer zu monoton, und es beschleicht einen der Verdacht, Oldham glaube am Ende an seine Rolle. Beckett war vielleicht doch besser.

Nicolai Dunger: »Tranquil Isolation« (Virgin/ EMI)Bonnie »Prince« Billy: »Master and Everyone« (Domino/Zomba)