Zurück in die Mitte

Die V-Mann-Affäre hat zur Einstellung des Verbotsverfahrens gegen die NPD geführt. Der »Aufstand der Anständigen« endete in einem Debakel. von antje schwarzmeier

Mitglieder der NPD – auch solche in Führungsfunktionen –, die aufgrund von Geldzuwendungen oder aus anderen Beweggründen Informationen an den Verfassungsschutz liefern, sind keine Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Sie bleiben außerhalb der Staatssphäre.« Dies erklärte Bundesinnenminister Otto Schily am vergangenen Mittwoch. Am Tag zuvor hatte das Verfassungsgericht das Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD eingestellt. Drei der sieben Richter stimmten gegen die Weiterführung des Verfahrens. Für eine Weiterführung wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig gewesen.

Der Grund für die Einstellung des Verfahrens ist die V-Mann-Affäre. In den Verbotsanträgen der Antragsteller – die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat – waren Äußerungen von Mitgliedern der NPD zitiert worden, die für den Verfassungsschutz arbeiteten. Auch hatte sich herausgestellt, dass in fast allen Vorstandsgremien der NPD ein bis zwei, manchmal sogar drei V-Leute sitzen. Eine peinliche Blamage also für Schily, der sich von seinem ehemaligen Anwaltskollegen, dem NPD-Verteidiger Horst Mahler, den Vorwurf gefallen lassen musste, er habe seine Partei durch die Unterwanderung mit V-Leuten zu einer »Staatsagentur« gemacht. Das Verfassungsgericht sah schließlich in der potenziellen »Fremdsteuerung« der Partei ein »nicht behebbares Verfahrenshindernis«.

Otto Schily hält die Entscheidung des Gerichts für falsch. Er argumentiert, dass der Erhalt von Informationen über V-Männer keinen Einfluss auf die NPD gehabt habe, schließlich hätten die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder keine Personen in die Partei »eingeschleust«.

Letztlich scheiterte das Verfahren also formal und nicht inhaltlich. Die verfassungsfeindliche Ausrichtung der Partei steht nicht in Frage, und auch Schily attestiert ihr weiterhin »blanken Antisemitismus«. Die Einstellung des Verfahrens ändert nichts an der rechtsextremen Ideologie der NPD und ihrer 6 500 Mitglieder. Beweismaterial dafür lieferte Horst Mahler noch während des Verfahrens, indem er vor den Richtern Verschwörungstheorien sponn und erklärte: »Wenn in Deutschland das Recht wiederhergestellt ist und die Bundesregierung hinter Gittern sitzt«, dann würde er lediglich für seinen alten Freund Otto Schily einen »Gnadenantrag« stellen.

Manche Gegner der NPD können aber die Karlsruher Entscheidung nachvollziehen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hält den Angriff Schilys auf die Karlsruher Richter für ungerechtfertigt und wertet die Entscheidung »als Beweis für das Funktionieren unseres Rechtsstaates«. Ströbele, der ein Verbotsverfahren stets abgelehnt hat, ist der Meinung, dass »auch die schlimmsten Feinde demokratischer Ordnung Anspruch auf ein faires Verfahren haben. Außerdem hat das höchste deutsche Gericht seine Unabhängigkeit von den anderen Verfassungsorganen deutlich zum Ausdruck gebracht«. Das sei ein gutes Zeichen – auch wenn er das Ergebnis in der Sache bedauern müsse. Schließlich hätte das belastende Material auch ohne die Zitate der V-Leute erstellt werden können. Nun fordert Ströbele als Konsequenz, den Einsatz von V-Leuten prinzipiell und die Arbeit der immerhin 17 deutschen Verfassungsschutzämter im Hinblick auf ihre Effektivität, ihre Kooperationen und die Möglichkeiten ihrer Kontrolle zu überprüfen.

Genützt hat die Einstellung des Verfahrens vor allem der NPD, die nun rehabilitiert ist – zumal nicht mit einem neuen Verbotsantrag zu rechnen ist. So frohlockt der Parteivorsitzende Udo Voigt bereits, dass seine Partei nun neuen Zulauf bekommen werde. Damit könnte er Recht haben, denn die Krise, in die das Verfahren die NPD gestürzt hatte, ist vorbei: Jüngere, aktionsorientierte Parteimitglieder hatten sich bereits nach Ersatzstrukturen umgeschaut. Gerade die jungen Kader, die ein sehr funktionales Verhältnis zur Parteienstruktur haben, fürchteten ein Parteiverbot weit weniger als altgediente NPDler, für die die Partei die politische Heimat bedeutet. Das hatte zu internen Streitereien geführt, auch über die Prozessstrategie Horst Mahlers, wie Recherchen des Antifaschistischen Pressearchivs und des Bildungszentrums Berlin ergaben.

Mittlerweile ist Horst Mahler mit der Begründung, die NPD sei ihm zu langweilig und zu sehr »am Parlamentarismus ausgerichtet« aus der Partei ausgetreten. Dies dürfte allerdings eine Einzelentscheidung gewesen sein. Viel wahrscheinlicher ist, dass die NPD und ihre Jugendorganisation, die Jungen Nationaldemokraten (JN), nun wieder offensiver auftreten werden. Zum Beispiel bei den Friedensdemonstrationen.

Denn mittlerweile ist der »Aufstand der Anständigen« im Jahr 2000 längst vorbei und der Rechtsextremismus kein intensiv diskutiertes Thema mehr. Zwar haben sich die Aktivisten der NPD und anderer rechtsextremer Strukturen in der Bundesrepublik nicht zur Ruhe gesetzt, geschweige denn, dass sich ihre Einstellungen, für die unter anderem die NPD steht, geändert hätten.

Aber öffentliche Verurteilungen rechtsextremistischen Gedankengutes, wie sie noch vor zwei Jahren zum guten Ton gehörten, sind selten geworden, spätestens seit der Protest gegen die Kriegspolitik der US-Regierung den kleinsten gemeinsamen Nenner für zivilgesellschaftliches Engagement in Deutschland bildet.

In vielen Städten, zum Beispiel in Essen, Hannover, Halle/Saale und Berlin, haben in den vergangenen Wochen und Tagen auch Neonazis gegen George W. Bush demonstriert, zum Teil organisiert oder unterstützt von der NPD und den JN. Dabei unterschieden sich ihre antiamerikanischen Transparente gegen den »US-Imperialismus« und ihre Aktionen gegen McDonald’s nicht wesentlich von einigen der Friedensbewegung. Die rechte Gesinnung tritt in Parolen wie »Gegen den zionistischen Oneworld-Terror« zu Tage: Neonazis gehen in altbekanntem Weltverschörungswahn davon aus, dass die US-Regierung nur ein Instrument Israels sei. Andere solidarisieren sich aus ihrer antisemitischen Haltung mit Saddam Hussein und schwenken irakische Nationalflaggen.

Die Einigkeit darüber, dass der US-Angriff auf den Irak zu verurteilen sei, macht es Teilen der Friedensbewegung anscheinend schwer, sich darüber hinaus inhaltlich so klar abzugrenzen, dass die Neonazis doch lieber den Friedensdemos fern blieben. Aber wenn das nicht geschieht, dann ist die rechtsextreme Ideologie wieder in der »Mitte der Gesellschaft« angekommen – und das ist bedrohlicher als der Fortbestand einer Partei.