Das sind die Protestsongs

tobias rapp testet sechs Lieder gegen den Krieg

Beastie Boys: »In A World Gone Mad …«

Es muss wirklich schlecht um die Erde stehen, wenn sich die Beastie Boys nach vier Jahren wieder für ein Stück zusammenfinden. Sie waren so lange verschwunden, dass man sie schon in Rente glaubte. Doch wenn amerikanische Soldaten drohen, das Karma im Nahen Osten durcheinander zu bringen, können die Beastie Boys nicht schweigen. »In A World Gone Mad …« ist ihr Beitrag gegen den Krieg. Wie üblich, die Welt liebt sie dafür, torkeln die Lyrics um die Beats wie ein betrunkener Polizist, der versucht, sich an seinem Schlagstock festzuhalten.

Komplexitätsfaktor: hoch. Fast schon zu hoch, in Anbetracht der Tatsache, dass Songs nicht zu viel Information transportieren sollten, weil sie sonst Gefahr laufen, keine Songs mehr zu sein (siehe Ani DiFranco). Trotz so zweifelhafter Reime wie »America« auf »Hysteria« gelingt es den Beastie Boys, ihren Eindruck, die Politiker seien nicht bei Trost (»they smoke crack«), mit der Vermutung zu verbinden, sie seien korrupte Marionetten der Waffenlobby (»stop the corporate contributions«). Um nicht in eine falsche Ecke gestellt zu werden, sichern sie sich nach allen Seiten ab (»Peace to the Middle East, Peace to Islam / Now don’t get us wrong cause we love America«, »I’m not pro Bush and I’m not pro Saddam«).

Refrain/ Message: Die Welt ist verrückt geworden. »Due time to fight the non-violence fight.«

Demotauglichkeit: nur bedingt (außer auf dem Wagen der Germanistikfachschaftsini)

Ergriffenheitsfaktor: gering

(mp3 unter beastieboys.com)

Billy Bragg: »The Price Of Oil«

Es steht schlecht um die Erde, sehr schlecht sogar. Deshalb gibt es Billy Bragg (die Schlechtigkeit der Welt war zuerst da). Seit Jahr und Tag singt Bragg gegen die Verhälnisse an, und sie verbessern sich kein Stück, im Gegenteil, alles wird nur immer schlimmer. Nun also auch noch Krieg gegen den Irak. In »The Price Of Oil« singt Bragg langsam und traurig, seine Stimme hört sich an, als habe er schon lange über der Aufgabe resigniert, immer wieder die gleichen Wahrheiten verkünden zu müssen. Dazu begleitet er sich auf der Gitarre.

Komplexitätsfaktor: niedrig. Angemessen niedrig, ist man versucht zu sagen. Wie der Titel schon sagt, »it’s all about the price of oil«. Was auch immer die Frage sein könnte, »the stock markets hold the answer«. Auch Bragg ist kein Freund von Diktatoren (»now I ain’t no fan of Saddam Hussein, please don’t get me wrong«), dass Saddam genau wie Pinochet lange Jahre von den USA unterstützt wurde, hält Bragg jedoch für keinen Zufall (»Saddam killed his people just like General Pinochet« … »and whisper it even Bin Laden drank from Americas cup«).

Refrain/Message: »It’s all about the price of oil«

Demotauglichkeit: hoch

Ergriffenheitsfaktor: hoch

(mp3 unter billybragg.co.uk)

Chumbawamba: »Jacob’s Ladder (Not In Our Name)«

Dass es um die Welt schlecht steht, hat Chumbawamba noch nie davon abgehalten, Popsongs in eben jene zu setzen. Im Gegenteil. Bewaffnet mit dem noch nie dagewesenen Agitpop-Konzept, chartfähige Songs mit politischen Texten aufzufüllen, hinterlassen sie seit Jahr und Tag ihre Bekennerschreiben in den Hitparaden – in der Annahme, lediglich die schlechte Verpackung habe die Massen bisher von den linken Inhalten abgehalten. Kein preaching to the converted also, sondern Politik für alle. Für den Krieg gegen den Irak schrieben sie die Lyrics ihres Stücks »Jacob’s Ladder« von ihrem Album »Readymades« um, das Ganze ist ein hübscher Uptempo-Song mit einem Rocksteady-Bläsersatz, der den Refrain begleitet.

Komplexitätsfaktor: hoch. Schon alleine deswegen, weil das den Zynismus der Mächtigen geißelnde Stück ursprünglich von Winston Churchills Entscheidung handelte, während des Zweiten Weltkriegs mehrere hundert britische Soldaten nicht aus der Nordsee zu fischen, weil die Rettung von Menschenleben den militärischen Erfolg gefährdet hätte. Auf den Irakkrieg umgeschrieben, heißt das dann: »9-11 got branded, 9-11 got sold.«

Refrain/Message: »And they sent him to the wars to be slain.« Allerdings nicht in unserem Namen.

Demotauglichkeit: gering

Ergriffenheitsfaktor: gering

(mp3 unter chumba.com)

Ani DiFranco: »Self-Evident«

Weil es schlecht steht um die Welt, lässt sich Ani DiFranco von ebenjener Welt möglichst wenig reinquatschen. Sie ist die Indie-Ikone der USA, komponiert alles selbst, macht ihre Platten selbst, dreht ihre Dreadlocks selbst, betreibt ihre eigene Plattenfirma, singt selbst und lässt sich auch ansonsten kein X für ein U vormachen. Keine universelle Ansprache also, kein kulturindustriell vorgeformtes Massenprodukt, alles streng selbstbestimmt. »Self-Evident« ist ein fast zehn Minuten langer Konzertmitschnitt, kein Song eigentlich, sondern eine Gedichtrezitation mit einem minimalistischen Jazz-Groove und ein wenig Synthesizerfiepen als Begleitung.

Komplexitätsgrad: sehr hoch. Um was geht es hier nicht alles! Um den 11. September. Darum, dass die Medien lügen und George W. Bush die Wahl eigentlich gar nicht gewonnen hat. Um all die Leute, mit denen sich solidarisch erklärt wird, eine eklektizistische Liste, die von den People Palästinas, Iraks, Afghanistans und El Salvadors über die Native Americans und die Ärzte in Abtreibungskliniken bis zu den Einwohnern von Oklahoma City und den Gefangenen in den Todeszellen amerikanischer Gefängnisse reicht. Auch um den ersten Anschlag auf das World Trade Center geht es. Zusammenfassend könnte man sagen, dass sich das Stück in seiner Betroffenheit und Ernsthaftigkeit anhört, als habe sich Christa Wolf als bisexuelle linksradikale amerikanische Indie-Musikerin mit Vorliebe für Duke Ellington reinkarniert.

Refrain: gibt’s nicht. Message: »America is not a democracy.«

Demotauglichkeit: null

Ergriffenheitsfaktor: hoch (man muss es nur zulassen)

(mp3 unter righteousbabe.com)

John Mellencamp: »To Washington«

Die Welt ist schlecht, weil es John Cougar Mellencamp gibt, dachte man immer. Aber seit dem 11. September ist ja nichts mehr, wie es einmal war, und zum Irakkrieg meldet sich nun auch Mellencamp zu Wort. »To Washington« ist der Titel des Stücks, das sich – wenn schon Protestsong, denn schon Protestsong – wie der Nachbau eines Woody-Guthrie-Titels anhört. Countryfolk bis in die Fiedel. Klingt wirklich wie ein richtiger Protestsong, hier singt der Empörte noch selbst. Sehr schön. Bei Konzerten soll Mellencamp »You cannot prevent and prepare for war« in großen Buchstaben an der Rückseite der Bühne stehen haben.

Komplexitätsgrad: gering. Wie es sich für ein solches Lied auch gehört. Er erzählt die Geschichte der fetten Clinton-Jahre (»eight years of prosperity«), die durch den Monica-Lewinsky-Skandal und eine Wahl beendet wurden. Eine Wahl, die nicht entschieden wurde (»Goddam«), aber trotzdem einen Sieger hatte (»it’s worse since he came«). Und dieser neue Präsident führt nun Krieg, obwohl es nicht richtig ist (»What is a thought process to take a human life«).

Refrain: gibt’s nicht. Message: Du sollst nicht töten.

Demotauglichkeit in Europa: null. In den USA: hoch

Ergriffenheitsfaktor: mittel

(mp3 unter mellencamp.com)

Saul Williams: »Not In My Name«

Die Welt ist schlecht, doch das muss so nicht bleiben. Wann immer sich in den USA Menschen versammeln, weil sie gegen den Krieg sind, schwören sie den »pledge of resistance«, den Schwur, Widerstand zu leisten, eine Variante des Fahneneids, den die Kinder in manchen Schulen leisten müssen. Diesen Schwur hat der Rapper, Slampoet, Schauspieler und Indie-Preacher Saul Williams nun zusammen mit dem für seine zur Klangtapete tendierenden Breakbeat-Konzeptalben berüchtigten DJ Spooky vertont.

Komplexitätsgrad: mittel. Was eigentlich vernünftig ist, denn so ein Schwur sollte die Schwörenden ja auf der einen Seite nicht überfordern, auf der anderen Seite möchte man seinen Eid auch nicht auf plumpe Parole abgeben. Lang und breit wird aufgezählt, was nicht in unserem Namen geschehen soll: endlos Kriege führen, andere Länder erobern, Zivilisten bombardieren, Kinder töten, Bürgerrechte einschränken. All diesen Dingen soll man sich entgegenstellen und gemeinsame Sache machen mit den »people of the world«, um »freedom and peace« zu bringen. Einwände irgendwer?

Demotauglichkeit: hoch

Ergriffenheitsfaktor: hoch

(mp3 unter saulwilliams.com)