»Wir werden denunziert«

Ein Gespräch mit margret mönig-raane, der stellvertretenden Vorsitzenden von Verdi, über die Kampagne gegen die Gewerkschaften

Der Druck auf die Gewerkschaften verstärkt sich gegenwärtig. Der Vorsitzende der FDP, Guido Westerwelle, bezeichnet sie als eine »Plage«, Friedrich Merz (CDU), will ihnen einen »eisigen Wind« entgegenwehen lassen. Wie können sich die Gewerkschaften wehren?

Der eine lenkt von seiner Bedeutungslosigkeit oder der seiner Partei ab, der andere muss sich innerparteilich profilieren.

Trotzdem unterschätze ich nicht, dass es sich hier um eine prinzipielle Auseinandersetzung handelt. Ob es um den Kündigungsschutz geht oder um die Gesundheitsreform, die Entreicherung von Städten und Gemeinden oder die Weigerung der Bundesregierung oder der Länder, etwas dagegen zu unternehmen.

Es herrscht ein Verteilungskampf. Man nimmt den Beschäftigten oder den Arbeitslosen, den ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern, Geld weg, man bürdet ihnen zusätzliche Lasten auf, stiehlt ihnen Rechte und behauptet, dass das alles der Schaffung von Arbeitsplätzen diene.

Das hören wir seit 20 Jahren, und die Arbeitslosigkeit ist dennoch gestiegen. Um von diesem Desaster abzulenken, wird die Methode angewandt: Haltet den Dieb! Und als Dieb werden die Gewerkschaften denunziert.

Das sind absurde Diskussionen, in denen Argumente überhaupt nichts zählen und Unterstellungen verbreitet werden. Etwa wenn von den vermeintlichen Besitzständen der Gewerkschaften die Rede ist. Wenn man nachfragt, was damit gemeint sei, dann ist das der Kündigungsschutz, der Besitzstand von Millionen von Beschäftigten.

Ein anderer so genannter Besitzstand ist der Vorrang von Tarifverträgen. Dabei geht es darum, dass die Beschäftigten nicht als Einzelne dem Druck ausgesetzt sind, der sehr schnell aufkommt, wenn der Lohn und die Arbeitsbedingungen zu Wettbewerbselementen werden und derjenige, der die Beschäftigten am meisten im Lohn und den Arbeitsbedingungen drücken kann, die meisten Vorteile hat.

Darum geht es. Es gelingt aber leider ständig in der veröffentlichen Meinung, die Dinge so zu verdrehen, als ginge es um die Starrheit des Arbeitsmarktes, um Besitzstände der Gewerkschaften, also um eine Betonkopfhaltung.

Bei den vergangenen Bundestagswahlen haben die Gewerkschaften Schröder unterstützt. Ist die Nähe der Gewerkschaften zur Bundesregierung nicht ein Problem?

Wir werden auch in Zunkunft weiter mit Bundestagsabgeordneten und den Parteien reden, wir werden mit anderen gesellschaftlichen Gruppen den Dialog vertiefen, und vor allen Dingen werden wir unsere Mitglieder informieren, und zwar mehr noch, als wir das in der Vergangenheit gemacht haben. Wir werden auch demonstrieren, wie etwa jetzt zum Thema Ladenschluss, wo es nicht nur um den Ladenschluss geht, sondern gegen die Pläne dieser Bundesregierung. Wir werden unsere Aktivitäten vervielfältigen.

Wir groß ist die Bereitschaft der Gewerkschaftsbasis, diesen Streit zu führen?

Sehr groß. Die Unzufriedenheit hat sich ja u.a. in den Wahlen niedergeschlagen. Wobei die Führungen der beiden Regierungsparteien die falschen Schlussfolgerungen aus diesen Wahlergebnissen ziehen. Man folgt dem Motto: Wir haben den Leuten noch nicht genug von dieser Medizin verabreicht, die Leute wollen das Doppelte und das schneller.

Von den Gewerkschaften hat man schon öfter gehört, dass sie sich entschieden wehren wollten, und dann gaben sie doch meistens nach. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer sagte bereits, er könne sich vorstellen, den Kündigungsschutz zu lockern, wenn es dafür ein »Recht auf Abfindung« gebe.

Die Frage lautet: Bekommen wir eine Erweiterung des Kündigungsschutzes oder einen Abbau? Ein Abbau ist mit uns nicht zu machen. Eine Weiterentwicklung, etwa wenn es darum geht, dass viele, denen gekündigt wird, eine Chance auf eine Abfindung bekommen, ist denkbar.

Haben sich die Gewerkschaften zu lange an den Gesprächen im so genannten Bündnis für Arbeit beteiligt?

Solange eine Chance bestand, mehr Ausbildungsplätze zu bekommen, wäre es sicherlich falsch gewesen zu sagen, wir machen da nicht mit. Ich war immer schon gegen eine Mystifizierung dieser Veranstaltung, im positiven wie im negativen Sinn. Gewerkschaften sind ihren Mitgliedern verpflichtet – und den Beschäftigten. Dabei bleibt es.

Welche Lösungsvorschläge haben die Gewerkschaften für die wirtschaftliche Krise anzubieten? Früher war viel die Rede von der 35-Stunden-Woche. Davon ist heute nichts mehr zu hören.

Wir brauchen dringend eine Stärkung der Binnennachfrage. Denn die Unternehmen stellen nicht deshalb keine Leute ein, weil der Kündigungsschutz so ist, wie er ist, sondern weil keine Nachfrage vorhanden ist. Wenn z.B. die öffentlichen Investitionen in zehn Jahren von 2,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 1,5 Prozent runtergegangen sind, dann gehen ungefähr 1,5 Prozent Wachstum verloren. Und das sind 500 000 Arbeitsplätze.

Und wenn die Beschäftigten in die Kranken- und Rentenversicherung immer mehr bezahlen müssen, ob das nun die private Zusatzversicherung zur Rente oder die Zuzahlung zur Krankenkasse berifft, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Binnennachfrage immer weiter zurückgeht.

Bundesfinanzminister Hans Eichel aber sagt, der Staat habe kein Geld.

Er hat ja vorher dafür gesorgt, dass es verschwindet. Die Art und Weise, wie die Steuerreform gemacht wurde, und das was jetzt noch geplant ist, nämlich die Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent, bedeutet weitere sechs Milliarden Euro Einnahmeverluste, die wir uns nicht erlauben können.

Wir wollen die Vermögenssteuer wieder einführen und die Börsenumsatzsteuer, die in vielen anderen Ländern der Welt üblich ist, und wir wollen eine ordentliche Gemeindefinanzreform, die den Gemeinden wieder einen Spielraum gibt. Da man all dies nicht sofort hinbekommt, weil Gesetze ihre Zeit brauchen, muss man sich kurzfristig verschulden.

Das hieße, den europäischen Stabilitätspakt zu verletzen.

Ich denke, dass der Stabilitätspakt das ermöglicht, denn es wäre ja keine dauerhafte Höherverschuldung, ganz abgesehen davon, dass ja viele unserer Nachbarländer darüber diskutieren, ob der Stabilitätspakt, so wie er ist, das Ende aller Weisheiten ist, oder ob man nicht für solche Zeiten, in denen wir jetzt leben, diesen Pakt auch flexibler gestalten kann.

Die Gegenwehr der Gewerkschaften muss stark sein. Wie sieht’s denn aus in den Streikkassen und mit der Kampfbereitschaft?

Man muss zwei Sachen auseinander halten. Wir streiken, wenn wir uns mit Arbeitgebern nicht einigen können über einen Tarifabschluss. Gegen die Politik argumentieren und demonstrieren wir. Und das werden wir tun.

interview: stefan wirner