Im Märzen der Schröder

In seiner Rede am 14. März wird Bundeskanzler Schröder die geforderten »schmerzhaften« Reformen ankündigen. von georg fülberth

Wieder einmal erleben wir einen März nach einer Bundestagswahl, die die SPD gewonnen hat, und die Bilder gleichen sich. Wir erinnern uns. 1998 ging Helmut Kohl unter, weil er das magische Fünfeck des Neoliberalismus nicht verwirklichen konnte: mehr Jobs, Senkung der Löhne, der Steuern, der Staatsausgaben und der Lohnnebenkosten. Die Unternehmer hatten inzwischen die Geduld mit ihm verloren und setzten auf Schröder.

Der zeigte vorauseilenden Gehorsam und apportierte als Kandidaten den Computer-Prinzipal Jost Stollmann, der zum Einstand verkündete, er persönlich brauche für seinen Nachwuchs kein staatliches Kindergeld. Mit einer solchen Reklame allein war allerdings keine Wahl zu gewinnen. Deshalb hatten schon zu Beginn des Jahres 1998 die Gewerkschaften eine Unterstützungskampagne für Schröder begonnen. Dieser ließ Oskar Lafontaine auf dem linken Flügel trompeten und verwies in Kundgebungen darauf, dass seine Mutter eine Putzfrau gewesen war. Im September gewann er dann.

Einige haben das falsch verstanden, darunter der neue Finanzminister Lafontaine. Er redete von staatlichen Investitionsprogrammen und politischer Kontrolle über die Zentralbank. Die veröffentlichte Meinung schalt den Kanzler ein Weichei, die SPD verlor die Landtagswahl 1999 in Hessen nicht nur wegen Roland Kochs Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Dann wurde es März. Lafontaine trat zurück und die Börsenkurse schnellten in die Höhe. Schröder zeigte Tatendrang: Die Einkommensteuer wurde gesenkt, Veräußerungsgewinne blieben unversteuert (ein neues Feuerwerk an der Börse!), aus der Umlagefinanzierung der Rente wurde eine Ecke herausgebrochen.

Allerdings hielt sich der Dank der Unternehmer und ihrer Presse sehr in Grenzen. Sie fanden nämlich, das sei alles viel zu wenig, und meldeten weitere Forderungen an: die Schwächung des Kündigungsschutzes, die Teilprivatisierung auch der Krankenversicherung. Der Kanzler hatte prinzipiell nichts dagegen, fand aber, das dürfe nicht alles in einer einzigen Wahlperiode erledigt werden. Denn wenn der Mohr seine Schuldigkeit zu früh getan hätte, hätte es kein Argument für eine zweites Mandat gegeben. Da sich die CDU zwischenzeitlich durch ihre Schwarzgeldaffäre selbst aus dem Rennen geworfen zu haben schien, meinte der Kanzler wohl, nachlassen zu dürfen.

Außerdem machte ihm die Zahl der Arbeitslosen zu schaffen. Sie war zunächst demographisch bedingt etwas gesunken, aber Schröders Ankündigung, sie unter 3,5 Millionen zu drücken, wurde verfehlt. Da wurde es allmählich Zeit, angesichts näher rückender Wahlen wieder an die Gewerkschaften zu denken. Bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes kam ihnen der Arbeitsminister Walter Riester entgegen.

Die Rettung brachten im Wahlkampf des Jahres 2002 allerdings nicht die Gewerkschaften, sondern George W. Bush und die Flut. Letztere kam Schröder teuer zu stehen. Hans Eichel setzte die ursprünglich für den 1. Januar des Jahres 2003 angekündigte nächste Senkung der Einkommensteuer aus, um die Flutschäden zu bezahlen. Da gleichzeitig eine Erhöhung der Sozialbeiträge nicht zu vermeiden war, hatten die Bezieher versicherungspflichtiger Löhne und Gehälter zu Beginn des Jahres 2003 weniger Geld auf dem monatlichen Überweisungsschein als früher.

Darüber waren sie natürlich nicht sehr erfreut, und ihre Chefs auch nicht, denn die Lohnnebenkosten stiegen. Deshalb brach um die Jahreswende eine bürgerliche Revolution aus. Professor Arnulf Baring rief auf die Barrikaden. Die SPD verlor in Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Jetzt soll der März wieder, wie schon 1999, die Wende bringen. Schröder findet, er müsse sich von seiner Wahlbasis ab- und seinen tatsächlichen Auftraggebern zuwenden. Er weiß, dass er zwar in jedem vierten Jahr die Gewerkschaften braucht, in den drei Jahren dazwischen aber für die Unternehmer da ist. Dies wird er in seiner Regierungserklärung am 14. März verkünden. Damit er ja nichts vergisst, hat er inzwischen viele Merkzettel erhalten, den längsten von der Bundesbank und ihrem sozialdemokratischen Präsidenten, Ernst Welteke.

Gewünscht ist: die Aushebelung des Kündigungsschutzes, mehr Selbstbeteiligung der Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen, die Senkung von Beiträgen und Leistungen in der Rentenversicherung sowie der Unterstützung für Langzeitarbeitslose.

Ähnliches hatte allerdings schon im Jahr 1982 Otto Graf Lambsdorff gefordert, als seine FDP von der SPD zu einer Koalition mit der Union wechselte. Kohl aber wusste, was er tat, als er sich 16 Jahre lang weitgehend davor drückte, diese Schulaufgaben zu machen. Mit einer Volkspartei ist so etwas nämlich schlecht hinzukriegen. In den Meinungsumfragen finden neoliberale Einschnitte zwar meist große Mehrheiten. Bei der Umsetzung in konkrete Maßnahmen finden diejenigen, die eben noch als Jubeldeutsche auftraten, in der Regel sehr schnell heraus, welche Nachteile dies für sie selbst bringt, und das kostet Stimmen. Hierfür zwei Beispiele.

Erstens: Wer volkswirtschaftlich und fiskalpolitisch rechnet, kommt leicht dahinter, dass das Ehegattensplitting nichts anderes ist als eine legale Form der Steuerhinterziehung, welche die öffentliche Hand jährlich Milliarden kostet. Dennoch wird das Ehegattensplitting nicht abgeschafft. Da die große Mehrheit der Deutschen verheiratet ist, empfiehlt es sich für jede Partei, die die nächste Wahl gewinnen will, die Finger von der Sache zu lassen.

Zweitens: Haben Sie schon einmal erlebt, dass die neoliberal tönende FDP irgendwann einem Gesetz zugestimmt hätte, das die Privilegien der Beamten tatsächlich beschnitten hätte? Sie wäre schlecht beraten, denn die Beamten sind ein Teil ihrer Klientel wie der SPD, der Union und der Grünen auch.

Es ist also leicht zu verstehen, dass Schröder immer wieder versuchte, die unangenehmen Aufgaben anderen zuzuschieben oder sie wenigstens nicht sich selbst aufzubürden. Deshalb wünschte er sich von Anfang an eine große Koalition. Doch zweimal, in den Jahren 1998 und 2002, haben in diesem Punkt die Wählerinnen und Wähler versagt.

Abhilfe erhoffte sich der Kanzler von seinen berühmten Kommissionen. Aber auch Hartz braucht zur Verwirklichung dessen, was für VW gut ist, die Hilfe des Bundestags, des Bundesrats und des Kanzlers, womit der schwarze Peter schon wieder dort liegt, wo ihn Schröder nicht haben will.

Ebenso war es mit dem Bündnis für Arbeit. Der Kanzler stellte sich vor, dort werde in zwangloser Runde wie von selbst das herauskommen, was die Unternehmer wollen. Da aber die Gewerkschaften mit am Tisch saßen, ging auch dies nicht so recht.

So muss Schröder nun den Herkules spielen, der den Stall allein ausmistet. Dieses Stück wird am 14. März gegeben. Es wird auch ein bisschen was dabei herauskommen. Bis 2006 muss der Einstieg in den Ausstieg aus dem Kündigungsschutz und aus der bisherigen Form der gesetzlichen Krankenversicherung geschafft sein, und die Langzeitarbeitslosen müssen sich mit der Sozialhilfe anfreunden.

Den Unternehmern wird das natürlich immer noch nicht genügen. Ihre Undankbarkeit sollte sich billigerweise aber doch in Grenzen halten, im übrigen auch gegenüber Helmut Kohl. Der war zwar ein bisschen lahm, aber immerhin hat er ihnen 1984 das Privatfernsehen mit Leo Kirch und 1986 mit der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes größere Möglichkeiten zur Aussperrung geschenkt. Und mit Eichels Steuerpolitik sind sie auch nicht gerade magerer geworden, wohl aber die Kommunen.

Anders als in Margret Thatchers und Tony Blairs Großbritannien wird hierzulande der Sozialstaat eben nicht auf einen Schlag ramponiert, sondern Stück für Stück. Das ist der deutsche Weg.