Titos Resterampe

Die neu geschaffene Union Serbiens und Montenegros ist ziemlich unbeliebt. Zudem versuchen lokale Politiker, die Spannungen zwischen den USA und der EU für ihre Interessen auszunutzen. von martin schwarz, wien

Auch vom gemeinen Fußballfan wird in politisch unsicheren Zeiten wie diesen Flexibilität verlangt. Der jugoslawische Fußballbund reagierte in der vergangenen Woche als eine der ersten Organisationen auf den Verlust des traurigen Restes des einstigen Tito-Imperiums. Er tauschte die Trikots der Nationalmannschaft aus. Nicht mehr das Wort »Jugoslawien« steht nun auf den Trikots, sondern »Serbien und Montenegro«.

Nach monatelangen Verhandlungen hat die Europäische Union endlich erreicht, was für den Koordinator ihrer Außenpolitik, Javier Solana, das bislang wichtigste Prestigeobjekt im Bereich des »Nation Building« ist. Jugoslawien hat sich selbst aufgelöst. Die Parlamente Serbiens und Montenegros hoben die neue Union aus der Taufe, die nur noch Serbien und Montenegro heißt.

Doch obgleich der neue, völkerrechtlich einmalige Verbund erst zwei Wochen alt ist, hält sich die Euphorie bei den Politikern und in der Bevölkerung in Grenzen. »Belgrad hat uns in den neuen Staat gezwungen. Was wir wollten, war eine Union zweier unabhängiger Staaten. Das aber hat Belgrad nicht akzeptiert und die EU war auf Seiten Belgrads«, meinte der montenegrinische Premierminister Milo Djukanovic in einem Interview mit der Londoner Times.

Dem Festakt anlässlich der Gründung des neuen Staates ist Djukanovic ferngeblieben, für ihn ist das neue Gebilde ohnehin nur ein nicht funktionsfähiges Experiment europäischer Politiker. Es sei schwierig einzuschätzen, wie lange dieses »fragile Gebilde« halte. Wenn es nach Javier Solana geht, hat die Union eine Lebensdauer von mindestens drei Jahren, danach sollen Referenden abgehalten werden.

Würde in Serbien schon jetzt eine Volksabstimmung durchgeführt, wäre es mit dem neuen Staat sehr schnell wieder vorbei. Nach einer aktuellen Umfrage sind 63 Prozent der Serben für die Unabhängigkeit, nur 19 Prozent wollen Serbien und Montenegro noch eine Chance geben. Bisher waren etwa 50 Prozent der Montenegriner für bzw. gegen die Unabhängigkeit der kleinen Republik.

Zwar hat Solana die Spaltung Rest-Jugoslawiens verhindern können, gleichzeitig bietet die neue Union kaum Identifikationsmöglichkeiten für die verunsicherten Bürger. Es ist ein Staat ohne funktionsfähige Institutionen und ohne Personen, die ihn repräsentierten. So steht der bisherige jugoslawische Staatspräsident Vojislav Kostunica nun faktisch ohne offizielle Funktion da. Einen serbischen Präsidenten gibt es nach den gescheiterten Wahlgängen der letzten Monate nicht, und auch in Montenegro wurde wieder einmal nicht gewählt, obwohl ein Urnengang angesetzt war.

Am 2. Februar gingen nur 47 Prozent der wahlberechtigten Montenegriner in ihre Wahllokale, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Drei Prozent zu wenig für eine gültige Entscheidung. Die oppositionelle Sozialistische Volkspartei hatte erfolgreich zum Boykott der Präsidentenwahlen aufgerufen. Das schlechte Wetter trug dazu bei, dass zehntausende Menschen lieber zuhause blieben. Filip Vujanovic, der Kandidat der Demokratischen Partei der Sozialisten, muss also mindestens bis zu den Neuwahlen in zwei bis drei Monaten darauf warten, Präsident Montenegros zu werden. Die Opposition rief auch deshalb zum Boykott auf, weil sie nicht zu Unrecht fürchtet, Vujanovic werde die Unabhängigkeitsbestrebungen forcieren.

Die Verfechter eines unabhängigen Montenegro haben inzwischen wichtige Schützenhilfe von außen bekommen. Premier Djukanovic rühmte sich in der vergangenen Woche »erstklassiger Beziehungen« zu den USA, die im Falle einer Unabhängigkeit noch besser gedeihen könnten. In Washington ist man sehr daran interessiert, an der montenegrinischen Küste eine Marinebasis zu installieren, was aber nur in einem unabhängigen Montenegro möglich wäre. Derzeit okkupiert nämlich noch die jugoslawische Marine den Platz an der Sonne.

Die erbärmliche Schwäche des neuen Staates und die Spannungen zwischen Europa und den USA wegen des Vorgehens im Irak-Konflikt versuchen auch andere Separatisten auszunutzen. Das Kosovo drängt mehr denn je darauf, den Staatenverbund mit Serbien aufzulösen, zu dem die serbische Provinz durch die UN-Resolution 1244 gezwungen ist. Die albanischen Abgeordneten des Kosovo-Parlaments haben Anfang Februar eine Resolution eingebracht, die eine baldige Entscheidung über die Unabhängigkeit fordert. Zur gleichen Zeit betrieb Ibrahim Rugova, amtierender Präsident der Teilrepublik, ein eigenartiges Lobbying im Weißen Haus. Während eines Besuches bei George W. Bush unterstrich er die Verbundenheit des Kosovo mit den USA und bot gleichzeitig jede Art von Unterstützung an, um gegen den Irak vorzugehen. »Kosovo unterstützt den amerikanischen Kampf gegen den Terrorismus. Wir unterstützen die Politik der USA in Bezug auf den Irak.«

Faktisch ist diese Unterstützung zwar vollkommen unwichtig, ihr symbolischer Wert ist aber nicht zu unterschätzen. Immerhin will Serbiens Premier Zoran Djindjic den Status des Kosovo bis Juni geklärt wissen. Er hat schon vorgeschlagen, das Kosovo nach dem Südtiroler Modell mit größerer Autonomie als bisher auszustatten. Die EU soll nach seinem Willen dabei die Federführung übernehmen, während die USA sich bis Juni wahrscheinlich auf den Irak konzentrieren müssen. Um den Anspruch auf das Kosovo zu bekräftigen, sollen außerdem bald wieder serbische Truppen in die Provinz zurückkehren.

Zugleich überreichte der serbisch-montenegrinische Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, Milan Sahovic, dem UN-Sicherheitsrat einen Brief, in dem sich Belgrad bitter darüber beklagt, dass der UN-Koordinator für das Kosovo, Michael Steiner, »alles unternimmt, eine Administration zu installieren, die möglichst wenig mit Serbien zu tun hat«.

Doch der Versuch Belgrads, während der sich abzeichnenden Irak-Krise die USA zu überrumpeln und mit Unterstützung der EU einen Plan zur Reintegration des Kosovo in die serbisch-montenegrinische Union auszuarbeiten, scheitert bislang noch an der Aufmerksamkeit der USA. Der »Zeitpunkt für Entscheidungen« sei derzeit schlecht, sagte Richard Boucher, der Sprecher des US-Außenministers Colin Powell in Washington. Zuerst müsse die Basis für »einen demokratischen Kosovo geschaffen werden«.

Damit hat Boucher natürlich nicht Unrecht, denn eine weitere diplomatische Front am Balkan können sich die USA derzeit nicht leisten – schon gar nicht, wenn man in Brüssel andere Ideen für den Balkan hat als in Washington. Spätestens aber, wenn Saddam Hussein einmal beerdigt ist, könnte der nächste diplomatische Schaukampf zwischen der EU und den USA beginnen.