Linksruck im Sportwagen

Neuer Fraktionsvorsitzender der Grünen

Seit 1991 sitzt Sybill Klotz für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Ungefähr so lange ist sie auch schon Fraktionsvorsitzende. Sie ist in jeder Hinsicht eine Ausnahme bei den Berliner Grünen. Denn erstens stammt sie aus dem Osten und zweitens ist sie im Unterschied zu den anderen Spitzenpolitikern Hans-Christian Ströbele, Renate Künast und dem bisherigen Fraktionsvorsitzenden und Amtskollegen von Klotz, Wolfgang Wieland, keine Rechtsanwältin.

Wieland kandidierte in der letzten Woche nicht mehr für das Amt. Zu seinem Nachfolger wurde Volker Ratzmann gewählt, natürlich ein Rechtsanwalt, sogar ein Vorstandsmitglied der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger. Von seiner politischen Herkunft aus der Hausbesetzerszene bis zu seinem juristischen Engagement für Flüchtlinge, Antifaschisten, Olympia- und Globalisierungsgegner, Kurden und 1. Mai-Gefangene ist Ratzmann eigentlich ein klassischer Szeneanwalt. Eine Vertrauensperson der linksradikalen Szene in Berlin, einer, den man anspricht, wenn die Demo verboten wurde.

Außerdem pflegt er beste Kontakte zur PDS. Eng befreundet ist er mit dem stellvertretenden Landesvorsitzenden Udo Wolf und dessen Bruder, dem Wirtschaftssenator Harald Wolf. Mit den beiden bewohnte er früher eine WG in der Gneisenaustraße. Der bad guy der PDS-Fraktion, der frühere Hausbesetzer Freke Over, gehört ebenso zu den Stammkunden des Anwalts wie die ehemalige Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt.

Dass Ratzmann trotz alledem nicht als linke Zecke verrufen ist und dass er sich in den 14 Monaten, die er bisher im Abgeordnetenhaus verbracht hat, einigen Respekt auch bei den bürgerlichen Parteien verschaffen konnte, verdankt er vermutlich seinem Erscheinungsbild. Den neuen Fraktionschef der Grünen sieht man niemals ohne Anzug und Krawatte, er fährt einen schnittigen Sportwagen, ist immer korrekt frisiert, segelt gerne und wohnt mittlerweile zusammen mit der ehemaligen Kultursenatorin Adrienne Goehler in einer schicken Dachgeschosswohnung am Alexanderplatz.

Für die provinzielle Politikerkaste in Berlin ist ein snobistischer Lebenswandel ein Ausdruck von Seriosität. Würde Ratzmann Fahrrad fahren und einen Strickpullover tragen, ließe man ihm seine linken Eskapaden sicher nicht durchgehen. So aber läuft er weiterhin bei Demos auf und sagt unbeliebte Dinge, zum Beispiel dass die Flüchtlingspolitik der FDP »auch in einem NPD-Programm stehen« könne. Und zum Thema Stadtplanung bringt er zuweilen Sätze hervor, die direkt aus einer Autonomenzeitung stammen könnten: »Der Schutz von Glitzerbauten und das Absichern einer ruhigen Hauptstadt als Ort politischen und wirtschaftlichen Handelns kann nicht länger innenpolitische Leitlinie sein.«

Warum aber verhalf der Berliner Landesverband der Grünen Ratzmann zu solch einer Blitzkarriere? Sie brauchen den 42jährigen eloquenten Anwalt für ihren Generationswechsel und dafür, als linke Oppositionspartei neben einer linken Regierung Profil zu gewinnen. Und schließlich weiß man bei den Grünen: Wer in Amt und Würden ist und eine Krawatte trägt, der schlägt selten über die Stränge.

ivo bozic