Ein schmieriger Fall

Die Ölpest an der spanischen Küste ist nicht nur für die Natur eine Katastrophe, sondern auch für die regierende Volkspartei. von tom kucharz, madrid

Die Klassenzimmer blieben leer, in den meisten Schulen fiel der Unterricht aus. Stattdessen beteiligten sich 60 000 Schüler und Lehrer am Mittwoch der vergangenen Woche an einer 40 Kilometer langen Menschenkette vor der galizischen Küste. Es sei die »notwendige Aufgabe aller Schulen, ökologisches Bewusstsein« zu schaffen, hieß es in einem Aufruf.

In einer konservativen Region wie Galizien sind derartige Massenproteste erstaunlich. Bereits Anfang Dezember demonstrierte in Santiago fast eine halbe Million Menschen, wenig später waren es noch einmal 300 000 in ganz Spanien. Die Fischer der betroffenen Region organisierten einen Hungerstreik, Dutzende Solidaritätskonzerte sowie unzählige kleine Protestveranstaltungen und Kundgebungen fanden in den letzten Wochen statt.

Der Unmut der galizischen Bevölkerung richtet sich dabei besonders gegen die regierende konservative Volkspartei (PP). Zwei Monate nach dem Untergang des Öltankers »Prestige« vor der spanischen Atlantikküste befindet sie sich in einer schweren Krise. Für die Lügen, das widersprüchliche und unzureichende Vorgehen gegen die Ölpest sowie das Ausbleiben der notwendigen Mittel zu deren Bekämpfung wird die Volkspartei in den Kommunalwahlen im Mai wahrscheinlich bestraft werden. Bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr könnte die »Prestige«-Krise sie sogar die Mehrheit kosten.

Aus der anfänglichen Angst, das Ansehen der Partei könne in ihrer Hochburg Galizien wegen der Ölpest Schaden nehmen, erwächst nun die Furcht, die Macht im ganzen Land zu verlieren. Ein hektischer Aktivismus ist die Folge, der aber nicht nur weitere Fehler verursacht, sondern auch das autoritäre und repressive Vorgehen der Regierung in Madrid verstärkt.

So versicherte der spanische Staatschef José Maria Aznar, dass die »›Prestige‹ nicht das Grab der Volkspartei sein wird«, und weigerte sich, einen Untersuchungsausschusses im spanischen Parlament einzusetzen, obwohl nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Opina 84 Prozent der Bevölkerung dafür sind.

Auch die im galizischen Parlament begonnenen Untersuchungen über das Unglück wurden Mitte Januar vorläufig eingestellt. »Wir werden nicht zulassen, dass Vertreter staatlicher Institutionen in regionalen Parlamenten aussagen«, erklärte Aznar. Er verhinderte, dass Regierungspolitiker vor den Ausschuss geladen werden konnten. Zuvor wies bereits das Ministerium für öffentliche Verwaltung in Madrid zehn Anfragen aus Santiago zurück.

Die Oppositionsparteien verließen daraufhin am zweiten Sitzungstag empört den Ausschuss. Die Sozialdemokraten (PSOE) und der Nationalistische Galizische Block (BNG) lehnten die weitere Arbeit ab, solange die vorgeladenen Verantwortlichen nicht vor dem Ausschuss erscheinen und die vollständigen Unterlagen der Zentralregierung zum Tankerunglück vorliegen.

»Der Untersuchungsausschuss ist eine Farce«, erklärte der Sprecher des Blocks, Alfredo Suarez. Der Sprecher der Volkspartei, Jaime Pitas, warf der Opposition hingegen vor, nicht an einer Aufklärung interessiert zu sein. »Sie benutzen den Ausschuss doch nur für Parteiinteressen.«

Das Vorgehen Aznars stellte jedoch auch die galizische Volkspartei und ihren Vorsitzenden Manuel Fraga bloß. Angesichts der anhaltenden Bürgerproteste stimmte er zwar dem Untersuchungsausschuss zu. Allerdings nur unter der Bedingung, dass keine Minister aussagen müssen, »um die Verantwortlichkeiten zu klären, falls es wirklich welche gibt«.

Fraga fürchtet mittlerweile wegen der Entscheidungen der Zentralregierung auch um den Ruf der galizischen Volkspartei. So musste er auf Druck der Madrider Parteispitze in der vergangenen Woche seinen Verkehrsminister Xosé Cuina entlassen. Das Ministerium habe zu wenig im Kampf gegen die Ölpest unternommen, lautete der Vorwurf. Galizische Abgeordnete, die das Vorgehen kritisierten, wurden brüsk zurechtgewiesen. »Wer mit der PP-Führung uneins ist, gehört nicht mehr zur Partei«, erklärte der spanische Verteidigungsminister Federico Trillo.

Doch die anhaltenden Massenproteste gegen die galizische und spanische Regierung sowie erboste Leserbriefe in Zeitungen und Anrufe bei Radiostationen bestätigen nur den Vertrauensverlust der Partei. Im galizischen Ort Ribeira sollen PP-Mitglieder sogar öffentlich ihre Parteiausweise verbrannt haben.

Während sich die verantwortlichen Minister und Staatsbeamten immer mehr in Widersprüche verstricken, spricht Aznar über alles Mögliche, nur nicht über die Ölpest. Er redet über die Innere Sicherheit, die Maßnahmen gegen die Eta und die Unfähigkeit der Opposition, durch die sie »die Radikalen gestärkt habe«.

Damit meinte er die galizischen Nationalisten, die nach der Umweltkatastrophe stark an Sympathien gewonnen haben. Die Volkspartei unterstellte der Bürgerinitiative Nunca Mais (Nie wieder) bereits mehrfach, vom radikalen galizischen Nationalismus infiltriert zu sein. Nunca Mais wurde Ende November in Galizien von Personen aus unterschiedlichen Parteien, Gewerkschaften und Umweltgruppen gegründet.

Sie verlangt unter anderem, die Regierung müsse die Region zum Katastrophengebiet erklären, zahlreiche Politiker sollten zurücktreten und zur Linderung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen der Ölpest müsse sofort Geld bereit gestellt werden. Außerdem sollen alle Vorkehrungen getroffen werden, um derartige Katastrophen an der galizischen Küste künftig zu verhindern. Da vor kurzem auch die beiden großen Gewerkschaftsverbände CCOO und UGT der Initiative beitraten, fällt es der Volkspartei allerdings schwerer, sie zu diskreditieren.

Kaum jemand kritisiert jedoch das ökonomische System, das ein Tankerunglück wie das der »Prestige« erst ermöglicht. Und nicht zufällig zählen viele Gründungsmitglieder der Bürgerinitiative zur Umgebung des Galizischen Blocks. »Logischerweise spekuliert der Block auf Wahlerfolge im Mai und auf das Ende der absoluten PP-Mehrheit«, erklärt Ladislao Martinez von der Umweltinitiative Ecologistas en Acción. Nunca Mais deshalb jedoch politische Manipulation vorzuwerfen oder gar mit der Eta in Verbindung zu bringen, wie es die Volkspartei macht, sei absurd und soll seiner Meinung nach nur von den wahren Ausmaßen der Ölpest ablenken.

Dass der Block dennoch einen starken Einfluss innerhalb der Bürgerinitiative hat, kann man beispielsweise daran erkennen, dass die PSOE mit ihrem Antrag auf Aufnahme scheiterte. Martinez stört vor allem, dass der Block gegen landesweite Proteste eintritt, weil er dort »Gefahr läuft, seinen Einfluss zu verlieren«. Denn dann ginge es nicht mehr nur um Galizien.

»Noch nie hat es in Galizien eine soziale Bewegung wie Nunca Mais gegeben«, meint Martinez, »und man findet sie auch nicht in den anderen betroffenen Regionen.« Den enormen Zorn erklärt er damit, dass die galizische Bevölkerung eng mit dem Meer verbunden sei.

Überraschend seien auch die Tausenden von Freiwilligen, »die seit Beginn der Katastrophe zur Beseitigung des Öls an die Küste fahren«. Deren politische Einstellungen reichten, wie auch bei Nunca Mais, von »einem seltsamen Gefühl nationaler Solidarität« bis zu »antikapitalistischer Kritik«.