Artifizielle Skandale

Eine unglaubliche Geschichte des deutschen Schlagers. Heute: Michelle. von martin krauss

Für ihren Erfolg hat Tanja Hewer hart gearbeitet, was vor allem bedeutet, sie hat die Umgebung hart bearbeitet, in der sie als Michelle zum Star werden konnte.

Als Michelle im vergangenen Herbst gerade durch Meldungen, dass sie ihre Brust vergrößern ließ, dass sie eine Affäre mit dem »Tagesschau«-Sprecher Jens Riewa gehabt habe, dass ihre Halbschwester von Sozialhilfe lebe, dass ihr Vater sie geschlagen und ihre Mutter nur gesoffen habe, wieder in den Schlagzeilen war, teilte die Schlagersängerin am 3. September 2002 mit, sie wolle künftig solche Skandale vermeiden. »Ich werde mein Privatleben künftig komplett abschirmen«, hieß es. »Ich habe beschlossen, mich einfach nicht mehr zu solchen Geschichten zu äußern.«

Die Äußerung zur künftigen Nicht-Äußerung kam pünktlich zum Start der aktuellen CD »Rouge«. Aber wenige Tage später erschien die Bild-Zeitung mit dem Foto eines Tattoos von Michelle. »Sie trägt es da, wo bei anderen Frauen die Schambehaarung beginnt«, erläuterte Bild. Etwa sechs Wochen später fiel Michelle in TV Movie mit diesem Geständnis auf: »Wir brauchten eine PR-Story fürs neue Album. Und es gab nichts Spektakuläres: keine neue Liebe, keinen neuen Mann. So kamen wir auf die Story mit der Tätowierung. Ist aber in Wahrheit gar kein Sex-Tattoo.«

Die Tattoo-Geschichte war so viel wert wie die vorher auch in Bild lancierte Geschichte über eine Liebschaft mit Jens Riewa. Im Mai 2002, als langfristig die Promotion für »Rouge« anlief, gestand Riewa in Bild, er habe mit Michelle eine Weile zusammengelebt: »Michelle ist eine Granate im Bett.«

Riewa, der seit Jahren gegen Gerüchte ankämpft, er sei schwul oder bisexuell – 1998 führte er deswegen einen Prozess –, wurde kurz darauf von Michelle bestätigt, er sei bestimmt nicht schwul, »sondern ein sehr liebenswürdiger, aufmerksamer Mann«. Mehr wollte die Sängerin aber nicht zugeben. »Wir waren sechs Wochen irgendwie zusammen«, sagte sie, »aber da steigt man doch nicht mit jemandem ins Bett.« Und auch Riewa gab zu: »Ich habe keinen Sex mit ihr gehabt. Wir haben nur gekuschelt.«

Der Hintergrund der Geschichte, in die sich zwischenzeitlich auch Michelles Ex-Mann Albert Oberloher einmischte (»So zündet man die Granate«): Sowohl Michelle als auch Jens Riewa sind beim gleichen Manager unter Vertrag. Er heißt Uwe Kanthak und betreute zuletzt auch Rex Gildo, der im Oktober 1999 durch einen Sprung aus dem Fenster der Wohnung seines Lebensgefährten Selbstmord beging.

Der Zeit sagte Kanthak über seine Rolle bei der Vermarktung Michelles: »Wir unterstützen sie dabei, ihr Privatleben zu schützen.«

Kanthak ist von Anfang an dabei. Bei einem Schlagerwettbewerb wollte Tanja Hewer aus Blumenberg im Schwarzwald auftreten. Kristina Bach, zu jener Zeit schon eine anerkannte Größe im Schlagerbusiness und die damalige Ehefrau Kanthaks, entdeckte das Talent. 1992 kam die erste Platte heraus: »Und heut’ nacht will ich tanzen.« Sie wurde ein Hit, in der »Deutschen Schlagerparade« des Südwestfunks gewann Michelle und wurde als »18jähriges« Talent angepriesen. Im Februar 1993 gewann sie erstmals die »ZDF-Hitparade«.

Als Michelle 1996 Albert Oberloher heiratete, den Sänger der Gruppe »Wind«, änderten sich ihr Image und ihr Geburtsjahr. Sie trat hochschwanger auf, gab auf mütterlich getrimmte Interviews, und plötzlich war sie im Jahr 1972 geboren worden. Aus dem 18jährigen Mädchen wurde die 24jährige junge Frau.

Michelle schaffte 1997 mit Kind und neuem Image ihr bis dahin erfolgreichstes Jahr. Sie gewann die deutschen Schlagerfestspiele, ging als Favoritin in den deutschen Vorentscheid um den Grand Prix und wurde dort Dritte.

1999 gewann Michelle den »Echo«, den wichtigsten Publikumspreis in Deutschland. Und außerdem gab sie ihre Liaison mit Matthias Reim bekannt, der 1990 mit »Verdammt, ich lieb dich« den Erfolg seines Lebens hatte und von dem sie ein Kind bekam.

Der ganz große Karrieredurchbruch gelang im Oktober 2000. Da hockte Michelle bei »Beckmann« in der ARD. Sie erzählte von der Mutter, die Alkoholikerin gewesen sei, vom Vater, der sie geschlagen habe, von den Pflegeeltern, die sie so mies behandelten, und von ihrer Flucht aus dem kleinen Örtchen Blumenberg ins für den Teenager so groß erscheinende Offenburg.

Das war der Dreh, wie aus dem Sternchen ein Star wurde und aus dem Steckbrief einer Schlagersängerin, wo Lieblingsessen, -film und Name des Hundes aufgelistet werden, eine richtige Biografie: schwierige Kindheit, eiserner Wille, enormes Talent bei nur 1,54 Meter Körpergröße.

Ihre Plattenfirma meldete Michelle wieder zum Grand Prix an, und die Sängerin verkündete, sie habe sich von Matthias Reim getrennt. Er habe, so wurde verlautbart, sich nicht um die gemeinsame Tochter gekümmert, und ihre erstgeborene Tochter habe er erst recht ignoriert. Außerdem habe er Michelle betrogen, und nach dem Ende der Beziehung zahle er keine Alimente.

Der Imagewechsel, der bei »Beckmann« begann, wurde konsequent vollzogen. Beim deutschen Grand-Prix-Vorentscheid 2001 gewann sie mit »Wer Liebe lebt«. Ihre erste Solotournee, die kurz nach diesem Sieg begann, wurde ein Triumph. In Kopenhagen, beim Grand Prix, wurde sie dann Achte. Ein großer Erfolg, aber doch nicht das Erhoffte. Nur als Erste in Europa hätte sie endlich ihre nationale Konkurrentin Nicole überholen, ja abhängen können.

Für Michelle und ihr Management Grund genug, wieder leichte Korrekturen am Image vorzunehmen. Mit ihrem Exfreund Matthias Reim produzierte Michelle 2002 ihre neue CD und dementierte auch gleich alles, was sie nach der Trennung gesagt hatte. »Man muss sich ja nicht hassen, wenn man sich trennt«, teilte sie im September 2002, wiederum bei »Beckmann«, mit. »Wir haben immer noch ein sehr liebevolles Arbeitsverhältnis.«

Derweil wurde das Gerücht kolportiert, Michelle habe ein Verhältnis mit dem Nationaltorwart Oliver Kahn. Woher die Behauptung kam, ist unklar, aber der Welt fiel auf: »Michelle selbst machte die Öffentlichkeit bei Kerner mit diesem Gerücht vertraut.« Und sie dementierte das Gerücht auch sofort.

Stattdessen nahm sie im Dezember 2002 mit Matthias Reim gemeinsam eine Single auf. »Idiot« heißt das Duett, und darin singt sie ihn an: »Ich fühl’ immer noch wie damals, noch genauso, du Idiot.«

Michelle, die so artifiziell ist wie wohl vor ihr keine deutsche Schlagersängerin, wird wieder etwas zu dementieren haben. Mit 40 hört sie auf, hat sie erklärt. In einem Super-Illu-Interview sagte die heute 30jährige: »Wenn so viele Lügen über mich verbreitet werden, will ich lieber nicht prominent sein.«