Alle auf Achse

Immer mehr Deutsche sind gegen einen Irakkrieg. Der Friedensbewegung fällt es schwer, sich von zweifelhaften Freunden abzugrenzen. von stefan wirner

Meiner Meinung nach ist dieser militärische Einsatz nötig«, sagte Günter Grass. Er kritisierte »das Herummogeln um die Notwendigkeit des Einsatzes von Bodentruppen«. Der Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) erklärte: »Die internationale Staatengemeinschaft kann und darf Verbrechen gegen die grundlegenden Menschenrechte (…) nicht tatenlos hinnehmen.« Und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte einen Beschluss des Bundestages, »durch den Einsatz von Streitkräften Verhandlungsergebnisse zu erzwingen«.

Sind diese Zitate allesamt gefälscht? Keineswegs, sie sind nur vier Jahre alt und stammen aus der Zeit des Kosovokrieges. Heute äußern sich die entsprechenden Personen und Organisationen völlig anders. Günter Grass schreibt in seiner jüngsten Erklärung: »Dieser drohende Krieg ist gewollt. In planenden Köpfen, auf den Börsen aller Kontinente, in wie vordatierten Fernsehprogrammen findet er bereits statt. Wir kennen die Machart, nach der man sich einen Feind, sollte er fehlen, erfindet«, behauptet er. Slobodan Milosevic dürfte in der Zelle in Den Haag die Fäuste ballen.

Der Rat der Evangelischen Kirche lehnt ebenso wie die katholische Bischofskonferenz einen Irakkrieg »aus ethischen wie aus völkerrechtlichen Gründen« ab. Der DGB ruft zur Demonstration am 15. Februar in Berlin auf und sieht sich als »treibende Kraft der Friedensbewegung«. Selbst Konservative schließen sich der Bewegung an. Peter Gauweiler (CSU) fordert von der Union, sie solle die Bundesregierung zu einer Ablehnung des Krieges im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen drängen. Und Edmund Stoiber, der bayerische Ministerpräsident, meint: »Frieden ist die beste Lösung.«

Dass auch rechtsextreme Zeitungen wie die National-Zeitung oder die Junge Freiheit gegen einen Irakkrieg agitieren, veranlasste den Vorsitzenden der grünen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, in der vorigen Woche immerhin zu einer Warnung. Nach einem Bericht der taz sagte er: »Wir müssen auf Trennschärfe achten.« Die Töne von rechts müssten zur »Selbstreflexion der eigenen Argumente führen«, die Linke dürfe keine »antiamerikanischen Klischees« verwenden.

Ob damit auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer angesprochen waren? Sie bekräftigen täglich ihre Ablehnung des Krieges und bedienen dabei nicht selten auch antiamerikanische Ressentiments. Keine Abenteuer auf dem deutschen Weg, heißt die Parole. Deutschland werde im Sicherheitsrat einem Angriff auf den Irak nicht zustimmen, versprach Schröder in der vorigen Woche. Als die Kampfflugzeuge einst nach Belgrad flogen, sagte er: »Wir führen keinen Krieg.«

Kerstin Müller, die grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, ist überzeugt, diesmal seien die Friedensbewegung und die Bundesregierung »Verbündete«. »Wir marschieren in der Irakfrage im wahrsten Sinne des Wortes in die gleiche Richtung.«

Die »große deutsche Koalition« nennt die Zeit dieses ungewöhnliche Bündnis, der Krieg diene als »Familienzusammenführung«. Einige Protagonisten der Friedensbewegung haben auch keine Probleme damit, zu dieser »Familie« zu gehören. Die Zeiten großer Bündnisse sind selten die Zeiten radikaler Kritik. Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Mitglied des Aktionsbündnisses 15. Februar, meint: »Wenn immer mehr Leute für den Frieden sind, ist das gut.«

Allerdings müsse man sich schon fragen, warum die »Friedfertigkeit« auch die Rechten erfasst habe. »Es liegt daran, dass die Bevölkerung weiter ist als die Politiker«, meint er. 70 Prozent der Deutschen lehnten einen Krieg ab. Der Bundesregierung traue er hingegen nicht. Schließlich habe sie George W. Bush im Mai des vergangenen Jahres mit offenen Armen empfangen. »Die Bevölkerung war damals schon schlauer.«

Barbara Fuchs von der AG Globalisierung und Krieg bei Attac hält es für »ein gutes Signal, wenn Schröder den Krieg ablehnt«. Die deutschen Interessen im gegenwärtigen Konflikt müsse man »weiter thematisieren. Aber die Verhinderung des Krieges ist jetzt vorrangig.«

Attac organisiert momentan eine so genannte Friedenstour durch Deutschland. Sie begann am 18. Januar in Göttingen mit einem Eklat. Auf dem Podium saßen Yvonne Ridley von der britischen Stop The War Coalition und der Palästinenser Said Dudin, über den im vorigen Herbst der Spiegel spekulierte, er habe das Geld für Jürgen W. Möllemanns antiisraelischen Flyer besorgt (Spiegel, 44/02). Dudin referiert gerne über das Thema »Apartheid des Zionismus« und gilt als »Nahostexperte«. (Jungle World, 40/02)

In Göttingen erläuterten Dudin und Ridley einen Abend lang ihre Meinung zum Nahostkonflikt, was zu Protesten im Publikum führte. Barbara Fuchs meint dazu: »Das Thema kann man sicher nicht ganz aussparen, denn Israel ist ein enger Verbündeter der USA. Auf der Veranstaltung aber hat der Nahostkonflikt zu viel Raum eingenommen.« Die jüngste Erklärung des Koordinierungskreises von Attac, in dem er sich u.a. vom Antisemitismus distanzierte, hat offensichtlich noch keine Folgen für die Politik der Organisation. (Jungle World, 5/03)

Im Bündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz, die vom 7. bis zum 9. Februar in München stattfinden wird, ist der Wunsch, sich abzugrenzen, größer. Der Oberbürgermeister der Stadt, Christian Ude (SPD), der im vergangenen Jahr jede Demonstration gegen die Tagung einfach verboten hatte, erklärte Anfang Januar, er wolle diesmal selbst demonstrieren. Als Claus Schreer, ein Sprecher des Bündnisses, es begrüßte, dass Ude sich den Protesten gegen die »Kriegspolitik der Bundesregierung« anschließen wolle, erklärte Ude dann doch seinen Verzicht auf eine Teilnahme, weil »ausgerechnet die Bundesregierung verleumdet wird, die am konsequentesten von allen europäischen Regierungen gegen den Krieg eintritt«.

Mit dem Faktum, dass kein europäischer und auch kein Nato-Staat einen Krieg so vehement ablehnt wie Deutschland, tut sich die Antikriegsbewegung schwer. Für das Bündnis gegen die Nato ist das Gerede von der »Friedensmacht Europa« unglaubwürdig. Vielmehr gehe es darum, den Zusammenhang zwischen »kapitalistischer Globalisierung und der Kriegspolitik der Nato-Staaten« aufzuzeigen. Das Bündnis wirft der Bundesregierung vor, sich indirekt am Krieg zu beteiligen. (Siehe Seite 10)

Radikaler gebärdet sich die Antifa-M aus Göttingen. Sie fordert in einer Erklärung eine »konkrete Gegenwehr« gegen die »staatstragenden KriegsgegnerInnen«. Die Teilnahme an den Friedensdemonstrationen biete die Möglichkeit, Kritik an den Zielen der deutschen Regierung zu üben, »anstatt mit Forderungen nach Überflugverboten an sie heranzutreten«. Es sei offensichtlich, dass es sich »nicht um einen Krieg handelt, der den deutschen Interessen förderlich ist«.

Frankreich und Deutschland hätten sich nach der Lockerung des Embargos mit weit reichenden Handelsabkommen ihren Einfluss in der Region gesichert. Mit ihrer Ablehnung des Krieges verhalte sich die Bundesregierung eben wie die »Sachwalterin eines kapitalistischen Staates«. Aber wer erklärt es Günter Grass?