Streit zwischen Japan und Nordkorea

Vorsichtig verhandeln

Japan ist in der Empörung über Entführungen durch den nordkoreanischen Geheimdienst vereint und verdrängt dabei die eigene Vergangenheit als Kolonialmacht.

Es war kein gutes Jahr für den japanischen Premierminister Junichiro Koizumi. Mit großer Zustimmung der Bevölkerung angetreten, sank seine Popularität nach einer Serie von Bestechungsskandalen und gescheiterten Gesetzesvorhaben deutlich. Unmut rief auch die anhaltende Rezession hervor, begleitet von der Unfähigkeit der Regierung, etwas gegen die Rekordschulden im Staatshaushalt zu tun.

Da höhere Mächte wie die Flutkatastrophe in Deutschland nicht in Sicht waren, konnte Koizumi sich nur der anderen List des Kollegen Gerhard Schröder bedienen, um seine Popularität zu steigern; ein kühner Streich auf außenpolitischem Gebiet musste her. Die USA mit einer klaren Aussage gegen einen Krieg im Irak zu verprellen, kam freilich nicht in Frage.

Es blieb allein, etwas in der Nordkorea-Frage zu bewegen. Ein Zwischenfall im Frühjahr, als ein fliehendes nordkoreanisches Spionageboot von der japanischen Küstenwache versenkt wurde, verschaffte den vor militärischen Aktionen des nordwestlichen Nachbarn warnenden Kräften Aufwind. Und dann war da noch das Problem der Entführten.

Vor über 20 Jahren verschwanden einige japanische Staatsangehörige in Japan und in Europa; in mehreren Fällen lagen Hinweise auf eine nordkoreanische Einmischung vor. Erst vor wenigen Monaten erklärte in einem anderen Zusammenhang erstmals eine Zeugin vor einem japanischen Gericht unter Eid, eine der Entführten an nordkoreanische Agenten vermittelt zu haben.

Koizumi verkündete Ende August, sich zur Klärung dieser ungelösten Fragen mit dem nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-il auf ein Treffen geeinigt zu haben. Sein altes Image als Macher schien wieder hergestellt, die Umfragewerte stiegen, und selbst die Opposition versicherte ihn im nationalen Interesse ihrer uneingeschränkten Unterstützung.

Doch dann begann sich die mächtigste regierungskritische Kraft im Lande zu regen: die Opposition innerhalb der Liberaldemokratischen Partei (LDP), der größten Regierungspartei. Deren Rechtsaußen forderten von Koizumi, schon den Beginn der Verhandlungen an ein Entgegenkommen Nordkoreas zu knüpfen. Ishihara Shintarô, der rechtspopulistische Gouverneur von Tokio, der nie um einen eskalierenden Diskussionsbeitrag verlegen ist, plädierte gar für einen Krieg, sollten die Entführten anders nicht befreit werden können.

Die Stimmungsmache wurde begierig von allen Medien aufgegriffen und von der Mehrheit der Bevölkerung goutiert. Niemand schien damit gerechnet zu haben, dass Nordkorea tatsächlich substanzielle Informationen preisgeben würde. Dann aber wurden nicht nur Details über das Schicksal aller 13 Entführten bekannt gegeben. Den fünf Überlebenden wurde sogar die Ausreise nach Japan gestattet, ihre Familienangehörigen allerdings mussten in Nordkorea bleiben. Seither konnten nicht einmal die über die Meisterschaft entscheidenden letzten Spieltage der japanischen Baseballliga Neuigkeiten über die Entführten als Aufmacher der großen Tageszeitungen verdrängen.

Einerseits kann Koizumi die Aufregung nur genehm sein, lenkt sie doch vom Streit über die Wirtschaftspolitik innerhalb der Regierung ab. Er selbst und sein neuer Minister für Wirtschaft und Finanzen, Takenaka Heizou, favorisieren eine Liberalisierung und insbesondere eine Einschränkung der riesigen staatlichen Zuwendungen an die Großbanken. »Kein Unternehmen ist zu groß um zu scheitern«, verkündete Takenaka.

Seine konservativen Gegner prophezeien den sozialen Aufruhr, falls eine der großen Banken bankrott ginge. Alternativen zur radikalen Liberalisierung nach dem Vorbild der USA einerseits oder der konservativen Bestandswahrung andererseits sucht man in der öffentlichen Debatte vergeblich.

Gleichzeitig präsentierte die nordkoreanische Regierung eine allzu offenkundig erfundene Geschichte über das Schicksal der acht allesamt jung verstorbenen Enführten. Sie seien natürlichen Todesursachen erlegen, und ihre Leichen seien bei verschiedenen Flutkatastrophen verschwunden. In Japan besteht nicht der geringste Zweifel, dass der nordkoreanische Geheimdienst, der die Entführungen zu verantworten hat und in dessen Diensten die Entführten als Übersetzer und Sprachlehrer standen, die Verstorbenen ermordete. Und da ist ein Premierminister, der trotzdem die Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen vorantreibt, in Erklärungsnöten.

So geht man mit einer Reihe von Forderungen in die weiteren Verhandlungen mit Nordkorea. Eine Normalisierung der Beziehungen, sagte Shinzo Abe, Koizumis Beauftragter für die Verhandlungen, am Freitag vergangener Woche, sei nur möglich, wenn die nordkoreanische Führung »ernsthaft auf die Frage der Entführungen und Angelegenheiten der nationalen Sicherheit wie Nuklearwaffen und Raketenentwicklung eingeht«.

Vom Nationalismus und von der Medienhysterie getragen, fordern nun Vertreter des rechten Flügels der LDP gemeinsam mit den Angehörigen der Entführten von Nordkorea Schadensersatz. Die Regierung, insbesondere das Außenministerium, sucht diese Anstrengungen nach Möglichkeit zu unterbinden, denn schließlich könnten sie unangenehme Folgen haben.

Allein zwischen 1939 und 1945 zwang die Kolonialmacht Japan in Korea 4 150 000 Menschen zum Arbeits- und weitere 364 000 zum Militärdienst; 725 000 KoreanerInnen wurden nach Japan zur Zwangsarbeit verschleppt, von den vielen tausend Zwangsprostituierten ganz zu schweigen. Während Südkorea schon in den sechziger Jahren mit wirtschaftlicher Hilfe abgespeist wurde und auf weitere Reparations- oder Kompensationszahlungen verzichtete, ist die Rechnung mit Nordkorea völlig offen.

In der intensiven Berichterstattung japanischer Medien über die Entführungsfälle findet sich nicht die geringste Erwähnung der Verschleppung von KoreanerInnen vor 1945. Solange das so bleibt und die Mehrheit der Bevölkerung mit der kolonialen Vergangenheit ihres Landes nicht vertraut ist, kann die Regierung nordkoreanische Forderungen nach Kompensation für die Kolonialverbrechen ignorieren.